Ediacara-Fossilien sind durchweg merkwürdig, lassen sich mit nichts vergleichen, was heute auf der Erde lebt. Manche glichen beringten Knöpfen, andere gerippten Wedel oder Spiralgalaxien. Eines dieser Lebewesen war Dickinsonia. Ihr Körper: eine ovale Scheibe mit einer Art Kamm in der Mitte, von dem aus viele schmale Kammern zum Körperrand laufen. Eine bizarre Luftmatratze, die fast anderthalb Meter groß werden konnte. Jochen Brocks ist Biomarker-Spezialist an der Australischen Nationaluniversität in Canberra.
"Die Ediacara-Fossilien sind ein heiliger Gral der Paläontologie. Seit ihrer Entdeckung rätseln wir, was sie sind: riesige Amöben, Flechten, Tiere. Das ist deshalb so wichtig, weil es die ersten großen Lebewesen in der Erdgeschichte sind. Vor 570 Millionen Jahren war alles mikroskopisch klein. Dann erschienen diese Wesen und lebten 30 Millionen Jahre in warmen, flachen Meeren, bis sie mit dem Auftauchen der modernen Tiere verschwanden. Wenn wir also die Evolution hin zur Größe und zu den Tieren verstehen wollen, müssen wir wissen, was sie waren."
Signale aus dem Fossil
Im Reinstlabor von Jochen Brocks sind nun 558 Millionen Jahre alte Dickinsonia-Fossilien untersucht worden.
"Sie haben also eine 30, 40 Zentimeter dicke Platte aus Sandstein, in deren Mitte ein sechs Zentimeter großes Dickinsonia-Fossil steckt. Es ist umgeben von einer fossilisierten Mikrobenmatte, dem Zeug, von dem sich Dickinsonia ernährte. Wir analysierten die Fettmoleküle aus der Matte, und wir analysierten die Fettmoleküle im Fossil selbst. Von der umgebenden Matte erhielten wir ein Signal: 'Ich bin eine Ansammlung von Grünalgen und Cyanobakterien' - und vom Fossil selbst das Signal: 'Ich bin ein Tier'."
Dass diese Analyse überhaupt möglich war, ist eine Sensation. Sie gelang, weil Ilya Bobrovskiy, der inzwischen Doktorand an der Australian National University ist, in Russland - am Weißen Meer bei Archangelsk - in einem Kliff außergewöhnlich gut erhaltene Fossilien entdeckt hatte. Brocks:
"Er schrieb mir 2013 davon in einer Mail: 'Organisch gut erhalten.' Das war eine kühne Behauptung, denn es würde bedeuten, dass Ediacara-Fossilien mehr oder weniger mumifiziert sein mussten. Da unser Labor auf die Analyse von alten Molekülen spezialisiert ist, wollte er bei uns Fettmoleküle aus den Fossilien extrahieren, um ein für allemal zu klären, ob Dickinsonia ein Tier war oder nicht. Für mich war das die dümmste Idee, die ich je gehört hatte. Ich konnte nicht glauben, dass organische Substanz so lange überlebt haben sollte. Doch er entwickelte eine Reinsttechnik, um jegliche Kontamination zu vermeiden - und als er mir die Ergebnisse zeigte, fiel ich fast vom Stuhl: Es war ein eindeutiges Ergebnis, viel besser, als man es sich hätte vorstellen können: Dieses Ding benutzte Cholesterin - wie Menschen, wie nur Tiere es tun: Es war also ein Tier."
Leichte Beute für andere Arten
Allerdings musste noch eine Möglichkeit ausgeschlossen werden: Dass es sich bei Dickinsonia um gigantische Einzeller - um Protisten - handelt. Das widerlegten Forscher des Bremer Marum und des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena: Sie extrahierten Lipide aus heute in der Tiefsee lebenden Riesenprotisten und simulierten im Labor die geologischen Veränderungen, die in den Fettmolekülen abgelaufen wären. Und die Muster unterschieden sich klar. Dickinsonia war also ein Tier.
Aber irgendwann veränderten sich die Lebensbedingungen drastisch, und damit war die Zeit für Dickinsonia abgelaufen. Jochen Brocks:
"Vor 540 Millionen Jahren, in den ältesten Gesteinen des Kabriums sehen wir ein Wettrüsten mit Zähnen, Klauen und Panzern. Damals hat das große Fressen und Gefressen werden begonnen. Dickinsonia und die anderen Ediacara-Arten waren leichte Beute: Fett und saftig lagen sie auf dem Boden und konnten sich kaum rühren. Vielleicht sind sie deshalb ausgestorben."