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Ozonloch
Australien versucht, seine Haut zu retten

Heute rot, morgen tot: Das hört man in in Down Under öfter. Zwei von drei Australiern erkranken mindestens einmal im Leben an Hautkrebs, etwa 1.500 pro Jahr sterben daran. Fieberhaft arbeitet die Regierung daran, die Bevölkerung vor den Gefahren zu schützen – mit fragwürdigem Erfolg.

Von Andreas Stummer |
    Der Surfer Jay Thompson (Australien) zeigt im November 2012 sein Können
    Besonders für Badende und Surfer an den Stränden Australien steigt das Krebsrisiko. (picture alliance / dpa / Kelly Cestari / Asp)
    Es dauert nicht allzu lange, um der Klimaforschungsstation im australischen Cape Grim auf's Dach zu steigen. Vom ersten Stock des klobigen Beton-Flachbaus führt eine schmale, steile Treppe mit ausgetretenen Holzstufen nach oben. Dann geht es durch eine schwere Sicherheitstür nach draußen in die kalte Morgenluft.
    Jill Caney ist die diensthabende Meteorologin in Cape Grim. Die 41-Jährige hat ihren Doktor in atmosphärischer Klimaforschung gemacht, aber hier an der menschenleeren Nordwestspitze Tasmaniens nennt sie jeder nur "Miss Ozon". Jeden Morgen liest Jill von Messgeräten auf dem kiesbedeckten Dach die aktuellen Wetterwerte ab und vermerkt sie in ihrem Klima-Logbuch: Staubpartikel pro Kubikmillimeter Luft, CO2-Gehalt und die Konzentration verschiedener Gase.
    Die Luft, die an Cape Grim vorbeizieht, kommt direkt aus der Antarktis. Sie ist klar, pur und sauber. Die sauberste der Welt. Unverdorben von Industrie- und Autoabgasen und dem Smog der Großstädte. Deshalb ist die australische Klimaforschungsstation Ground Zero für das Beobachten der Ozonschicht – jener unsichtbaren Hülle, die die Erde vor den schädlichen Strahlen der Sonne schützt.
    Die Geschichte des Ozonlochs steckt in silbernen, 35 Liter-Edelstahl-Zylindern. Die gut 150 Behälter, etwa 80 cm hoch, verpackt in Kartons und knisternde Plastikfolie, sind ein weltweit einmaliges Archiv. Gefüllt mit einer Spezialsonde, enthalten sie atmosphärische Luftproben der vergangenen 38 Jahre: die Chronik der Zerstörung der Ozonschicht.
    "Die ersten Tanks wurden 1976 abgefüllt als Cape Grim den Betrieb aufnahm – soweit geht das Luftarchiv zurück. Jedes Jahr werden vier Tanks abgefüllt und aufbewahrt. Wie mit einer Bibliothek können wir damit jedes Gas in der Atmosphäre historisch nachweisen."
    Als in den 80er Jahren selbst Experten darüber stritten, ob das Ozonloch überhaupt existiert, hatten die Klimaforscher in Cape Grim alles schwarz auf weiß. Die archivierten Luftproben wurden in chemischer Detektivarbeit analysiert. Bald waren die Totengräber der Ozonschicht gefunden: FCKWs aus Kühlsystemen, Klimaanlagen und Spraydosen.
    Luftarchiv, Zylinder Nummer 44. 1987 war ein schlechtes Jahr für die Ozonschicht. Das Loch war damals fast so groß wie Nordamerika. Bis sich im Protokoll von Montreal die Regierungen von über 60 Ländern dazu verpflichteten, keine FCKWs mehr herzustellen. Heute, fast 30 Jahre später, hat Klimatologin Jill Caney eine gute und eine schlechte Nachricht.
    Fernsehspots informieren über die Gefahren des Sonnenbadens
    "Die Menge an FCKW in der Atmosphäre nimmt nicht mehr zu, sondern ab. Dank des Protokolls von Montreal. Doch seitdem gibt es Ersatzstoffe. Sie greifen zwar nicht die Ozonschicht an, sind aber schädliche Treibhausgase. Das heißt, wir haben ein Problem weniger, ein anderes aber wird immer schlimmer."
    Durch Industrie, Energie-Erzeugung, Autos und Landwirtschaft haben Treibhausgase seit den 70er Jahren stark zugenommen. Mit verheerenden Folgen. Die untere Erdatmosphäre heizt sich immer mehr auf und die kranke Ozonschicht darüber braucht dadurch länger, um sich wieder zu erholen. Jill Caneys Messungen im Nordwesten Tasmaniens belegen: Die Erde wird ein immer heißeres Pflaster. In Australien purzeln uralte Hitzerekorde, das Jahr 2013 war mit Abstand das wärmste seit Temperaturaufzeichnungen gemacht werden.
    "Wenn wir nichts gegen die zunehmende Klimaveränderung tun, dann wird auch das Ozonloch nicht kleiner. Das Ozon wird sich frühestens in 20, 30 Jahren wieder zurückbilden. Aber solange haben wir ein Problem."
    Am Bondi Beach in Sydney, Australiens berühmtestem Strand. Eine Armada von Rettungsschwimmern wacht an einem heißen Sommertag über mehr als 15.000 Sonnenhungrige. Einheimische wie Touristen.
    Obwohl der Strand durch ein Netz weiter draußen geschützt ist wurde ein Hai gesichtet. Zur Vorsicht lassen die Rettungsschwimmer das Wasser räumen. Doch die größere Gefahr für die Strandbesucher lauert nicht im Meer, sondern an Land, im grellen Sonnenlicht.
    Sie gehören zum Sommer in Australien wie Sonne, Surfen, Strand oder Wellen. Fernsehspots informieren über die Tücken des Sonnenbadens im Zeitalter des Ozonlochs. Denn die Wartezimmer der Hautärzte sind voll. Mit jungen Leuten, die "braun sein" wollen, schick, aber das Auftragen von Sonnencreme "lästig" finden.
    Krebsspezialist Allan Coates aber hat es vor allem mit Älteren zu tun: Mit einer Generation, die in den sorglosen 50er und 60er Jahren keine Ahnung hatte, dass Sonnenbrand ein Problem ist, das unter die Haut geht.
    "Wir nehmen in diesen Aufklärungskampagnen kein Blatt vor den Mund. Denn in Australien müssen wir den Menschen immer noch die Gefahren unserer Umwelt einbläuen. Die Meisten denken: 'Mir passiert schon nichts'. Aber ich sehe jeden Tag Menschen, die an Hautkrebs sterben. Das sind persönliche Tragödien, die fast alle zu vermeiden wären."
    "Heute rot, morgen tot. Zwei von drei Australiern erkranken mindestens einmal in ihrem Leben an Hautkrebs, etwa 1500 pro Jahr sterben daran. Australien hat die höchste Hautkrebsrate der Welt, Sonnenbrand ist fast schon fahrlässige Körperverletzung. Nur Unvorsichtige und Touristen wie Denis aus Nürnberg gehen ungeschützt in die Sonne:
    "Wenn man dann zum Beispiel nur mit dem Auto fährt und hat seinen Arm am Fensterbrett und die Sonnenstrahlen scheinen auf den Unterarm, dann ist das teilweise richtig schmerzhaft, also wie in der Mikrowelle, das heißt, die Sonne hier ist einfach gnadenlos."
    Die frühere Oben-ohne-Gesellschaft Australien führt zunehmend ein Schattendasein
    Jamie Biggs arbeitet als Astronom in der Sternwarte Sydney. Seit Jahrzehnten beobachtet er durch sein Teleskop ferne Planeten, Galaxien und Himmelskörper. Doch die Sonne ist ihm nicht geheuer. Seit ihre Strahlen immer stärker werden, lässt der leidenschaftliche Wellenreiter sein Surfbrett immer öfter zuhause. Die frühere Oben-ohne-Gesellschaft Australien führt zunehmend ein Schattendasein.
    "Viele ignorieren die Warnungen und brutzeln weiter ungeschützt in der Sonne. Die meisten aber überlegen jetzt zweimal, ob sie an den Strand gehen. Wir bleiben länger drinnen und arbeiten zu anderen Zeiten, um später weniger Probleme zu haben. Unsere Gesellschaft hat sich verändert."
    Schattensegel, Cremes oder spezielle Schutzkleidung: Seit der Entdeckung des Ozonlochs ist der Sonnenschutz in Australien eine Boom-Industrie – Jahresumsatz: fast eine halbe Milliarde Euro.
    Die dunkle Seite der Sonne hat Mode gemacht. Statt, wie früher, in Bikinis und Shorts planschen Kinder heute nur noch mit hochgeschlossenen UV-Licht-dichten Schwimm-Overalls. Das Ozonloch kommt Australien teuer zu stehen. In den Städten ist es Vorschrift, dass die Fenster von Bürotürmen mit einem teuren UV-Licht-abweisenden Schutzfilm überzogen sind, Großbetriebe sind dazu verpflichtet auf dem Firmengelände für ausreichend Schatten zu sorgen. Die Regierung verzichtet bei Sonnenschutzmitteln sogar auf die Mehrwertsteuer. Und das ist noch längst nicht alles.
    Parks, Gärten oder Grünanlagen: Das Büro von Landschaftsgärtner Jake Pearson ist die Natur. Wo immer er mäht oder pflanzt trägt Jake einen breitkrempigen Hut, ein Baumwollhemd mit langen Ärmeln, Handschuhe und lange Hosen – egal wie heiß es ist. So sehr er das Arbeiten an der frischen Luft auch genießt: Das Ozonloch ist immer und überall. Gut eine Million Australier haben, wie Jake, einen Beruf, den sie draußen ausüben. Sie können die Kosten für Schutzkleidung, Creme, Sonnenbrillen und Hüte von der Steuer absetzen. Dem Finanzamt gehen dadurch Milliarden verloren, Gärtner Jake Pearson aber glaubt, dass die Folgen des Ozonlochs Australien sonst noch teurer zu stehen kämen.
    "Die Sache ist wichtig und wird der Regierung auf lange Sicht viel Geld sparen. Denn unsere Steuerersparnisse sind ein niedriger Preis im Vergleich zu den hohen, medizinischen Kosten, für die sie sonst später aufkommen müsste."
    "Slip" – ein langärmeliges Hemd anziehen, "Slop" – einen Hut oder eine Kappe aufsetzen und "Slap" – genug Sonnencreme auftragen: Generationen Australier kennen den Fernseh-Aufklärungsspot mit dem unvorsichtigen Schneemann, der schmilzt, weil er zu lange in der Sonne war. Jedes Jahr werden von den Gesundheitsbehörden 'zig Millionen für Aufklärung ausgegeben. Robert Benton von der nationalen Hautkrebsvorsorge gibt zu: Australien versucht, seine Haut zu retten.
    "Wir sind nun einmal weitgehend eine hellhäutige Gesellschaft, die in einer fast feindlichen Umgebung lebt – nämlich sehr nahe am Äquator. Die Leute müssen endlich begreifen, dass die Sonne nicht unser Freund ist. Vor allem im Sommer."
    Prävention schon in der Schule
    Es ist Pause in der St. Mary-Schule am Stadtrand von Brisbane. Die Kinder spielen Fangen oder Ball, essen ihre Brote oder ärgern die Lehrer. Obwohl es bewölkt ist, haben alle Schüler einen Stoffhut oder eine Baseballkappe auf dem Kopf. Nicht weil es Mode ist, sondern zu ihrem Schutz. Nirgendwo auf der Welt bekommt man schneller Sonnenbrand als an der Ostküste Australiens. Das Einzige, das dagegen hilft, ist Sonnencreme, die alle schädlichen Strahlen der Sonne blockiert. Doch weil viele Kinder oft vergessen, welche aufzutragen, gibt es im Pausenhof der St. Mary-Schule eigene Spender mit Sonnenmilch.
    Miss Morton, ihre Lehrerin, erklärt den Schülern, wie der Spender funktioniert. Einfach die Hand drunter halten und mit der anderen den Knopf drücken – schon kommt unten die Sonnencreme heraus. Im Gesicht und auf den Armen verteilen und den Hut oder die Kappe wieder aufsetzen. Fertig. Erst dann lässt Schuldirektor Alan McIntyre die Kinder im Schulhof weiterspielen.
    "Bei uns gilt: kein Hut – kein Spiel. Wenn Kinder ihre Kopfbedeckung nicht aufhaben dann dürfen sie auch nicht mit den anderen draußen herumtollen. Die Creme-Spender haben wir angebracht, weil schon zehn Minuten ungeschützt in der Sonne genügen, um sich zu verbrennen. Dagegen wollten wir etwas tun."
    Sonnenschutz auf Knopfdruck. Schuldirektor McIntyre hat sechs alte Seifenspender in Sonnencreme-Automaten verwandelt. In nur 80 Zentimetern Höhe sind sie auf dem Schulhof für alle Kinder leicht zu erreichen und zu bedienen. Und auch die Eltern sind begeistert.
    "Mit den Spendern hier können sie sich selbst versorgen. Vor allem ist das für die Kinder ein wichtiges Zeichen, wie wichtig es ist, für jeden auch in der Freizeit mit Sonnencreme bewaffnet zu sein. Von daher finde ich das eine Superidee."
    Sabine Müller ist mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern Michael und Daniel, vor über zehn Jahren aus Stuttgart nach Australien gekommen. Vor allem des guten Wetters wegen. Früher hat sie bei Sonnencremes kaum auf den Lichtschutzfaktor geachtet. Je höher die Zahl desto länger kann man in der Sonne bleiben. In Deutschland genügte eine 8 oder 12, in Australien aber gibt es nur noch Cremes mit mindestens Lichtschutzfaktor 30.
    "Ohne Hut geht nichts mehr und ohne Sonnencreme. Auch an so einem Tag wie heute, wo es doch recht bewölkt ist. Man kriegt trotzdem Sonnenbrand in Null komma nix. Da kann man gar nichts dagegen machen. Also zu Zeiten zum Beispiel zwischen elf und vier gehen wir grundsätzlich nicht an den Strand. Wir bleiben im Haus zu den Hauptzeiten und gehen halt morgens oder am späten Nachmittag. Es ist traurig, aber es ist halt so."
    Negative Folgen der Sonnenschutz-Kampagnen
    Kinder lernen in Australien Sonnenschutz noch vor den Verkehrsregeln. Doch die Kampagnen der Gesundheitsbehörden, sich vor der Sonne in Acht zu nehmen, haben – buchstäblich – auch ihre Schattenseiten. Denn immer mehr Australier bekommen mittlerweile nicht zu viel, sondern zu wenig Sonne ab. Sonnenlicht ist eigentlich gut für uns, es versorgt den Körper mit 90 Prozent des Bedarfs an Vitamin D, das vor allem für einen starken Knochenbau verantwortlich ist. Eine Langzeit-Studie der Medizinerin Julie Pasco aber hat ergeben, dass fast 40 Prozent aller Frauen in Australien zu niedrige Vitamin D-Werte haben. Schuld daran seien das Ozonloch und zu viel Sonnenschutz.
    "Wir fliehen vor der Sonne in den Schatten, bedecken unsere Haut mit Creme und schützender Kleidung und vermeiden das Sonnenlicht. Deshalb mangelt es so vielen Australiern an Vitamin D. Wir wollen nicht, dass die Leute unvorsichtig werden und sich Sonnenbrand holen. Aber wir müssen den Nutzen von Sonnenlicht gegen das Risiko Hautkrebs zu bekommen abwägen."
    Die Wäsche nach draußen hängen oder die Zeitung auf dem Balkon lesen genügt bereits: Eine halbe Stunde Sonnenschein täglich – und der Körper ist mit ausreichend Vitamin D versorgt. Doch Australier werden ständig davor gewarnt, in die Sonne zu gehen. Der Wissenschaftler Mark Stein untersucht an der Universität Melbourne, wie sehr Sonnenlicht das Immunsystem und das allgemeine Wohlbefinden beeinflusst. Er fürchtet, dass eine Generation sonnenscheuer Australier heranwächst, die wegen chronischem Vitamin D-Mangels später unter porösen Knochen und schwachen Muskeln leiden werden.
    "Es ist schwer, pauschal zu sagen, wie viel Sonnenlicht jeder von uns braucht. Was ist, wenn es regnet? Trägt jemand lieber lange oder kurze Ärmel und macht es einen Unterschied, ob es Sommer oder Winter ist? Das Beste ist Vitamin-Tabletten zu nehmen, um seine Vitamin D-Werte zu steuern."
    Australier lieben ihren Platz an der Sonne – trotz Ozonlochs, steigender Temperaturen und den Folgen des Klimawandels. Doch obwohl an mehr als 300 Tagen im Jahr die Sonne scheint, wird Solar-Energie kaum genutzt. Strom wird vor allem durch das Verbrennen von Kohle gewonnen. Die Schadstoffe, die dabei frei werden, machen das Ozonloch nur noch größer. Und deshalb wird die Sonne wohl auch in Zukunft aus australischen Bleichgesichtern Rothäute machen.