Schauen sich Genetiker das Erbgut heute lebender Menschen an, sehen sie das Resultat einer sieben Millionen Jahre langen Menschwerdung. In dieser Zeit kamen neue Fähigkeiten hinzu, andere wurden nicht mehr gebraucht. Das betrifft Dinge wie den aufrechten Gang, die Vergrößerung des Gehirns, aber auch Bereiche wie die des Stoffwechsels, einschließlich der Ernährung. Wann und wie diese Veränderungen passierten, können Genetiker wie George Perry von der Pennsylvania State University untersuchen.
"Es ist fantastisch, dass wir ganze Genome von ausgestorbenen Menschenarten erforschen können. Es ist wirklich unglaublich, was heute in der Wissenschaft möglich ist."
Denn den Forschern steht nicht nur das Genom heute lebender Menschen zur Verfügung sowie das unseres nächsten lebenden Verwandten, des Schimpansen, sondern mittlerweile liegen auch das Erbgut der Neandertaler sowie das der vor 40.000 Jahren ausgestorbenen Denisova-Menschen aus Sibirien vor. Legen Forscher diese Datensätze übereinander, können sie solche Veränderungen aufspüren. George Perrys Hauptaugenmerk gilt der Verdauung.
"Die Ernährung von Menschen unterscheidet sich deutlich von allen anderen Primaten. Diese Unterschiede können wir in archäologischen Hinterlassenschaften nachweisen, manchmal auch direkt an den Knochen. Um zu verstehen, wann und wie diese Unterschiede entstanden sind, haben wir uns bestimmte Gene im Erbgut von Denisova-Menschen und Neandertalern anschaut, die bei der Ernährung wichtig sind."
Der US-Genetiker konzentrierte sich dabei auf Erbeinheiten, in denen sich Menschen deutlich von anderen Primaten unterscheiden. Denn nur dort, so die Überlegung, lässt sich erkennen, wann welche Veränderungen im menschlichen Stammbaum genetisch betrachtet auftraten. Die Frage war: Gibt es überhaupt genetische Unterschiede im Bereich der Ernährung bei allen drei menschlichen Vertretern? Und wenn ja, kann man diese auch zeitlich verankern?
"Es können ja sehr viele Gene daran beteiligt gewesen sein und wir haben bisher keine Ahnung, wie groß ihre Rolle bei der Anpassung der Ernährung im Zuge der Menschwerdung tatsächlich war. Aber wir kennen ein paar Gene sehr gut, welche definitiv bei der Ernährung beteiligt sind, etwa ein Gen, welches für den Rezeptor verantwortlich ist, der das Bitterschmecken ermöglicht, was wichtig ist, wenn man etwa eine Frucht essen möchte."
Wer durch die Gegend streift und von der Hand in den Mund lebt, sollte giftige Pflanzen schmecken können, bevor er sie zerkaut und schluckt. Schimpansen verfügen über diesen Bitterrezeptor, heutige Menschen nicht mehr. Hatten ihn aber noch Neandertaler und Denisova-Menschen? Zudem haben George Perry und seine Kollegen ein Enzym analysiert, das bei der Zersetzung von Stärke wichtig ist; des Weiteren schauten sie nach einem Gen, das sich für die Bildung bestimmter Muskelfasern der Kaumuskulatur verantwortlich zeichnet. Dieses kommt in allen nichtmenschlichen Primaten vor, jedoch nicht in heutigen Menschen. Das Fehlen dieses Proteins könnte vielleicht die Verkleinerung des menschlichen Kieferapparates im Zuge der Menschwerdung erklären.
"Und dieses Protein für die Kaumuskulatur gab es bei den Denisova-Menschen und den Neandertalern schon nicht mehr, es muss also schon sehr früh im menschlichen Stammbaum verloren gegangen sein, gleiches gilt für zwei Rezeptoren-Gene für das Bitterschmecken. Hingegen ist die genetische Fähigkeit, Stärke in großen Mengen aufzuspalten, eine neue menschliche Errungenschaft. Sie hat sich erst in den vergangen 600.000 Jahren entwickelt."
Sie ist also erst lange nach der Trennung der gemeinsamen Vorfahren von Neandertalern, Denisova-Menschen und Homo sapiens bei unseren Vorfahren entstanden. Stärkehaltige Nahrung sollte im Laufe der jüngsten Menschheitsgeschichte immer wichtiger werden. Heute ist sie aus dem Speiseplan nicht mehr wegzudenken.