Die Baishiya-Karst-Höhle in Tibet ist bei Touristen nicht besonders beliebt. Denn der Abstieg gilt als gefährlich. Was vor 160.000 Jahren Denisovaner dorthin verschlagen hat, in eine Höhe von mehr als 3.000 Metern, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Doch der Fund zeigt, dass unsere Verwandten sehr anpassungsfähig waren, sagt Jean-Jaques Hublin vom Max-Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
"Es ist das erste Mal, dass in einer solchen Umgebung ein Frühmensch gefunden wurde. Bis jetzt konnte sich niemand vorstellen, dass in dieser Höhe Menschen gelebt haben. Vor allem nicht während einer Kälteperiode im Pleistozän. Dieser Fund ist aber auch extrem spannend, weil wir Denisovaner bisher nur in der Denisova Höhle gefunden haben und allein anhand ihrer DNA identifizieren konnten. Wir wussten praktisch nichts über ihre Morphologie, ihr Aussehen. Und jetzt haben wir einen fast kompletten Kieferknochen, der mehr als 2.000 Kilometer von der Denisova Höhle entfernt gefunden wurde."
Proteine halfen bei der Bestimmung des Denisova-Knochens
Entdeckt wurde dieses wertvolle Fossil schon 1980. Tibetische Mönche nutzten die Höhle als religiöse Stätte und sammelten dort Knochen, die sie zermahlten und zu Medizin verarbeiteten. Doch glücklicherweise entging der Kieferknochen diesem Schicksal. Auf Umwegen landete er fast 40 Jahre später auf den Labortischen des Leipziger Max-Planck Instituts. Zwar konnten die Forscher keine Erbsubstanz mehr aus dem Fossil isolieren. Doch es gelang ihnen, Proteine zu gewinnen. Anhand des spezifischen Musters dieser Eiweiße konnten sie den Kieferknochen den Denisovanern zuordnen. Und erstmals mehr über das Aussehen dieser Frühmenschenform herausfinden.
"Der Kieferknochen zeigt ein paar Besonderheiten. Zum Beispiel sind die Backenzähne wirklich groß - die größten, die aus dieser Zeitperiode gefunden wurden. Und sie passen anatomisch zu den Zähnen der Denisovaner, die aus der Denisova Höhle stammen. Außerdem sehen wir, dass die Form der Wurzeln der Backenzähne anderen Fossilien ähnelt, die wir in China gefunden haben. Das alles sind deutliche Hinweise darauf, dass diese Fossilien zur gleichen Menschenform gehören und dass die Denisovaner nicht nur im Altai Gebirge und in Tibet gelebt haben, sondern auch in Regionen Asiens, die weit davon entfernt liegen."
Ein Denisova-Gen erleichtert das Leben in großer Höhe
Und ein weiteres spannendes Detail konnten Jean-Jaques Hublin und seine Kollegen enthüllen: Schon länger war bekannt, dass die heute in Tibet lebenden Menschen ein spezielles Gen von den Denisovanern geerbt hatten. Dank dieses Gens können sie sich an den geringen Sauerstoffgehalt in großer Höhe anpassen.
"Warum die Tibeter dieses Gen von den Denisovanern geerbt hatten, war nur sehr schwer zu verstehen. Denn die Denisova-Höhle liegt ja in nur 700 Metern Höhe. Aber jetzt, wo wir die Denisovaner auch auf dem Tibetischen Plateau gefunden haben, ist klar, warum sie dieses Gen brauchten. Und warum es in dieser Region Vorteile gebracht hat und deshalb im Genpool der modernen Menschen erhalten geblieben ist, als diese dort einwanderten."
Warum die Denisovaner ausstarben ist unklar
Warum sich die Denisovaner trotz dieses Vorteils nicht gegen den modernen Menschen durchsetzen konnten, bleibt zwar weiterhin unklar. Doch klar ist, dass die menschliche Evolution in Asien wesentlich abwechslungsreicher verlief, als Jean-Jaques Hublin und viele seiner Kollegen vermutet haben.
"Als ich vor langer Zeit meine Doktorarbeit geschrieben habe, war ich ein bisschen frustriert. Denn ich dachte, alle wichtigen Fossilien wären schon gefunden worden: Der Neandertaler, Homo erectus. Ich hatte Angst, dass es für mich nichts mehr zu entdecken gab. Aber ich hätte mich nicht stärker irren können! Seit meiner Doktorarbeit haben wir mehr menschliche Fossilien gefunden, als im ganzen Jahrhundert zuvor. Mit der Entdeckung des Denisovaners, des Homo floresiensis, Homo naledi in Afrika und andere wissenschaftliche Durchbrüche. Und es sieht so aus, als wäre kein Ende in Sicht. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir die Komplexität der menschlichen Evolution während der vergangenen zwei Millionen Jahren immer besser verstehen lernen."