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Pakistan kann sich politischen Bruch mit Washington nicht leisten

Pakistans Absage der Afghanistankonferenz Anfang kommender Woche zeige, dass der Druck auf die Regierung, die Beziehungen zu Washington zurückzuführen, enorm sei, sagt Friedensforscher Jochen Hippler. Die Erfolgsaussichten des Treffens seien aber ohnehin denkbar gering, eine Konfliktlösung nicht erkennbar.

Jochen Hippler im Gespräch mit Anne Raith |
    Anne Raith: Am vergangenen Samstag greifen NATO-Kampfhubschrauber zwei pakistanische Militärposten an der Grenze zu Afghanistan an. Dabei sterben mindestens 24 Soldaten. Die Reaktion erfolgt im Dreischritt. Zuerst sperrt Pakistan die Grenze für den NATO-Nachschub nach Afghanistan, dann fordert das Land die USA auf, eine Flugbasis im Südwesten binnen 15 Tagen zu räumen. Schließlich nun sagt Pakistan seine Teilnahme an der Afghanistankonferenz Anfang kommender Woche in Bonn ab. Dabei ist Pakistan ein Schlüsselland.

    Gründe und Folgen wollen wir in den kommenden Minuten vertiefen. Am Telefon begrüße ich Jochen Hippler, er ist Politikwissenschaftler und Friedensforscher an der Universität Duisburg und Autor des Buches "Das gefährlichste Land der Welt? – Pakistan zwischen Militärherrschaft, Extremismus und Demokratie". Einen schönen guten Morgen!

    Jochen Hippler: Guten Morgen, Frau Raith.

    Raith: Herr Hippler, die Absage, war das eine erwartbare Reaktion nach dem, was am Wochenende geschehen ist?

    Hippler: Ja. Es gibt in Pakistan, in der pakistanischen Innenpolitik ziemlichen Druck auf die Regierung, dass man die ungeliebte Verbindung zu Washington zurückführt wegen dieser wiederholten Drohnen-Angriffe jetzt, wegen dieser Tötung von vielleicht 24 Soldaten. Dieser Druck kommt eben nicht nur aus religiösen Richtungen, nicht nur von religiösen Extremisten, sondern auch aus der Mitte der Gesellschaft. Die Rechtsanwaltsvereinigung beispielsweise, die ja eine große Rolle beim Kampf für Demokratie in Pakistan haben, die hat ebenfalls in die Richtung gedrängt. Das heißt, da muss die Regierung schon was machen, um zu zeigen, dass sie es ernst meint, jetzt auch mehr Kritik an Washington zu äußern.

    Raith: Und kann sich Pakistan diese Reaktion gerade leisten, weil es am längeren Hebel sitzt?

    Hippler: Das würde ich nicht sagen, sondern das ist wirklich ein innenpolitischer Zwang, der teilweise eben auch sehr emotional ist, von Herzen kommt. Leisten ist ein wirtschaftliches Problem, weil man ja auch von Washington seit dem 11. September beträchtliche Finanzmittel bekommen hat, vielleicht 15 Milliarden Dollar inzwischen. Da wird man nicht drauf verzichten können. Auch politisch wäre es sehr heikel, wirklich mit Washington zu brechen. Das heißt, man muss jetzt zeigen, dass man kritisch ist gegenüber den USA, aber einen richtigen Bruch zu vollziehen, das wird man sich eben politisch und wirtschaftlich kaum leisten können.

    Raith: Sie sagen, ein Bruch wird nicht kommen. Aber was glauben Sie denn, wie dauerhaft diese Missstimmung, diese Anspannung jetzt sein wird?

    Hippler: Es wird sich schon ein bisschen länger hinziehen. Wir haben ja schon seit Monaten oder seit ein paar Jahren immer wieder Konflikte und Schwierigkeiten. Wir hatten diesen Krach nach der Tötung von Osama bin Laden durch eine amerikanische Sondereinheit, da sind 76 schwer bewaffnete amerikanische Soldaten ohne Wissen der pakistanischen Regierung quer durchs Land geflogen, um diesen Einsatz durchzuführen. Da hat man wirklich das auch als eine Verletzung der Souveränität wahrgenommen. Die Drohnen-Angriffe ... Und umgekehrt wirft natürlich Washington Pakistan immer vor, es würde nur halbherzig unterstützen den Kampf in Afghanistan, es würde eben manchmal auch noch kungeln mit irgendwelchen Aufständischen. Da ist von beiden Seiten eben wirklich sehr viel Porzellan zerschlagen worden. Das wird diesmal wahrscheinlich etwas länger dauern, das wieder zu korrigieren.

    Raith: Und doch drängen die USA Pakistan gerade, doch noch an der Konferenz am kommenden Montag teilzunehmen, ebenso wie Deutschland als Gastgeber der Konferenz. Glauben Sie, dass ein Einlenken überhaupt realistisch ist in dieser kurzen Zeit?

    Hippler: Es wäre wünschenswert und die Regierung in Pakistan würde sicher ganz gerne einlenken. Aber es spricht einiges dafür, dass der innenpolitische Druck im Moment so hoch ist, dass die sich das nicht wagen werden. Wir haben eben wirklich Druck aus dem Militär selber, die eigentlich Interesse auch hätten an Zusammenarbeit mit Washington wegen Waffenlieferungen, wegen Militärhilfe. Trotzdem besteht da ein sehr großer Druck. Wir haben eben aus der Zivilgesellschaft, aus den säkularen Kräften Druck, wir haben aus den religiösen Kräften Druck, da müsste die Regierung schon wirklich ein sehr hohes Risiko eingehen, jetzt sehr schnell einzulenken, bevor der Kongress beginnen wird.

    Raith: Nun gelten Pakistan und Afghanistan als untrennbare Einheit, als Siamesische Zwillinge, wie der afghanische Präsident Karsai sagt. Was kann dann auf der Afghanistan-Konferenz ohne Pakistan überhaupt erreicht werden?

    Hippler: Ich glaube, dass die Konferenz ohnehin nicht sehr viel erreichen kann. Der Krieg in Afghanistan ist nicht mehr zu wenden. Man ist ja schon dabei, den Ausstieg abzuwickeln aus NATO-Perspektive, und das tut man eben, weil man keine Erfolgsperspektive mehr sieht, auch wenn das öffentlich natürlich nicht so gesagt werden würde. Letztlich geht es eben wirklich darum, politisch den eigenen Abzug damit vorzubereiten, die Schuld am Nichterfolg, am Scheitern dieses Einsatzes möglichst nicht an die NATO heranzulassen und zu versuchen, die Folgen dieses Abzugs nicht in eine zusätzliche beschleunigte Destabilisierung der afghanischen Regierung führen zu lassen. Das ist so die heimliche Agenda dieser diplomatischen Veranstaltung. Da hätte man natürlich Pakistan gern dabei gehabt, um den Rahmen zu vervollständigen. Zu einer Konfliktlösung allerdings wird die Konferenz – das kann ich überhaupt nicht erkennen – sicher keinen Beitrag leisten, mit oder ohne Pakistan nicht.

    Raith: Das Verhältnis gerade zu den USA – Sie haben es ja auch angesprochen – war ja ohnehin mehr als belastet vonseiten Pakistans. Welcher Beitrag wäre überhaupt zu erwarten gewesen, würde Pakistan teilnehmen?

    Hippler: Ich glaube, dass Pakistan eine wichtige Rolle spielen könnte, wenn der Kern des Afghanistankonfliktes, des Afghanistankrieges in Afghanistan gelöst würde, also wenn es tatsächlich Ansätze gäbe in Afghanistan, diesen Konflikt auszutrocknen – zu lösen ist schon ein bisschen anspruchsvoll. Dann könnte Pakistan wegen seines Einflusses auf bestimmte Gruppen sicher einen sehr sinnvollen notwendigen Beitrag leisten, das ist gar keine Frage.

    Raith: Die sehen Sie aber offensichtlich nicht, Herr Hippler.

    Hippler: Nein, das sehe ich nicht mal ansatzweise. Die Taliban haben einen großen Kompromiss mit der Regierung nicht mehr nötig. Man hat eben gemerkt, dass die NATO auf dem Rückzug ist, man ist von der NATO nicht besiegt worden. Wissen Sie, die NATO müsste den Krieg eigentlich gewinnen als die größte Militärmacht der Welt gegen vielleicht 30.000 bärtige, Turban tragende, schlecht bewaffnete Leute, die vielleicht 30 Millionen, 40 Millionen Dollar im Jahr in den Krieg investieren können. Alleine die USA zahlen vielleicht eine, eineinhalb Milliarden Dollar im Monat dafür. Den Krieg nicht zu verlieren, das ist der politische Triumph für die Taliban in Afghanistan, und wenn jetzt die NATO abzieht, warum sollte man noch große Kompromisse eingehen. Die Notwendigkeit ist aus Talibansicht wirklich nicht mehr besonders entwickelt.

    Raith: Sie sagen, von der Afghanistankonferenz wird kein Signal, keine Lösung, wird wenig ausgehen. Was bedeutet das dann für die Entwicklung in der Region?

    Hippler: Nun, die Gefahr ist eben, dass mit oder ohne NATO-Truppen der Bürgerkrieg weitergeht. Der Krieg ist ja nun auch schon 20 Jahre länger im Gange, als die NATO interveniert hat, und wenn sie jetzt abzieht, wird es möglicherweise eine Tendenz geben, diesen Bürgerkrieg in anderer Form weiterzuführen. Das könnte dazu führen – das ist allerdings jetzt ein bisschen spekulativ -, dass dann die Nachbarländer, die Nachbarländer Pakistan natürlich, erneut Iran, möglicherweise die zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken, dass die jetzt auch wieder ein stärkeres Interesse kriegen könnten, in dem Land mitzumischen, und solche ausländischen Einmischungen, ob es jetzt von Russland oder der Sowjetunion früher war, von den USA war, der NATO war, oder den Nachbarländern, sind in Afghanistan eher immer konfliktverschärfend gewesen. Das heißt, ein Konfliktende kann ich mir in den nächsten Jahren weder mit NATO, noch ohne NATO vorstellen.

    Raith: Der Duisburger Politikwissenschaftler und Friedensforscher Jochen Hippler im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank.

    Hippler: Sehr gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.