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Pädagogik auf Pedalen

Einen in Deutschland bislang einzigartigen, berufsbegleitenden Studiengang bietet die Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel an. Soziale Fachkräfte und Lehrer sowie Berufstätige aus dem Bereich Organisations- und Personalentwicklung können sich seit dem Sommersemester ein Jahr lang in Erlebnispädagogik und Outdoortraining weiterbilden. Auf dem Studienplan stehen Interaktionsübungen, Kommunikation, Teambildung und - natürlich - jede Menge Praxis: Klettern, Kanufahren und Walderleben. Am Wochenende waren die 19 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit dem Mountainbike im Harz unterwegs.

Von Michael Engel |
    Büffeln in der idyllisch gelegenen "Heimathütte" Hohegeiß - Mitten im Wald. Bevor die Pädagogen in die Pedale treten, erfahren sie von Norman Fass, dem Spezialisten für Mountainbikes, was das Sportgerät "erlebnispädagogisch" leisten kann - zum Beispiel Tourenplanung, Navigation, Umgang mit Landkarten. Selbst schwierige Schüler fahren darauf ab. Mountainbikes sind eben cool. Nach sechs Stunden Theorie - am späten Nachmittag - beginnt der praktische Teil der Ausbildung.

    " Jetzt geht's los, wir hören es am Klingeln. Die Teilnehmer sind gespannt auf das, was uns erwartet, eine selbst geplante Tour auf dem Mountainbike, dem neuen Medium, ein hoher Anspruch an Technik und Kondition, so dass wir sicherlich nach drei Stunden wieder hier sein werden, geschafft, aber ich hoffe glücklich und mit einem tollen Erlebnis draußen im Harz. "

    15 Kilometer wird die Gruppe heute auf dem Mountainbike fahren. Mit dabei Detailkarten, Kompass und Wasserflaschen. Später einmal - wenn die Pädagogen mit ihren Schülerinnen und Schülern unterwegs sein werden - steht das Sozialtraining im Vordergrund: keiner wird abgehängt, alle sollen zusammen halten. In drei Wochen steht "Felsklettern" auf dem Programm, danach Walderleben und im September Wasseraktivitäten mit dem Kanu.

    " Das Besondere und bundesweit einmalige an diesem Studiengang ist, dass wir die Verbindung von Erlebnispädagogik und Outdoortraining haben. Also es gibt sonst den Schwerpunkt Erlebnispädagogik als ein Schwerpunkt von grundständigen Studiengängen - Pädagogik, Sozialpädagogik - an verschiedenen Hochschulen. Es gibt an der Fachschule Frankfurt den Bereich Erlebnispädagogik in der sozialen Arbeit als berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengang, aber das Besondere an unserem Studiengang ist wirklich diese Verbindung Erlebnispädagogik und Outdoortraining. "

    Karin Leven, die den zweisemestrigen Studiengang betreut, wurde mit Anmeldungen überhäuft. Doch nur jeder dritte - insgesamt 19 Teilnehmer - konnte Anfang des Jahres aufgenommen werden: vorwiegend Lehrer, aber auch Sozialpädagogen und Betriebssportgruppenleiter. Mit dabei ist Axel Dettmer, ein Hauptschullehrer, der es nach eigenem Bekunden mit einer äußerst schwierigen Klientel zu tun hat: Sozial auffällig, lernschwach, demotiviert:
    " Ich denke, Arbeit an Hauptschulen muss sich verändern, weil die Schülerinnen und Schüler ganz einfach vorher schon vier bzw. sechs Jahre negative Erfahrungen mit Lernen im herkömmlichen Sinn von Stoffvermittlung gemacht haben. Das habe ich festgestellt, dass viele Schüler draußen, in der Natur, mit der Natur, einfach viel größere Lernfortschritte erreichen. "

    Wenn's nicht läuft in der Klasse, dann geht Axel Dettmer einfach raus - Outdoortraining auf dem Schulhof. Dort dürfen sich die Schülerinnen und Schüler mitten im Unterricht auspowern, dann werden Sitzkreise gebildet, das Gemeinschaftsgefühl gestärkt. Danach, so seine Erfahrung, haben sie den Kopf wieder frei. Früher, so der 34-Jährige aus Berenbostel bei Hannover, hätte er sich das nicht getraut. Der Aufbaustudiengang "Outdoortraining" bietet ganz neue Möglichkeiten, Null-Bock und Missmut in den Klassen abzufangen. Gleichwohl hat "Outdoortraining" - zumindest in Deutschland - keinen guten Ruf:

    " Ich kann's mir auch kaum erklären. Ich denke, das sind alles Leute, die es selber nicht gemacht haben. Wenn jemand so ein Wochenende schon einmal mitgemacht hat oder so eine Klassenfahrt hier im Harz mitgemacht hat, bei den Erlebnistagen, dieses Positive da einfach sieht, die Schüler in einem anderen Umfeld, die einfach mal was Positives rausziehen, weil ganz oft ist ja doch diese Null-Bock-Haltung. Und wenn man dann so nach Hause kommt, meistens wirklich echt bestärkt und beflügelt, dann weiß ich nicht, warum da so eine Abneigung besteht. Ich glaube echt, die haben es noch nicht "erlebt" im wahrsten Sinne des Wortes. "

    ... sagt Susanne Molt, die in einer Hannoverschen Förderschule mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung arbeitet. Rund 2000 Euro bezahlt sie für den Studiengang. So wie alle anderen auch aus eigener Tasche. Schon heute - kurz vor der Halbzeit - sagt sie: es hat sich gelohnt! Erlebnispädagogik und Outdoortraining sollten ihrer Meinung nach in die allgemeine pädagogische Ausbildung einfließen. Denn auch Lehrerinnen und Lehrer profitieren: Ihnen macht die schwierige Arbeit ganz einfach mehr Spaß.