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Paketbomben in den USA
"Inlandsterrorismus hat die USA mehrmals schon erlebt"

Der Amerikanist Crister Garret hält die vereitelten Bombenanschläge in den USA für hausgemachten Terrorismus. Ähnliche Anschläge habe es schon in den 1970er- und 90er-Jahren gegeben, sagte er im Dlf. Neu sei aber die Qualität der politischen Auseinandersetzung, die möglicherweise dazu beigetragen habe.

Crister Garrett im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Polizisten stehen neben dem Lieferwagen eines Paketdienstes
    Polizisten vor der CNN-Redaktion in New York, an die eine Paketbombe adressiert war (AP/Kevin Hagen)
    Christiane Kaess: Zwei Wochen noch bis zu den Kongresswahlen in den USA, und in die ohnehin aufgeheizte politische Stimmung platzte gestern Abend die Meldung, dass Kritiker von US-Präsident Trump Briefbomben zugestellt bekommen haben. Die Sendungen wurden abgefangen, bevor jemand zu Schaden kam, aber die versuchten Anschläge haben die Diskussion im Wahlkampf befeuert.
    Darüber kann ich jetzt sprechen mit Crister Garrett. Er ist Professor für amerikanische Kultur und Geschichte an der Universität in Leipzig. Guten Tag.
    Crister Garrett: Guten Tag, Frau Kaess.
    Kaess: Jetzt steht diese These im Raum, dass Hass und Hetze in der Politik hinter den Bombensendungen steckten. Ist das glaubwürdig?
    Garrett: Offensichtlich! Ich würde das durchaus als Versuch eines terroristischen Aktes sehen im Sinne davon, bestimmte Leute entweder zu verletzen, schwer zu verletzen durch Bomben oder einzuschüchtern, sich öffentlich nicht so darzustellen.
    Es ist nicht eine neue Qualität, mit Verlaub. Inlandsterrorismus hat die USA mehrmals schon erlebt. Ich denke an die Oklahoma City Bombe in den 90er-Jahren. Aber das ist in dieser Saison natürlich eine neue Qualität.
    Kaess: Warum konnte es soweit kommen?
    Garrett: Das ist natürlich schwierig zu sagen. In einem so großen Land gibt es Leute, die sich sehr stark radikalisieren, und die haben Zugang zu explosiven Materialien. Das wissen wir, dass das alles vorhanden ist in den USA. Ob es durch die Rhetorik in dieser Saison so ist, ist eine offene Frage.
    Wir wissen aus der Wissenschaft zum Beispiel, was Gewalt- und Videospiele betrifft: Diejenigen, die sich dann gewalttätig zum Ausdruck bringen, sind nicht dazu gebracht durch die Video-Games. Die waren davor dazu geneigt, wenn man so will. Kurzum: Wer die Person auch sein möge, vielleicht leidet sie an bestimmten Störungen, hat eine längere Biografie in diesem Bereich. Das alles wissen wir nicht.
    "Es ist wirklich eine neue Qualität"
    Kaess: Das wissen wir tatsächlich nicht. Aber sehen Sie denn Anknüpfungspunkte in der politischen Kultur der USA, woran sich so etwas festmachen ließe, zum Beispiel an dieser besonders scharfen Form der politischen Auseinandersetzung?
    Garrett: Ich bin Wähler aus den USA seit 30 Jahren und ich kann mich in der Tat nicht an so eine politische Saison erinnern, die so rau war. Es ist wirklich eine neue Qualität. Auf beiden Seiten sehen wir, die Stimmungen sind sehr, sehr gereizt, und je nachdem wo man sich in einer Partei befindet, umso mehr. Ich würde dem Präsidenten durchaus widersprechen, dass die Medien für diese Bomben schuldig seien, geschweige andere.
    Es gibt viele Politiker, natürlich auch viele in den Medien, die sich sehr, sehr sorgfältig zum Ausdruck bringen, sehr sachlich, und ich denke, der Präsident bringt durcheinander Meinungsartikel und Schlüsse mit Berichterstattungen, die meistens die Qualität und den Tenor eigentlich in der Medienlandschaft in den USA zurzeit sind.
    Kaess: Dann stimmt dieser Satz, den wir auch gerade in diesem Bericht gehört haben, die Wut ist so groß geworden, dass man sich gegenseitig verletzen will?
    Garrett: Ich würde sagen, ganz am Rande, je nachdem wie man "verletzend" definiert. Definiert man das taktisch-politisch, dann ja. Definiert man das rhetorisch, vielleicht sogar ja. Aber körperlich mit diesen Bomben, das ist eine Radikalisierung, die die USA in den 70er-Jahren, in den 90er-Jahren schon oft erlebt hat, aber in dieser Saison eine neue Qualität ist. Das kann man nicht ausschließen, aber man muss ein bisschen vorsichtig sein zwischen, wie es so schön heißt, Korrelationen, Dingen, die parallel auftauchen, und Dinge, die Kausalität sind. Das heißt, eine Sache verursacht wirklich die andere. Das wissen wir noch nicht.
    Kaess: Sie sagen gerade, es ist in der Tat nicht das erste Mal, man hat in anderer Form so etwas auch schon öfter erlebt. Dennoch wird jetzt diese These diskutiert, es ist das erste Mal Terror, der keinen internationalen Hintergrund hat, sondern amerikanischen. Ist es doch eine neue Entwicklung?
    Garrett: Das ist falsch. Ich habe es schon erwähnt. Wir hatten die Oklahoma City Bomben in den 90er-Jahren gehabt, wo mehrere hundert Leute gestorben sind.
    Kaess: Also auch hausgemachter Terror?
    Garrett: Ja, das war hausgemachter Terror, weißer, rechtsradikaler Terror. In den 70er-Jahren haben wir auch terroristische Gruppen gehabt aus ideologischen Gründen. Mit Verlaub, dem Gouverneur aus New York gegenüber: Das ist nicht richtig.
    "Die Menschen sind überfordert"
    Kaess: Sie haben jetzt schon einige Thesen vorsichtig formuliert oder infrage gestellt. Was passiert denn, wenn sich herausstellt, das Ganze hatte tatsächlich gar keinen politischen Hintergrund, sondern der Täter ist – ich sage es mal ganz salopp – schlichtweg ein Verrückter? Ist die ganze Diskussion dann wieder vom Tisch?
    Garrett: Überhaupt nicht, weil alle Seiten sind sehr, sehr besorgt, was den Tenor dieser Saison betrifft und was das heißt für die Fähigkeit dieser Republik, überhaupt eine Art Konsens zu fördern, geschweige denn Vertrauen gegenüber einander.
    Ich denke, aus den Umfragen in den USA zurzeit kann man wirklich sehr deutlich ablesen, was besorgt, wenn nicht sogar in Zweifel ist. Die Menschen wissen nicht, wie sie zueinander kommen können. Die sind überfordert in diesem Sinne. Wir sehen auf der öffentlichen Bühne in den USA zurzeit sehr wenig Persönlichkeiten, die offensichtlich die Fähigkeiten haben, die unterschiedlichen Gruppierungen näher aneinander zu bringen. Das ist die ganz große Herausforderung und niemand hat eine Lösung, außer einem Plädoyer, wie wir dahin kommen.
    Garret: Trumps Strategie ist, zu spalten und zu mobilisieren
    Kaess: Trump, der US-Präsident ruft jetzt auf der einen Seite zur Einheit auf, aber er gibt auch den Medien Schuld. Was ist seine Strategie?
    Garrett: Seine Strategie in dieser Saison, für die nächsten 14 Tage bis zum Wahltag ist, zu spalten natürlich und politisch zu mobilisieren.
    Kaess: ist das tatsächlich Absicht, glauben Sie?
    Garrett: Ich gehe davon aus. – Wissen Sie, in jeder Demokratie ist immer eine feine Linie – Sie wissen es aus den Wahlen in Bayern und den Wahlen in Hessen, die vor uns stehen. Man muss immer eine sehr feine Linie dazwischen treffen, zu politisieren, sehr scharf zu politisieren, um politisch zu mobilisieren, aber nicht zu spalten. Wo die ethische Linie ist zwischen Spalten und stark Politisieren, ist manchmal schwierig zu erkennen.
    Trump mit seinen Themen, sei es Einwanderungspolitik, sei es Auslandspolitik, sei es Wirtschaftspolitik, versucht, wirklich zu spalten, oder, kann man vielleicht sagen, sehr stark zu politisieren, um zu mobilisieren. Die Demokraten versuchen das genauso mit sehr scharfen Linien gegenüber dem Präsidenten, mit sehr rauen Worten über seine Mentalität und über seine Intelligenz. Man kann sich durchaus fragen, ob das Fair Play ist oder nicht. Das ist diese sehr, sehr raue Saison.
    Kaess: Beide Seiten, wenn ich Sie richtig verstehe, nehmen sich da auch nichts in dieser Auseinandersetzung?
    Garrett: Beide Seiten nehmen daran teil. Ich würde sagen, was der Präsident tut mit seinen Themen, ganz besonders was Einwanderungspolitik betrifft, ist eine andere Qualität. Aber noch einmal: Man kann einen Schritt zurückgehen und sagen: Was Trump tut, ist er ein Verursacher dieses Klimas, oder spielt er in einem Klima, das sich seit vielen Jahren in den USA aufbaut. Darüber diskutieren vor allen Dingen Wissenschaftler und auch Kommentatoren in den USA.
    "Wir brauchen Akteure auf beiden Seiten, die dazu wirklich bereit sind"
    Kaess: Jetzt haben wir auf der anderen Seite diese Appelle wie zum Beispiel von Hillary Clinton, die sagt, wir müssen alles tun, um das Land wieder zu vereinen. Ist das überhaupt möglich im Moment?
    Garrett: Es ist ein schöner Appell. Es ist möglich, ja. Nichts ist alternativlos, mit Verlaub. Aber wir brauchen Akteure auf beiden Seiten, die dazu wirklich tatsächlich bereit sind. In den nächsten Tagen werden wir das nicht erleben, weil so viel auf dem Spiel ist mit den Zwischenwahlen. Die große Frage ist nach den Wahlen, inwieweit sind beide Parteien bereit zu versuchen, zu versöhnen. Aber es muss von beiden Seiten kommen. Kommt es nur von einer Seite, dann wird es nicht aufgehen.
    Kaess: Die Einschätzung von Crister Garrett. Er ist Professor für amerikanische Kultur und Geschichte an der Universität Leipzig. Danke für Ihre Zeit heute Mittag.
    Garrett: Sehr gerne, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.