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Paläontologie
Die Atacama-Wüste als marines Massengrab

Vor vier Jahren stießen Bauarbeiter beim Ausbau des Pan-American-Highways am Rande der Atacama-Wüste in Chile auf riesige versteinerte Knochen: Zeugnisse eines Massensterbens von Meerestieren. Der "Hügel der Wale" könnte eine der größten und wichtigsten Ausgrabungsstätten der Paläontologie werden.

Von Michael Stang |
    Walknochen, Paläontologie, Knochenfunde, Ausgrabung
    Die chilenische Paläontologin Ana M. Valenzuela-Toro mit dem Fund MPC 677 am Cerro Ballena. (Smithsonian/NMNH, Nick Pyenson)
    Denn diese Fundstelle, so Nick Pyenson, der Kurator für fossile Meeressäugetiere des US-amerikanischen Smithsonian Museums für Naturgeschichte in Washington, DC, ist der weltweit erste fossile Beleg für wiederholte Massenstrandungen von Tierkadavern an einer Stelle – ein flacher Küsten-Bereich, der im Einfluss der Gezeiten lag.
    "Diese Fundstätte ermöglicht einen einmaligen Einblick in lang vergangene marine Ökosysteme. Erhalten haben sich dort viele Arten von großen Meeressäugetieren, die vor sechs bis neun Millionen Jahren lebten. Wir haben hier also eine Art Fenster in die Vergangenheit. Und indem wir diese Fossilien analysieren, können wir verstehen, wie die Ökosysteme damals funktionierten und wie sie sich diese im Laufe der Zeit verändert haben."
    Die Sedimentschicht, in der die Paläontologen die Fossilien entdeckten, ist neun Meter dick. Gestorben sind die Tiere dort jedoch nicht. Der Anordnung der Kadaver zufolge wurden sie erst nach ihrem Tod an eben diese Stelle gespült und rasch im flachen Wasser von feinem Sediment bedeckt. Bei den nun entdeckten Tieren handelt es sich um Furchenwale, einen Walrosswal, Bartenwale, ein im Meer lebendes Faultier, zudem Haie, darunter teils unbekannte Arten.
    "Dazu Robben, Schwertfische, Pottwale. Das war eine riesige Ansammlung. Und, was wir dann entdeckten war, dass es nicht nur eine Schicht war, sondern gleich vier. Alle Knochen wurden also nicht in einem Rutsch dort eingelagert, sondern dieses Sterbeszenario passierte vier Mal."
    Die Skelette wurden alle innerhalb eines Zeitraums von 10.000 bis 16.000 Jahren dort eingebettet. Aber bevor sich Nick Pyenson über den Grund dieses vierfachen Massensterbens vor sechs bis neun Millionen Jahren Gedanken machen konnte, wartete eine ganze andere Herausforderung auf ihn.
    "Das größte Problem war, dass wir unglaublich viele Skelette hatten, aber nur unglaublich wenig Zeit, das alles zu analysieren."
    Die Knochen mussten weg, denn der Pan-American-Highway musste weiter ausgebaut werden. Die Baufirma und die Regierung machten Druck, in drei Monaten würden – so oder so – die Bauarbeiten weitergehen.
    "Ich verließ Chile und überlegte zu Hause die ganze Zeit, wann und wie wir wieder zurückkommen und diese ganzen Informationen sichern könnten. Da fiel mir eine neue Arbeitsgruppe hier am Smithsonian Institut ein, die mit 3D-Laserscannern arbeitet. Zwei Mitarbeiter – die Laser-Cowboys – hatten glücklicherweise Zeit. Wir packten alles zusammen, flogen nach Chile und wagten das Experiment. Binnen einer Woche hatten wir einen Großteil der Fossilien fotografiert und gescannt."
    Die neuartige 3D-Technologie ermöglichte den Paläontologen eine rasche und dennoch detaillierte Dokumentation der Fundstätte; normalerweise verschlingt das Freilegen, Zeichnen, mehrfache Fotografieren und sonstige Aufnehmen aller Daten viel Zeit. Auf seiner Webseite hat Nick Pyenson die Arbeiten festgehalten: Ein Zelt wurde über die Fundstätte gebaut, die Fossilien wurden grob freigelegt und dann mit einem handlichen Laserscanner dreidimensional erfasst. Anschließend mussten die Fossilien hastig teils in ganzen Blöcken geborgen und in ein nahegelegenes Museum gebracht werden. Dort werden sie in den kommenden Jahren Stück für Stück präpariert und analysiert. Bleibt die Frage: Was führte zum Tod der Tiere?
    "Die Liste mit Gründen, die zu diesem Massensterben geführt hat, ist recht kurz. Viele Erklärungen kann man schnell ausschließen, wenn man die Biologie und Geologie genauer anschaut. Die beste Erklärung ist unserer Meinung nach eine tödliche Algenblüte. Die Algen produzieren Gifte, die sich in den großen Tieren wie Robben oder Walen schnell in riesigen Mengen ansammeln."
    Dieser Giftcocktail könnte aber nicht nur den Tod der mehr als 40 nun entdeckten Tiere herbeigeführt haben, so Nick Pyenson. Erste geologische Analysen deuten darauf hin, dass das seichte Gewässer einst auch noch einige Dutzend Meter vom heutigen und mittlerweile ausgebauten Highway entfernt seine Spuren hinterlassen hat. Damit könnte das tierische Massengrab noch weitaus größer sein als bislang bekannt. Weitere Ausgrabungen sollen so schnell wie möglich folgen.