Die Wahlen und deren Ausgang seien eine innere Angelegenheit Israels, räumte Khouloud Daibes ein. Dennoch müsste man sich nach der massiven Kampagne Netanjahus gegen die Palästinenser fragen, ob es einen Partner für Frieden in Israel gebe.
"Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben", sagte Daibes. Dennoch würden im Moment die Fragen überwiegen. Unklar sei, ob es einen Konsens über eine Zweistaatenlösung noch gebe und ob die Israelis an einem ernsthaften Friedensprozess interessiert seien.
Die diplomatischen Bemühungen müssten fortgesetzt werden - dafür sei aber mehr internationaler Druck notwendig. Momentan gebe es für die Palästinenser wenig politische Perspektive: die israelische Besatzung werde fortgeführt, die Siedlungspolitik intensiviert.
Das Interview in ganzer Länge
Silvia Engels: Wir blicken noch mal nach Israel. Dort blieb der Machtwechsel aus. Am Ende konnte sich bei den Wahlen der bisherige Ministerpräsident Netanjahu überraschend klar durchsetzen. In der Schlussphase des Wahlkampfs hatte sich der Spitzenkandidat der konservativen Likud-Partei mit einer Ablehnung der Zweistaatenlösung mit den Palästinensern profiliert und er hatte vor "Massen arabischer Wähler" gewarnt. Die Mitte-Links-Opposition warf ihm daraufhin Rassismus vor. Doch sei es wie es sei: Er ist wiedergewählt. Was bedeutet das für die Palästinenser? - Am Telefon ist Khouloud Daibes, Leiterin der Palästinensischen Mission in Deutschland. Guten Morgen, Frau Daibes.
Khouloud Daibes: Guten Morgen!
Engels: Haben Sie noch Hoffnung, dass sich im Friedensprozess unter Netanjahu in den nächsten Jahren irgendetwas zugunsten der Palästinenser bewegt?
Daibes: Die Hoffnung dürfen wir nicht aufgeben als Palästinenser, auch wenn die Wahlen in Israel eine innere Angelegenheit sind. Zugleich sind wir sehr besorgt, einmal über den Hass, die Kampagne von Hass und Hetze gegen 1,6 Millionen Palästinenser, die in Israel leben. Auf der anderen Seite haben die Wahlergebnisse gezeigt, dass weder diesen Palästinenser in Israel, noch im besetzten Palästina gleiche Rechte eingeräumt werden. Die Sorge, die wir haben, und die Frage, die wir uns alle stellen, nicht nur Palästinenser, auch die internationale Gemeinschaft: Haben wir einen Partner für Frieden in Israel und wie können die Wahlergebnisse als Anlass verstanden werden, um einen ernsten Friedensprozess zu beleben, der sich auch auf das internationale Recht stützt.
Hoffen auf die Weltgemeinschaft
Engels: Wir haben vor gut zwei Stunden mit unserem Korrespondenten gesprochen, der sagt, das Thema Zweistaatenlösung würde derzeit gar keine so große Rolle spielen und Netanjahus Position, der das eher ablehnt, sei bekannt. Kann da internationaler Druck Ihrer Ansicht nach etwas bewegen?
Daibes: Ja! Wenn der internationale Druck und die internationale Gemeinschaft gehandelt hätte, um diese Menschenrechtsverletzungen und das öffentliche Begraben der Zweistaatenlösung, worüber ja ein Konsens herrscht, und die Intensivierung des Siedlungsbaus, die angekündigt ist, was ja auch illegal und gegen das Völkerrecht ist, wenn die internationale Gemeinschaft gehandelt hätte, um dem Einhalt zu gebieten, dann wären wir nicht hier, wo wir heute sind.
Deswegen hoffen wir, dass nochmals die Weltgemeinschaft jetzt handeln sollte: Gibt es Konsens über die Zweistaatenlösung? Was wäre die Alternative? Haben wir einen Partner für Frieden in Israel und wie würde die Rolle der internationalen Gemeinschaft aussehen? Ich glaube, das sind die Fragen, die noch offen bleiben, und ich hoffe, dass die Wahlergebnisse ein Anlass dazu sind, jetzt wieder einen ernsten Friedensprozess zu starten, der Israel dazu bringt, im Übrigen für das Interesse der Israelis wie auch für die Palästinenser.
Engels: Aber wie erklären Sie es sich, dass ja offenbar in der israelischen Wählerschaft das Vertrauen in einen Friedensprozess offenbar derzeit nicht mehr mehrheitsfähig ist?
Daibes: Die letzten Entwicklungen der letzten Tage vor den Wahlen haben gezeigt, dass Netanjahu es geschafft hat, Angst innerhalb der israelischen Gesellschaft zu verbreiten. Ich glaube, diese Angst hätte man beseitigen können, indem man Frieden schließt. Nur Frieden könnte Sicherheit für alle in der Region bringen und nicht mehr Besatzung und nicht mehr Verstöße gegen den internationalen Konsens, aber auch das internationale Recht, was wichtiger ist. Unsere Position bleibt unverändert. Wir streben nach Frieden, nach Freiheit und wir werden unsere diplomatischen Bemühungen fortsetzen. Es bleibt an der internationalen Gemeinschaft, zu handeln und wirklich mehr Druck auf Israel auszuüben.
"Die Besatzung ist nicht beendet"
Engels: Entschuldigen Sie, wenn ich noch mal dazwischen gehe. Inwieweit hat vielleicht auch das palästinensische Lager von Fatah und Hamas durch Uneinigkeit, durch Attacken aus dem Gazastreifen in den letzten Jahren auch zu diesem Vertrauensverlust und der Angst der israelischen Bevölkerung beigetragen?
Daibes: Das muss im Kontext gesehen werden. Die Besatzung ist nicht beendet. Wir sind ein Volk, was immer noch unter der israelischen Besatzung leben und leiden muss, gerade Gaza unter der Blockade. In diesem Kontext muss man das sehen. Solange die Besatzung fortgesetzt wird, solange die Siedlungspolitik fortgesetzt wird, sogar intensiviert wird gerade auch um Jerusalem und in Jerusalem, wird es keine politische Entspannung geben.
Zudem gibt es ja keine politische Perspektive, dass man zu einer politischen Lösung kommen kann. Wir dürfen uns keine weitere Eskalation leisten in der Region, denn die ganzen Nachbarländer, da ist es auch unruhig. Insofern: Netanjahu und die neue Regierung, egal wie sie aussehen sollte, soll das erkennen, und ich glaube, die internationale Gemeinschaft spielt hier eine Rolle, um die Besatzung kostspielig zu machen und nicht wie bisher eigentlich kostenlos einfach für die Israelis, für die israelische Regierung lässt.
Engels: Khouloud Daibes war das, die Leiterin der Palästinensischen Mission in Deutschland. Wir sprachen mit ihr über die Konsequenzen aus den Wahlen in Israel. Vielen Dank.
Daibes: Ich danke Ihnen.
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