"Uns ging es im Prinzip darum, die Frühgeschichte des Menschen in der Eiszeit, das heißt vor der Einführung der Landwirtschaft, in Europa oder hauptsächlich Westeurasien zu untersuchen", sagt Johannes Krause. Der Paläogenetiker vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena hat zusammen mit mehr als 60 Kollegen von drei Kontinenten ein Mammutprojekt gestemmt. Mithilfe neuer molekularbiologischer Methoden gelang es den Forschern, Einblicke in die Besiedlung Europas zu gewinnen, die archäologische Ausgrabungen nicht liefern können.
"Was war der Einfluss der letzten großen Vergletscherung Europas auf die genetische Struktur? Gab es Einwanderungen, nachdem die ersten Menschen nach Europa gekommen sind? Haben die ersten modernen Menschen, die nach Europa gekommen sind, direkt Nachfahren hinterlassen oder sind die vielleicht zwischendurch wieder ausgestorben und gab es wieder eine neue Einwanderung?"
Um diese Fragen zu beantworten, haben die Genetiker 51 Skelette aus ganz Europa untersucht. Die Proben stammen unter anderem aus Rumänien, Deutschland und Spanien. Zudem flossen Daten aus bereits veröffentlichten Studien in die Analyse ein. Die ältesten Skelette sind rund 45.000 Jahre alt, die jüngsten 7.000 Jahre. Ziel der Forscher war, Veränderungen im Erbgut zu erkennen, die in den vergangenen 35.000 Jahren stattgefunden haben. Solche Veränderungen entstehen, wenn sich verschiedene Populationen vermischen, und sind damit ein zuverlässiger Indikator für historische Völkerwanderungen.
Nur einzelne Bereiche des Erbguts werden untersucht
Statt das gesamte Genom zu untersuchen, haben sich die Forscher auf bestimmte Bereiche des Erbguts konzentriert, die sehr veränderlich sind. Da alle Menschen zu 99,9 Prozent genetisch identisch sind, untersuchten sie nur die wenigen variablen Bereiche. Das sparte viel Geld und Zeit, so Johannes Krause.
"Wir haben erstmal versucht, die genetische Struktur dieser 50 Individuen zu clustern, das heißt: welche sind näher miteinander verwandt und welche sind weniger miteinander verwandt?"
Dabei entdeckten sie vier große Gruppen beziehungsweise Cluster.
"Interessanterweise korrespondieren diese genetischen Cluster auch sehr gut mit archäologischen Kulturen. Dann haben wir allerdings einen zusätzlichen Cluster gefunden, den wir genetisch beschreiben, der allerdings so als archäologische Kultur bisher nicht gefasst werden konnte."
Bisher unbekannte Einwanderer aus dem Nahen Osten
Dabei handelt es sich um Einwanderer, die ihre Spuren im Erbgut der Europäer hinterlassen haben und von denen bislang keiner wusste. Den genetischen Analysen zufolge müssen sie vor rund 14.000 Jahren nach Europa gekommen sein. In den gut 20.000 Jahren vor ihrer Ankunft gab es keine großen Einwanderungswellen. Johannes Krause und seine Kollegen konnten die Herkunft der Neuankömmlinge exakt festmachen.
"Die Menschen, die in Europa nach 14.000 Jahren gelebt haben, zeigen eine nähere Verwandtschaft zu Individuen, die heute im Nahen Osten leben. Und das war eine ganz große Überraschung für uns, weil bisher galt es zwar, dass mit den frühen Ackerbauern vor ungefähr 7.000 Jahren Menschen aus dem Nahen Osten nach Europa gekommen sind. Jetzt sehen wir aber auch, dass bereits schon vor 14.000 Jahren diese Verbindung zwischen dem nahem Osten und Westeurasien, dem heutigen Europa bestand."
Also hat es direkt nach Ende der letzten Eiszeit schon große Vermischungen gegeben. Und das ist erstaunlich, denn zuvor war niemand auf die Idee gekommen, dass bereits die Vorfahren der Ackerbauern aus dem Nahen Osten schon sehr früh die Route gen Westen gefunden hatten. Das bedeutet auch, dass einige Menschen, die in früheren Studien als Ureuropäer klassifiziert worden waren, gar keine waren, weil sich in ihrem Erbgut bereits Spuren der früheren Einwanderer aus dem Nahen Osten finden, so Johannes Krause.
Zwei Prozent Neandertaler-Erbgut
Durch die große Studie an mehr als 50 frühen Europäern konnten die Genetiker auch abgleichen, wieviel Neandertaler-Erbgut moderne Europäer noch in sich tragen. Die Neandertaler hatten sich mit den ersten Einwanderer vor rund 45.000 Jahren mehrfach erfolgreich fortgepflanzt. Daher gehen bei allen heutigen Nicht-Afrikanern im Schnitt zwei Prozent ihres Erbguts auf die Neandertaler zurück.
"Jetzt haben wir aber auch Menschen aus den letzten 35.000 Jahren und sehen, dass die Menge an Neandertaler-DNA tatsächlich abgenommen hat. Das heißt, die ersten frühen Europäer hatten noch mehr Neandertaler-DNA – vier, fünf, sechs Prozent im Vergleich zu heute."
Und das bestärkt Johannes Krause in seiner Hypothese, dass das Neandertalererbe nicht sehr vorteilhaft gewesen sein dürfte - und daher mit jeder Generation weniger wurde.