Die beiden Ozon-Killer Chlor und Brom haben einen engen Verwandten mit ganz ähnlichen chemischen Eigenschaften: Jod. Es gab schon immer den Verdacht, dass auch dieser Vertreter aus der Gruppe der Halogene am Abbau der Ozonschicht beteiligt sein könnte. Die neue Studie zeigt jetzt: Jod ist tatsächlich in gewissen Mengen in der unteren Stratosphäre vorhanden. Das ergibt sich aus verschiedenen Flugzeug-Messkampagnen. Forschungsjets stießen dabei bis in 15 Kilometer Höhe vor. Die gefundenen Konzentrationen sind zwar um ein Vielfaches kleiner als die von Chlor. Doch Jod sei viel aggressiver, sagt Theodore Koenig, Atmosphärenchemiker an der Universität von Colorado in Boulder in den USA und einer der Studienautoren: "Jod hat in seiner Gasform, als Oxid, ungefähr die 600-fache Zerstörungskraft von Chlor. Deswegen sind auch geringe Mengen Jod von Bedeutung."
Die ozonschädlichen Jod-Verbindungen entstehen im Ozean
Anders als Chlor und Brom entweicht Jod nicht aus technischen Gasen wie den FCKW, sondern aus dem Ozean. Marine Algen enthalten viel davon und setzen es frei, in Form von Jodid - ein ganz natürlicher Prozess. Doch das Jodid reagiert in der Folge mit Luftschadstoffen, wie sie heute auch über den Meeren verbreitet sind, darunter paradoxerweise mit Ozon. Das kommt nämlich auch in Bodennähe vor. Nur ist es hier ein unerwünschter Bestandteil von Smog, so Theodore Koenig.
"Es gibt da eine Verbindung mit der Zunahme der Ozon-Verschmutzung an der Meeresoberfläche. Sobald das Jodid mit dem Ozon in Bodennähe reagiert, entstehen verschiedene andere Jod-Verbindungen, die sich in der marinen Atmosphäre verteilen. Bei starken tropischen Gewittern können sie dann bis in die Stratosphäre befördert werden."
Dort liegt Jod dann sowohl gasförmig vor als auch gebunden an Schwebstaubpartikel. In beiden Formen sei es in der Lage, Ozon zu zerstören, sagt Studienleiter Rainer Volkamer, Professor für Atmosphärenchemie an der Universität von Colorado.
Schon geringe Mengen könnten der Ozonhülle schaden
Die Gleichung, die seine Arbeitsgruppe nun aufstellt, lautet: Mehr Smog in Bodennähe bedeutet mehr Jod in der unteren Stratosphäre, und das verhindert die Heilung der Ozonschicht in Höhen bis zu 20 Kilometern. Die wird eigentlich erwartet, denn der Chlor- und Bromgehalt in der Atmosphäre ist schon länger rückläufig: "Was mich fasziniert, ist, dass die Luftqualität am Boden gekoppelt zu sein scheint mit der Erholung eines Teiles der Ozonschicht. Das ist neu."
Volkamers Team hat auch kalkuliert, wie viel Ozon durch die gemessenen Jod-Mengen verloren gehen könnte. Dabei kam heraus: "Die Änderung von Ozon durch Jod ist gerade groß genug, um zu erklären, dass Ozon in der unteren Stratosphäre weiterhin abnimmt." Ist das Rätsel damit also gelöst und Jod der gesuchte Übeltäter?
So weit möchte Martyn Chipperfield nicht gehen. Auch er ist Professor für Atmosphärenchemie, an der Universität Leeds in England.
"Eine sehr interessante Studie"
Chipperfield hat bereits einen Blick in die neue Veröffentlichung seiner US-Kollegen geworfen und kommentiert sie so:
"Es ist eine sehr interessante Studie. Quantitative Nachweise von Jod-Verbindungen in der Stratosphäre fehlten bisher. Aber daraus lässt sich noch nicht ableiten, ob Jod tatsächlich eine Rolle beim langfristigen Abbau der Ozonschicht spielt. Ozon könnte auch deshalb verlorengehen, weil der Klimawandel die Luftzirkulation in der unteren Stratosphäre verstärkt. Modellrechnungen lassen das vermuten. Es gibt also auch andere Erklärungsansätze. Aber die Rolle von Jod sollte in Zukunft genauer untersucht werden."
Sollten die Autoren der neuen Studie richtig liegen, könnte es sein, dass die Ozonschicht doch nicht so schnell ausheilt wie erwartet. Chlor und Brom sind zwar im Montreal-Protokoll geregelt, Jod aber nicht. Und dieser "Ozonkiller" nimmt auch nicht ab in der Atmosphäre, sondern eher zu – solange auch die Luftverschmutzung in vielen Weltregionen weiter steigt.