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Paläoanthropologen-Kongress
Dauerstreit um Neandertaler-Kunst

Neue Funde und neue Datierungen von prähistorischen Artefakten deuten in die gleiche Richtung: Die Kunst hat nicht erst der Homo sapiens "erfunden", sondern bereits der Neandertaler. Aber noch wollten sich nicht alle Forscher mit diesem Gedanken abfinden, sagte der Wissenschaftsjournalist Michael Stang im Dlf.

Michael Stang im Gespräch mit Christiane Knoll | 14.09.2018
    Die Malerei in der Höhle La Pasiega in Spanien stammt vom Neandertaler
    Die Malerei in der Höhle La Pasiega in Spanien stammt vom Neandertaler (P. Saura)
    Christiane Knoll: Im Februar sorgten gleich zwei Publikationen im Fachblatt "Science" für Aufsehen. In mehreren Höhlen in Spanien waren Malereien entdeckt worden, die auf frühe menschliche Kunst hindeuten. Das "Problem": Die Höhlenmalereien entstanden vor mehr als 60.000 Jahren. Die einzigen Menschen, die damals auf der iberischen Halbinsel lebten, waren Neandertaler. Naheliegende Schlussfolgerung: Die Höhlenmalereien stammen von den Neandertalern.
    Glauben mochte das freilich nicht jeder. Experten zweifelten die Datierung an. Bei der Jahrestagung der Zunft, dem "Annual Meeting of the European Society for the study of Human Evolution" im portugiesischen Faro war deshalb eine heftige Debatte zu erwarten. Gestern hat die Konferenz begonnen, für uns dabei ist Michael Stang, und mit ihm habe ich über den Disput gesprochen. Worum und um welche Höhlenmalereien geht es da eigentlich?
    Michael Stang: Da sind diverse Höhlenmalereien; die meisten Höhlen sind in Spanien, und gestern wurden dann in verschiedenen Vorträgen auch neue Datierungen von insgesamt sechs Höhlen vorgestellt, die auch alle reproduziert werden konnten. Das sind etwa die Zeichnungen von La Pasiega und Co, und alle sind weit älter als 64.000 Jahre. Die Bilder sind meist geometrische Figuren, also eine Anordnung von roten Strichen - das ist noch alles sehr ursprünglich. Aber es handelt sich eindeutig um Kunst und es wurden auch, muss man sagen, damals Pigmente aus unterschiedlichen Orten in diese Höhlen gebracht. Dort gab es kein Tageslicht, man musste also Licht dort mit rein nehmen. Das heißt, es war alles von langer Hand geplant, und die Zeichnungen, sagen die Forscher, die sind so komplex, also komplizierter, als dass das alles zufällig entstanden sein könnte.
    Datierungen sind reproduzierbar
    Knoll: Die offene Flanke sind die Datierungen. Wie datieren die Forscher denn die Zeichnungen?
    Stang: Dazu gibt es mehrere Methoden, je nachdem, was für Material zum Datieren vorliegt. Meist ist das sogenannte Uran-Thorium-Methode. Da werden Tropfsteine oder Kalzit-Auskrustungen, die auf einer Zeichnung gewachsen sind, datiert. Dann hat man also ein handfestes Mindestalter dieser Zeichnung. Diese Ergebnisse sind eben reproduzierbar, und der Vorwurf, dass die Datierung der Höhlenmalereien fehlerhaft sein könnten, also dass ein zu hohes Alter angegeben wurde, das wurde abgewehrt. Die Beweise sind wirklich deutlich, und die verschiedenen Datierungen zeigen einfach, dass Menschen schon vor sehr langer Zeit künstlerisch tätig geworden sind.
    Überreste der Künstler fehlen bislang
    Knoll: Woher rührt denn dann der Streit, zumal wenn die naturwissenschaftlichen Datierungen reproduzierbar waren?
    Stang: Einige Wissenschaftler wollen es offenbar nicht wahrhaben, dass Neandertaler diese Malereien verursacht haben können. Aber diese Zeichnungen sind einfach so alt, dass es derzeit keine andere plausible Erklärung gibt. Das Problem der Kritiker ist, dass Neandertaler jetzt damit auch in dieser Hinsicht - also künstlerisch tätig zu sein - unseren Vorfahren in nichts nachstanden, und der Unterschied zwischen beiden Menschenformen ist damit wieder kleiner geworden. Das erinnert ein bisschen an die Debatte, ob es Vermischungen zwischen Homo sapiens und Neandertaler gegeben hat, das wollte auch lange keiner wahrhaben, bis dann der gegenteilige Beweis aus der Genetik kam.
    Aber - ein kleines Problem hier noch: Es gibt keinen direkten Beweis, wer der Künstler ist - denn man hat nur die Zeichnungen und keine Knochen. Deswegen sagen die Kritiker ja, vielleicht finden wir später mal Knochen oder Beweise, dass Homo sapiens früher nach Europa gekommen ist, dann könnte das auch wieder mit den Malereien passen. Ich habe mit vielen Wissenschaftlern hier in Faro gesprochen und da wird teilweise mit Tricks gekämpft, etwa dass Gegenmeinungen nicht im Austausch geklärt werden, sondern die Debatte dann nur über die Fachjournale läuft, die dann auch wieder die Kritik und die Gegenrede publizieren. Und das, muss man sagen, ist das Bittere in der Wissenschaft: Was einmal veröffentlicht ist, auch wenn es sich später nachweislich als falsch herausstellt, das wird immer wieder zitiert, und somit bleiben auch solche teilweise auf schwachen Argumenten beruhende Kritiken in der Welt.
    Knoll: Das Thema ist doppelt aktuell; diese Woche wurde im Fachmagazin "Nature" auch eine Studie publiziert, nach der bereits vor 70.000 Jahren in Südafrika Menschen Malereien angefertigt haben. Wo genau liegen denn die Ursprünge der Malerei?
    Stang: Diese 70.000 Jahre sind bislang der älteste Beweis für Höhlenmalereien, erstaunlicherweise in Südafrika. Aber die Ursprünge könnten auch ganz woanders liegen. Die Forscher sagen auch, dass sie davon ausgehen, dass noch ältere Funde in den nächsten Jahren entdeckt werden. Offenbar ist das Bemalen von Steinen oder von ganzen Wänden in Höhlen etwas Ur-Menschliches. Und das ist eigentlich egal, ob das jetzt Neandertaler oder Homo sapiens waren. Und offenbar ist das bei der Kunst so, wie in vielen anderen Bereichen - manche Künstler, ob das jetzt Neandertaler oder anatomisch moderne Menschen waren, die lassen sich nicht einfach in eine Schublade stecken, die sich Wissenschaftler heute überlegt haben.