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Ozonloch
Algen produzieren Schadstoff

Klimaforscher haben eine weitere Lücke im Wissen über die Mechanismen in der Atmosphäre geschlossen. Der Ozonabbau wird zu einem gewissen Anteil auch durch natürliche Prozesse vorangetrieben, die sich offenbar über dem Westpazifik abspielen. Dort produzieren Algen Brom, das besonders effizient in das mittlere Atmosphärenstockwerk transportiert wird und dort das Ozon angreift.

Von Volker Mrasek |
    Oktober 2009. Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung ist auf einem Forschungsschiff im Pazifik unterwegs. Von Bord steigen regelmäßig Sonden an Ballons auf. Sie sollen das Spurengas Ozon messen. Die Expedition erreicht das Seegebiet nahe der Tropeninsel Palau.
    "Der Grund, warum wir genau in dieser Region einmal mit einem Forschungsschiff quer durchgefahren sind, ist, daß da ein großer Teil der Luftmasse gebildet wird, die in die Stratosphäre aufsteigt."
    Also bis in das zweite Stockwerk der Erdatmosphäre. Es folgt gleich auf die bodennahe Wetterschicht. Man könnte auch von einem Fahrstuhl für Spurengase sprechen, der Wetterschicht und Stratosphäre verbindet. Warme Luft steigt bekanntlich auf, und der Westpazifik ist eine Meeresregion mit besonders hohen Oberflächentemperaturen.
    Die Messungen an Bord sind Routine. Doch dann eine faustdicke Überraschung:
    "Mir stand tagelang der Mund offen auf dem Schiff."
    Der Atmosphärenphysiker und seine Kollegen vermuten, daß die Messgeräte spinnen.
    "Vom Erdboden bis in etwa 14, 15 Kilometer Höhe war aus der Sicht so einer Ozonsonde nichts mehr nachweisbar."
    Doch die Geräte arbeiten einwandfrei, wie sich später herausstellt. Und heute sind die Forscher überhaupt nicht mehr verdattert, sondern erfreut. Wie Markus Rex sagt, ...
    "...hilft uns diese Beobachtung plötzlich dabei, ein Problem zu verstehen, was wir schon lange in der Stratosphäre hatten. Nämlich, daß wir die dort beobachteten Ozon-Abbauraten nie so richtig erklären konnten. Der beobachtete Ozonabbau war immer ein kleines bisschen schneller, als wir das mit unseren Modellen reproduzieren konnten."
    Angegriffen wird die Ozonschicht von Industriechemikalien, die die Elemente Chlor oder Brom enthalten. Dazu gehören die berühmt-berüchtigten FCKW. Sie wurden früher in rauen Mengen als Treib- und Aufschäummittel produziert, sind äußerst langlebig in der Außenluft und gelangen deshalb mit der Zeit auch in die Stratosphäre. Dort werden Chlor und Brom frei und zerstören Ozon. Im tropischen Westpazifik aber sind es keine künstlichen Stoffe, die mit dem Fahrstuhl nach oben gelangen. Sondern natürliche Ozon-Killer, produziert von Meeresalgen. Ein Fünftel des Broms in der Stratosphäre könnte aus dieser Quelle stammen, so die Schätzungen der Forscher:
    "Das heißt, der Anteil des polaren Ozonverlustes, der auf natürlichen Prozessen beruht, ist etwas größer geworden. Es bleibt aber natürlich dabei, daß zu einem ganz überwiegenden Anteil der polare Ozonverlust, also die Bildung der Ozonlöcher, auf den anthropogenen, vom Menschen gemachten Verbindungen beruht."
    Markus Rex spricht von einer Wissenslücke, die nun endlich geschlossen sei:
    "Sie hat uns lange Kopfzerbrechen bereitet. Aber ich glaube, wir sind jetzt so weit, daß wir sagen können: Der stratosphärische Ozon-Abbauprozess ist vollständig verstanden.""
    Wichtig ist das auch, um beurteilen zu können, wie sich die Ozonschicht in Zukunft entwickelt. Und wann sie sich wieder erholt haben wird. Aber noch einmal zurück zu den entscheidenden Beobachtungen im tropischen Westpazifik. Die Sache ist einigermaßen kompliziert. Im Grunde haben die Forscher ein neues Ozonloch mit mehreren Tausend Kilometern Durchmesser entdeckt. Aber nicht in der Stratosphäre, in Höhen der eigentlichen Ozonschicht, sondern darunter, in der Wetterschicht. Daraus folgert Markus Rex, daß dort auch das Waschmittel der Atmosphäre fehlt, das sogenannte OH-Radikal. Der Allesreiniger geht nämlich aus bodennahem Ozon hervor. Kein Ozon, kein OH! Und deshalb auch kein Abbau der Brom-Verbindungen aus den Algen ...
    "Bisher sind wir davon ausgegangen: Durch Reaktionen mit OH werden sie in wasserlösliche Verbindungen überführt, und die werden immer ausgewaschen aus der Luft. Ganz normal durch den Niederschlag im Gewitter."
    Tatsächlich entkommen die Natursubstanzen aber der sonst üblichen Reinigung und steigen bis in die Stratosphäre auf, wo das Brom mithilft, Ozon zu zerstören. Die Luftchemie über dem warmen Westpazifik rückt heute immer stärker in den Fokus der Forschung. Gerade erst führten US-Amerikaner und Briten dort eine Flugzeug-Messkampagne durch. Und Markus Rex hat vor, auf Palau schon bald eine Dauermessstation einzurichten. Um das ganze Jahr über Daten aus der spannenden Weltregion zu sammeln.