Ursprünglich wurde Ozempic für Diabetes-Patienten entwickelt. Schlagzeilen macht das Medikament weltweit aber als Mittel, mit dem man sicher und einfach sein Gewicht reduzieren kann. Daneben ist die hochdosiertere Variante Wegovy, die explizit für stark übergewichtige Menschen entwickelt wurde, ist weltweit heiß begehrt. Auch in Deutschland kommt es immer wieder zu Lieferengpässen.
Die Abnehmspritzen sind auf einem Erfolgskurs. 2023 wurden die Medikamente nicht nur vom renommierten Science-Magazin als wissenschaftlichr Durchbruch des Jahres gekührt. Novo Nordisk ist mittlerweile alleine aufgrund der Abnehmspritzen das wertvollste Unternehmen an der Börse in Europa. Doch Mediziner warnen vor einem Missbrauch der Medikamente.
Inhalt
- Was genau sind Ozempic und Wegovy beziehungsweise Semaglutid?
- Wie wirkt Ozempic beziehungsweise Semaglutid?
- Welche Nebenwirkungen hat Ozempic beziehungsweise Semaglutid?
- Warum gibt es Lieferengpässe?
- Wie beurteilen Mediziner die Lage?
- Was passiert, wenn man Ozempic absetzt?
- Welche weiteren Mittel werden getestet?
Was genau sind Ozempic und Wegovy beziehungsweise Semaglutid?
Semaglutid ist ein Wirkstoff, der zur Behandlung von Diabetes-Typ-2 entwickelt wurde. Zugelassen ist das verschreibungspflichtige Ozempic deshalb in den USA und Europa als Mittel zur Behandlung der sogenannten Altersdiabetes.
Semaglutid ist als Medikament aber auch freigegeben für Menschen, die eine "krankhafte Übergewichtigkeit" haben, berichtet Karsten Müssig, Chefarzt an der Klinik für Innere Medizin und Gastroenterologie am Franziskus-Hospital Harderberg in Münster. Das Medikament Wegovy enthält den gleichen Wirkstoff wie Ozempic, ist aber viel höher dosiert und ist von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA als Abnehmpräparat zugelassen. Als extrem übergewichtig oder adipös gelten Menschen mit einem Body Mass Index (BMI) über 30 oder mit einem BMI über 27, wenn Begleiterkrankungen dazukommen.
Bevor Betroffene Wegovy verschrieben bekommen, müssen sie konservative Therapiemaßnahmen ausprobiert haben, etwa Bewegungstherapien oder eine Ernährungsberatung. Das bedeutet: Man sollte die Abnehmspritze erst dann nehmen, wenn sonst keine andere Therapie funktioniert hat.
Wie wirkt Ozempic beziehungsweise Semaglutid?
Der Wirkstoff, der sowohl in Ozempic als auch in Wegovy enthalten ist, fördert die Freisetzung von Insulin im Körper und sorgt dafür, dass man sich schnell richtig satt fühlt. Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes reagieren die Körperzellen nicht mehr gut auf das Hormon Insulin. Das ist ein Problem, denn Insulin ist ein Schlüssel-Botenstoff im Energiestoffwechsel. Er kommt ins Spiel, wenn die Nahrung verdaut wird und viel Zucker vom Darm ins Blut gelangt.
Semaglutid hilft hier auf verschiedenen Wegen, und zwar indem es die Wirkung eines Darmhormons nachahmt (GLP-1). Das sorgt dafür, dass die Bauchspeicheldrüse mehr Insulin ausschüttet. Und zwar nur nach dem Essen, wenn der Blutzuckerspiegel hoch ist und Insulin tatsächlich gebraucht wird. Deshalb ist das Risiko gering, dass der Patient oder die Patientin unterzuckert, wie es bei manchen anderen Diabetes-Medikamenten passieren kann.
Semaglutid wirkt aber noch auf ein zweites Hormon im Stoffwechsel: das Glucagon, der Gegenspieler vom Insulin. Semaglutid hemmt die Ausschüttung von Glucagon, das senkt den Blutzuckerspiegel zusätzlich. Dazu verlangsamt Semaglutid die Entleerung des Magens. Der Zucker wird aus dem Darm weniger schnell ins Blut aufgenommen, der Blutzuckerspiegel steigt langsamer an und die Bauchspeicheldrüse wird entlastet.
Das Medikament wirkt auch zentral im Gehirn, indem es als Hirnbotenstoff dort meldet, dass genug gegessen wurde. Die Patienten spüren weniger Appetit, essen weniger und nehmen dann eben auch deutlich ab. Wer Semaglutid nimmt, muss sich das Medikament einmal die Woche spritzen, zum Beispiel ins Bauchfett.
Wichtig dabei: Der laut Studien mögliche Gewichtsverlust von zehn bis 15 Prozent gilt wirklich nur für Menschen mit Adipositas - bei schlankeren Menschen wird es deutlich weniger sein.
Ganz neu ist das Medikament nicht. In der Diabetes-Therapie werden ähnliche Wirkstoffe schon länger angewandt - aber bisher war keiner so effektiv wie Semaglutid. Und die Zulassung des Wirkstoffs explizit zum Abnehmen ist neu.
Ähnliche Diabetes-Medikamente werden auch für die Behandlung weiterer Krankheiten getestet, beispielsweise Parkinson.
Welche Nebenwirkungen hat Ozempic beziehungsweise Semaglutid?
Es gibt durchaus Nebenwirkungen, auch ziemlich starke, die bei manchen Menschen nur vorübergehend auftreten, bei anderen aber während der gesamten Behandlungsdauer anhalten: Verstopfung, Völlegefühl, Übelkeit, Müdigkeit, Durchfall, Bauchkrämpfe.
Gallensteine scheinen bei längerer Einnahme ebenso des Öfteren ein Problem zu sein. Auch Bauchspeicheldrüsen-Entzündungen sollen – wenn auch selten – vorkommen. Laut US-Arzneimittelbehörde FDA erhöht Ozempic das Risiko von Schilddrüsenkrebs.
Die Nebenwirkungen kennt man aus Zulassungsstudien mit Menschen, die unter Diabetes und Übergewicht leiden. Was Semaglutid mit Normalgewichtigen macht, wenn sie es für die Strandfigur nutzen, ist derzeit noch nicht bekannt. Ozempic wurde als beliebtes Abnehmmittel von Hollywood-Stars und anderen Promis bekannt, die schnell ein paar Kilo loswerden wollen.
Warum gibt es Lieferengpässe?
Semaglutid ist in Europa seit 2018 unter dem Medikamentennamen Ozempic zugelassen. Seit 2022 gibt es in der EU auch eine Zulassung des Semaglutid-Medikaments Wegovy, das Menschen mit Adipositas und Übergewichtigen mit Begleiterkrankungen bei der Gewichtskontrolle helfen soll. Da Wegovy in Deutschland aber deutlich teurer ist als Ozempic, wird Abnehmwilligen von Ärzten statt Wegovy offenbar häufig das Diabetesmedikament verschrieben. Das verschärft dann die Knappheit bei dem Medikament.
Eine Monatsdosis für tausend Dollar
Eine Monatsdosis Ozempic kostet in den USA ohne Versicherung rund tausend Dollar. Der Run auf die Spritze war laut US-Medienberichten zwischenzeitlich so groß, dass Diabetiker Mühe hatten, das für sie entwickelte Präparat zu ergattern. Auch in Deutschland kam es 2024 laut offizieller Meldungen des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) immer wieder zu Lieferengpässen.
Wegovy muss in Deutschland aktuell von Interessenten selbst bezahlt werden. Das liegt nach Angaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft daran, dass Adipositas keine Erkrankung ist, die gemäß Sozialgesetzbuch in jedem Fall einen Anspruch auf eine medikamentöse Behandlung mit sich bringt.
Wie beurteilen Mediziner die Lage?
„Das ist eine Riesen-Schweinerei, was da im Moment passiert“, sagt Stephan Martin, Chefarzt Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums beim Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf. Er kritisiert, dass Menschen, die "nur" Adipositas haben, Patienten das Medikament wegnähmen, die es dringend für ihre Diabetesbehandlung bräuchten.
Ein weiterer Aspekt, der in der öffentlichen Debatte oft wegfällt: In den Studien wurde Semaglutid immer mit Sport und einer Ernährungsumstellung kombiniert. Das betont auch der Endokrinologe Matthias Blüher. Er leitet am Universitätsklinikum Leipzig die Adipositas-Ambulanz: „Allein das Medikament kann es nicht richten", sagt er.
Mediziner warnen zudem vor ungeprüften und unsicheren Ozempic-Nachahmerprodukten, die im Internet verkauft werden - und vor einem Missbrauch als Lifestyle-Droge. Das Regierungspräsidium Freiburg hat inzwischen auf Fälschungen des Medikaments hingewiesen, die möglicherweise bundesweit im Umlauf seien. Bei einer Anwendung drohten "erhebliche Gefahren".
Was passiert, wenn man Ozempic absetzt?
Wenn man das Gewicht halten will, muss man das Medikament vermutlich sein gesamtes Leben lang nehmen. Dazu der Mediziner Stephan Martin: „Wir haben sehr gute Daten, dass, wenn man aufhört, diese Medikamente zu spritzen, dann innerhalb von ein bis anderthalb Jahren das Ausgangsgewicht wieder erreicht wird. Und auch die Blutdruckverbesserung, die durch die Gewichtsabnahme erzeugt wird, ist, wenn man das Medikament absetzt, nach anderthalb Jahren wieder dahin.“
Welche weiteren Medikamente werden getestet?
Der Run auf Ozempic und Wegovy sorgt dafür, dass weitere Pharmafirmen Gewinne wittern. Das dänische Biotechunternehmen Zealand Pharma und sein deutscher Partner Boehringer Ingelheim arbeiten an der Entwicklung eines Abnehmmedikaments. In einer klinischen Studie der Phase-2 führte die Behandlung mit dem Mittel nach 46 Wochen zu einem Gewichtsverlust von bis zu 14,9 Prozent, wie die Unternehmen im Mai 2023 mitteilten.
Nach Einschätzung von Experten könnten Unternehmen bis zu zehn konkurrierende Produkte mit einem Jahresumsatz von bis zu 100 Milliarden Dollar innerhalb eines Jahrzehnts hervorbringen, vor allem in den USA.
Sophie Stigler, Sophia Wagner, Christina Sartori, Julia Kastein, rtr, tei