Die Geschichte, die der britische Paläanthropologie Chris Stringer erzählt, beginnt 1933 in China. "Eine Gruppe von Arbeitern baute für die japanischen Besatzer in der Stadt Harbin eine Brücke über den Fluss und entdeckte dabei den Schädel. Der Vorarbeiter wollte nicht, dass die Japaner ihn bekommen. Also steckte er ihn in seine Tasche. Er nahm den Schädel mit nach Hause und beschloss, ihn einzupacken und in einem alten Brunnen zu verstecken."
Dort lag er über 80 Jahre lang. Erst kurz vor seinem Tod hat der Vorarbeiter seiner Familie von dem Fund erzählt. Seine Enkel übergaben den Schädel 2018 Professor Ji von der Hebei GEO Universität. Doch bevor der Wissenschaftler nachfragen konnte, wo genau der Schädel 1933 ausgegraben wurde, war der Entdecker verstorben. Somit gibt es nur den Fund ohne Fundzusammenhang. Der chinesische Paläanthropologie kontaktierte einen britischen Kollegen Chris Stringer vom Naturhistorischen Museum in London und gemeinsam machte sich das Team an die Datierung und Analyse des fast vollständig erhaltenen Schädels.
"Größter Schädel, den ich jemals gesehen habe."
Nun erscheinen drei Fachpublikationen, in denen der Fund als neue Menschenart names Homo longi beschrieben wird: "Homo longi, das bedeutet Drachenmann und es ist ein großartiger Name. Zur Begründung: Die Stadt Harbin liegt in der Provinz Dragon River in China. Der Schädel gehörte vermutlich zu einem Mann, alles ist sehr robust, es gibt große Überaugenwülste. Das ist der größte menschliche Schädel, den ich jemals gesehen habe, sehr beeindruckend."
Die Datierungen ergeben ein Mindestalter von 146.000 Jahren. Anatomische Vergleichsanalysen zeigen, dass diese neu beschriebene Art näher mit Homo sapiens verwandt ist als Homo sapiens mit Neandertalern. Leider gebe es nur den Schädel des rund 50 Jahre alten Mannes und keine weiteren Knochen oder Werkzeuge, so Chris Stringer. Doch es gibt Vermutungen, wie die Vertreter von Homo longi gelebt haben könnten.
"Interessant ist auch, dass es in Harbin, selbst in der aktuellen Warmzeit, extrem kalte Winter gibt. Also muss dieser Mann damals ähnlich kalte Winter erlebt haben, die durchschnittlichen Wintertemperaturen in einigen Monaten liegen heute bei minus 16 Grad Celsius. Ich vermute, dass diese Menschen nicht nur körperlich an die Kälte angepasst waren, sondern es auch mit ziemlicher Sicherheit kulturelle Anpassungen gab, wie etwa das Bauen von Unterkünften, das Herstellen von Kleidung und das Beherrschen des Feuers."
Sind Homo longi und die Denisova-Menschen identisch?
Vor 146.000 Jahren hatte es unsere Spezies Homo sapiens noch nicht in diese Gegend Asiens geschafft, die Neandertaler auch nicht, aber noch eine andere Gruppe lebte damals dort: die Denisova Menschen.
"Eine der offenen Fragen ist die Beziehung des Harbin-Schädels und der Gruppe ähnlicher Fossilien zu den Denisova-Menschen. Von den Denisovan-Menschen aus Ostasien kennen wir sehr gut die Genetik. Von der anderen Linie rund um Homo longi kennen wir jetzt die Schädelanatomie sehr gut. Ist das vielleicht ein und dieselbe Linie? Es wäre toll, das zu wissen. Aber natürlich können wir erst sicher sein, wenn wir einen vollständigen Schädel mit einem Denisova-Genom haben. Ich denke aber, dass es sich bei diesem Exemplar wahrscheinlich um den eines Denisova-Menschen handelt."
Derzeit ist nicht klar, ob der Schädel noch brauchbares Erbgut enthält und ob das Fossil überhaupt für eine Analyse beprobt werden darf. Damit wird es noch eine Weile dauern, bis die Verwandtschaftsverhältnisse geklärt sind.