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Pakistan hat "eine notorisch schlechte Regierungsführung"

Pakistan hat versäumt, aus vergangenen Flutkatastrophen zu lernen, sagt Christian Wagner. Dramatische Probleme bei der Energieversorgung und schwere Defizite beim Aufbau des Gesundheits- und Bildungssystems kommen hinzu - Pakistan macht sich seine Krisen selbst.

    Dirk Müller: Das hier ist schlimmer als der Tsunami, sagt die UN in Islamabad und meint damit die aktuellen Folgen der Flutkatastrophe. Mehr als 14 Millionen Pakistani sollen von den Wassermassen betroffen sein, Hunderttausende sind auf der Flucht, die Kritik an der Regierung wächst. Miserables Krisenmanagement lautet der Vorwurf, quer durch die politischen Reihen, quer durch die Bevölkerung. Vor allem Wut, Ärger und Enttäuschung über den Präsidenten des Landes, Asif Ali Zardari. Dieser hatte es sich nicht nehmen lassen, trotz der Hochwassersituation eine Woche in Europa zu verweilen. Das alles könnte dazu führen, dass die ohnehin fragile politische Lage im Land völlig aus dem Ruder läuft, warnen internationale Beobachter, mit all den negativen Folgen für die Region, einschließlich der Lage in Afghanistan und der Rolle der Taliban.
    Die Flutkatastrophe und die Politik, darüber sprechen wollen wir nun mit Pakistan- und Afghanistanexperte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Morgen!

    Christian Wagner: Guten Morgen!

    Müller: Herr Wagner, gibt es so etwas wie Krisenmanagement in Pakistan?

    Wagner: Nun, das Land befindet sich ja seit vielen Jahren in sehr unterschiedlichen Krisen und vor allem, was die Frage der Entwicklung anbelangt, zeigt sich doch, dass die Regierung eine Reihe von Versäumnissen aufzuweisen hat, und diese zeigen sich natürlich jetzt sehr extrem in der Handhabung dieser Flutkatastrophe.

    Müller: Ist das systemimmanent, diese Versäumnisse?

    Wagner: Pakistan zählt leider zu den Ländern, die eben seit vielen Jahren eine notorisch schlechte Regierungsführung haben. Das sehen wir an vielen internationalen Statistiken, wir sehen es an den unterdurchschnittlichen Bildungsindikatoren, der schlechten gesundheitlichen Versorgung, und es zeigt sich natürlich jetzt auch in der Handhabung der Infrastruktur, vor allem was die Vorsorge gegenüber dieser Flutkatastrophe anbelangt.

    Müller: Auch weil die Logistik nicht funktioniert?

    Wagner: Ja. Die Logistik hinkt natürlich in vielen Bereichen des Landes hinterher. Ich denke, sicherlich ist es eine Flutkatastrophe von bislang nicht gekanntem Ausmaß und die Armee ist überfordert. Aber ich denke, man hätte natürlich auch aus der Vergangenheit lernen können. Es ist nicht die erste Flutkatastrophe in Pakistan.

    Müller: Können Sie sich das erklären, warum der Präsident Zardari in dieser Situation außerhalb des Landes weilt?

    Wagner: Ja. Es ist in der Tat eine sehr schwierige Entscheidung gewesen. Es war abzusehen, dass die Flutkatastrophe natürlich politisiert werden würde. Er hat seinen Besuch in Großbritannien vor allem damit gerechtfertigt, die schlechten Beziehungen gegenüber Großbritannien zu verbessern. Er versucht nun natürlich, diese Reise als Erfolg darzustellen, dass er zusätzliche Hilfsgelder einwirbt zur Bekämpfung der Flutkatastrophe. Aber ich denke, er ist natürlich auch das Staatsoberhaupt und damit auch das Symbol für die Einheit des Landes. Er hätte sicherlich auch gut daran getan, zu Hause zu bleiben und hier die Lage zu beruhigen.

    Müller: Kritik und auch die Proteste, sie wachsen im Land. Beispielsweise der frühere Cricket-Star Imran Khan sagt, wieso wohnt unser Präsident im teuersten Hotel in London, während Tausende Menschen im Stich gelassen werden. Ist das bezeichnend für die Situation?

    Wagner: Ja. Es ist insofern bezeichnend, als natürlich abzusehen war, dass diese Flutkatastrophe auch politisiert werden wird. Zardari hat seit vielen Jahren mit schlechten Umfragewerten zu kämpfen und natürlich bemüht sich die Opposition, jetzt natürlich auch diese Flutkatastrophe zu ihren Gunsten zu politisieren. Es kommt an vielen Stellen zu kleineren Unruhen, auch gegenüber den staatlichen Hilfsmaßnahmen. Also von daher zeigt sich, dass die Unzufriedenheit mit der Regierung durch diese Flutkatastrophe wohl weiter anwachsen wird.

    Müller: Wir reden ja über Pakistan, gleichzeitig über ein sehr, sehr großes, nahezu unüberschaubares Land. Es gibt sehr viele Krisenherde. Aktuell auf der Diskussion ist ja auch wieder die Situation in Karachi. Auch dort hat es wieder gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben, Unruhen im Swat-Tal, die Auseinandersetzung in der Kaschmir-Frage. Geht das jetzt an die politische Substanz der Führung?

    Wagner: Das Land kämpft seit vielen Jahren tatsächlich mit einer Reihe von vielen kleinen und großen regionalen Krisen. Glücklicherweise konnte Premierminister Gilani die Lage in Karachi beruhigen. Dort war es ja zu schweren Ausschreitungen gekommen. Karachi ist zugleich das Wirtschaftszentrum des Landes. Hätte es dort wieder größere Unruhen gegeben, wäre es sicherlich mindestens ebenso katastrophal für die wirtschaftliche Entwicklung geworden. In der Tat ist es bislang eben der zivilen Regierung nicht gelungen, diese verschiedenen regionalen Konfliktherde im Land sowie den Kampf gegen den Terror entscheidend zu bekämpfen, und ich denke, auch diese Regierung hat bislang noch kein überzeugendes Konzept dafür entwickelt.

    Müller: Es gibt, Herr Wagner, den viel zitierten Satz, "erst kollabiert die Politik, dann der Behördenapparat, dann das Militär, dann der Staat". Reden wir über Pakistan?

    Wagner: Ich glaube nicht, dass wir über Pakistan sprechen. Wie gesagt, es gibt in Pakistan leider die Tradition einer für unsere Verhältnisse eher schlechten Regierungsführung. Spätestens an der Stelle, dass das Militär kollabiert, würde ich sagen, das ist eigentlich nicht zu sehen. Das Militär hält natürlich mit seiner Stärke das Land am Ende des Tages zusammen und ich denke, deshalb reden wir in diesem Falle glücklicherweise nicht von Pakistan.

    Müller: Umgekehrt, Herr Wagner, wenn ich Sie richtig verstanden habe, kann man so weit gehen zu sagen, Pakistan ist stabil?

    Wagner: Es ist nicht stabil. Es bleibt sicherlich ein Land, was auch in den nächsten Jahren gerade jetzt durch die Flutkatastrophe vor zahlreichen Problemen stehen wird. Die innenpolitische Situation bleibt fragil, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hat durch diese Flutkatastrophe jetzt, glaube ich, einen deutlichen Rückschlag erlitten. Das Land war ja bereits zuvor in einer Wirtschaftskrise. Wir haben dramatische Probleme bei der Energieversorgung, wir haben langfristige Probleme wie schwere Defizite beim Aufbau des Gesundheits- und Bildungssystems. Also Stabilität ist das sicherlich nicht, sondern es wird eben auch in den nächsten Jahren weiterhin zu großen und kleinen Krisen in Pakistan kommen.

    Müller: Afghanistan, die Taliban, das Grenzgebiet – hat sich dort in den vergangenen Jahren im Kampf gegen den Terror auch in Verbindung mit der amerikanischen Intervention etwas zum Positiven verändert?

    Wagner: Es hat sich sicherlich zum Positiven geändert, als wir heute in Pakistan eine größere Bereitschaft sehen, gegen eine Reihe von militanten Gruppen vorzugehen. Allerdings fehlt natürlich bislang noch die Bereitschaft vor allem aufseiten der pakistanischen Streitkräfte, gegen alle Taliban-Gruppen vorzugehen. Es gibt eben immer wieder zahlreiche Hinweise darauf, dass Pakistan weiterhin bestimmte afghanische Taliban-Gruppen unterstützt, um sich langfristig seinen Einfluss in Afghanistan zu sichern. Hier steht der Westen vor einer schwierigen Aufgabe, denn er weiß natürlich nicht, wie er Pakistan dazu bringen kann, letztendlich genauso entschieden gegen alle militanten Gruppen in dieser Grenzregion vorzugehen.

    Müller: Und die pakistanische Politik, Herr Wagner, weiß von diesen Bündnissen?

    Wagner: Die pakistanische Politik weiß sicherlich von diesem Bündnis, aber außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen werden vor allem von Seiten der Armeeführung getroffen. Hier hat die pakistanische Politik vergleichsweise wenig Handlungsspielraum. Das ist in einem Land, was in 60 Jahren in der Mehrzahl von Militärs regiert wurde, leider eine sehr unglückliche Entwicklung, aber hier hat eben auch die gewählte demokratische Regierung vergleichsweise wenig Handlungsspielraum. Außenpolitik gegenüber den beiden Nachbarn Indien und Afghanistan wird von den nationalen Sicherheitsfragen bestimmt, und die werden von der Armeeführung entschieden.

    Müller: Und der pakistanische Geheimdienst?

    Wagner: Der pakistanische Geheimdienst ist natürlich Teil der Armee. Allerdings wissen wir nicht und es ist eine große Frage, inwieweit es die pakistanische Armeeführung auch weiß, die steht hier vor einer schwierigen Aufgabe, denn vermutlich kooperieren Teile des Geheimdienstes weiterhin mit diesen afghanischen Taliban-Gruppen. Frühere Präsidenten und Generäle wie General Musharraf haben indirekt immer wieder zugegeben, dass eben ehemalige Mitarbeiter des pakistanischen Geheimdienstes offen mit afghanischen Taliban-Gruppen kooperieren. Das passiert weiterhin und das ist natürlich auch Teil der Strategie, den Einfluss gegenüber Afghanistan zu sichern.

    Müller: Bei uns heute Morgen Christian Wagner, Pakistan- und Afghanistan-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Wagner: Vielen Dank!
    Ein Wahl-Plakat zeigt das Poträt Asif Ali Zardaris, Pakistanischer Präsident und Witwer Benazir Bhuttos.
    Asif Ali Zardari, pakistanischer Präsident und Witwer Benazir Bhuttos. (AP)