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Paketchaos in den Städten
"Eine Riesenherausforderung für die gesamte Branche"

Der Paketversand werde weiter wachsen, jedes Jahr um mehrere Prozent, sagte Bernd Bienzeisler, Personalexperte des Fraunhofer-Instituts, im Dlf. Zur Bewältigung müssten echte Alternativen her. Regulationen durch die Politik wären dabei starke Eingriffe in die ökonomischen Freiheiten der Unternehmen.

Bernd Bienzeisler im Gespräch mit Sina Fröhndrich |
Im Paketzentrum Rostock in Groß Schwaß (Mecklenburg-Vorpommern) steht am 18.12.2013 ein LKW voller Pakete zur Entladung bereit. In diesen Tagen ist Akkordarbeit angesagt: 12.000 Pakete, das doppelte der sonst üblichen Menge, werden in Groß Schwaß täglich umgeschlagen. Foto: Bernd Wüstneck/ZB
Pakete suchen Empfänger (dpa)
Sina Fröhndrich: Wohin lassen Sie sich Ihre Pakete schicken, nach Hause oder an die Packstation?
Bernd Bienzeisler: Na ja. In Ermangelung an Alternativen lasse ich sie eigentlich doch nach Hause liefern. Ich muss dazu sagen: Bis vor wenigen Jahren konnte man das bei uns noch auch an den Arbeitgeber liefern lassen. Das hat man eingestellt, aus Sicherheitsgründen, und das geht auch bei immer weniger Arbeitgebern heutzutage.
Packstationen wäre eine Alternative. Man muss allerdings auch dazu sagen, dann müssen Sie erst mal wieder zur Packstation hinfahren. Das heißt, wenn Sie das unter gesamtverkehrlichen Gesichtspunkten betrachten, dann ist das nicht unbedingt vorteilhaft, wenn an eine Packstation geliefert wird. Im Moment werden die meisten Pakete tatsächlich nach Hause geliefert, was aber nicht heißt, dass es nicht auch bessere Alternativen geben könnte.
Gute Alternative: Abendzustellung in gebündelter Form
Fröhndrich: Welche wären das denn zum Beispiel? Sie haben gerade schon gesagt, die Packstation als zentrale Anlaufstelle ist es nicht.
Bienzeisler: Ja, Packstation kann schon ein Element sein, was hilfreich ist, wenn ich jetzt einen regelmäßigen Weg zur Arbeit habe und gehe immer wieder an einem bestimmten Ort vorbei und hole mir dort mein Paket möglicherweise aus der Packstation auf dem Weg nach Hause. Was natürlich auch eine Alternative wäre, wäre die Abendzustellung zu einem gewünschten Zeitpunkt, durchaus auch gebündelt. Stellen Sie sich vor, ich bestelle drei, vier Sachen die Woche; dann kriege ich dreimal die Woche ein Paket. Wenn ich jetzt die Möglichkeit hätte, mir diese Sendungen zu bündeln und mir die um 19 Uhr zustellen zu lassen, dann wäre das sicherlich ein Dienst, der für mich interessant wäre, wenn Sie berufstätig sind.
Allerdings muss man auch hier sagen: Wenn alle Leute natürlich ab 19 Uhr dann ihre Pakete haben wollen, dann gibt es auch wieder Probleme. Aber das sind schon Dinge, an denen wird auch gearbeitet und das hat Potenzial.
Die Idee vom zentralen Logistiklager für alle funktioniert nicht
Fröhndrich: Das hieße aber auch, dass die verschiedenen Paketzusteller ja zusammenarbeiten müssten.
Bienzeisler: Ja. Zusammenarbeiten ist natürlich immer so ein Punkt. Es gab schon in den 90er-Jahren die Idee, Konsolidierungscenter zu machen, nach dem Motto, man liefert die Pakete doch einfach irgendwo an ein zentrales Lager und dann wird es von dort verteilt. Da ist nicht allzu viel von übrig geblieben, von diesen Ideen, weil so einfach ist das auch nicht mit dieser Zusammenarbeit.
Fröhndrich: Aber wo ist das Problem daran? Das könnte man sich doch eigentlich ganz gut vorstellen: eine zentrale Logistik-Anlieferstelle in einer größeren Stadt, in einem bestimmten Stadtteil, und von dort wird dann zum Beispiel mit Elektro-Fahrrädern oder kleinen Elektro-Autos weitergeliefert, und eine Abholung ist vielleicht auch möglich.
Bienzeisler: Ja! Das mit dem Weiterliefern mit kleineren Fahrzeugen ist in der Tat interessant, muss man aber jetzt noch mal trennen von dem Thema Zusammenlegung von Paketströmen. Das ist in der Tat kritisch. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Der erste Grund ist, dass die Unternehmen doch unterschiedliche Prozesse und Geschäftsmodelle haben. Das sieht vordergründig so aus, die machen alle dasselbe. Dahinter stehen andere Kundengruppen, dahinter stehen andere Arbeitsprozesse, wie die Pakete sortiert, beladen werden, Tourenplanung, höchst unterschiedlich.
Das zweite ist: Wenn das jetzt ein neutraler Dritter machen würde, die Zustellung, dann würde natürlich die Marke der Unternehmen auch aus dem Stadtraum verschwinden. Auch wenn diese Autos vielleicht jetzt uns manchmal stören im Straßenverkehr, aber sie sind sehr präsent. DPD, Hermes, DHL – das sind Marken, die kennt jeder – UPS. Wenn diese Marke jetzt weg wäre, hätten die Firmen ein Problem.
Das dritte wird auch oft übersehen. Die Fahrzeuge, die fahren ja jetzt nicht leer durch die Gegend. Die sind schon sehr, sehr optimiert eingesetzt. Wenn das jetzt ein neutraler Dienstleister, wer auch immer übernehmen würde, dann wären da nicht weniger Fahrzeuge auf der Straße erst mal.
Ist die Politik als Regulierer gefragt?
Fröhndrich: Aber was bleibt denn dann? Wir können ja nicht davon ausgehen, dass wir in Zukunft weniger Paketaufkommen haben, sondern tendenziell eher noch mehr.
Bienzeisler: Das wird weiter wachsen, jedes Jahr um mehrere Prozent. Das ist auch eine riesige Herausforderung für die gesamte Branche. Was bleibt ist zum einen natürlich immer schon die Regulierungskeule. Da wird immer gesagt, die Politik müsste machen, oder Ähnliches. Aber ehrlich gesagt, das wären natürlich schon sehr, sehr starke Eingriffe in die ökonomischen Freiheiten der Unternehmen. Eigentlich will das auch niemand.
Mut zu Experimenten
Fröhndrich: …, dass man zum Beispiel die Lieferung bis zur Haustür verbietet als Stadt und sagt, damit wollen wir den Stadtverkehr entlasten.
Bienzeisler: … könnte man theoretisch. Ich weiß gar nicht, ob eine Stadt das rechtlich ohne weiteres machen kann. Das würde, glaube ich, sehr schnell vor höheren Gerichten landen und im Grunde will das auch keiner, seine Bürger irgendwo dort bevormunden. Wir glauben eher, dass es flexiblere Lösungen geben muss. Was auf jeden Fall richtig und wichtig ist, ist, mit kleineren Fahrzeugen im Innenstadtbereich zuzustellen, auch mit Lastenrädern, mit Sackkarren teilweise, wo Sie sehr hohe sogenannte Stoppdichten haben, sehr viele Punkte, wo Sie Pakete abgeben können, sie teilweise auch fußläufig zustellen, oder über Lastenräder. Aber da brauchen Sie dann auch Flächen, Flächen zum Umladen, zum Wiederauffüllen der Lastenräder, und diese Flächen gibt es nicht. Da könnte natürlich eine Stadt auch was machen, diese Flächen ein Stück weit bereitzustellen. Ich glaube, die Städte müssen auch einfach ein bisschen gucken, was funktioniert, und auch den Unternehmen dort ein bisschen an Möglichkeiten geben, neue Dinge zu erproben.
Fröhndrich: Das heißt, wir müssen uns noch ein bisschen länger darauf einstellen, dass die Straßen verstopft sind mit großen Paketwagen?
Bienzeisler: Ja, es sei denn, wir würden unser Kaufverhalten wieder grundlegend verändern. Aber davon ist erst mal nicht auszugehen. Ich fürchte, wir werden ein bisschen damit leben müssen.
An der Preisschraube drehen wird schwierig
Fröhndrich: Reden wir noch mal über den Preis. Sollte das Paket, das bis zur Haustür geliefert wird, deutlich teurer werden für die Besteller?
Bienzeisler: Das könnte sein, dass das irgendwann teurer wird. Allerdings muss man sagen, in Deutschland sind wir natürlich sehr verwöhnt worden, nicht zuletzt auch durch Amazon, durch kostenlose Lieferungen, und es wird sehr schwierig werden, den Kunden das wieder abzugewöhnen. Es müsste wahrscheinlich eher eine Kombination sein aus Preiserhöhung und Bequemlichkeit und auch echten Alternativen, das heißt auch in die Abendstunden mal liefern, teilweise auch an der Tür-zu-Tür-Übergabe. Da gibt es ja auch Lösungen, dass dann Pakete auch abgestellt werden können in entsprechenden Boxen oder Containern. Auch dafür gibt es Lösungen, ist auch nicht für jedes Objekt geeignet, aber da gibt es dann schon ein großes Potenzial. Weil wenn ich dann genau bestimmen kann, wo möchte ich als Kunde mein Paket heute hin haben, dann macht das die Sache natürlich auch einfacher.
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