Fünf Söhne hat Yusef Qishta. Der Palästinenser aus der Stadt Rafah im Gazastreifen berichtet stolz, dass einem seiner Jungs bereits die Flucht über das Mittelmeer gelungen ist:
"Ich hatte eine medizinische Überweisung nach Ägypten und habe meinen Sohn als Begleitung mitgenommen. Von dort aus ist er geflohen."
Von Ägypten aus habe der 21-Jährige die Grenze zu Libyen überwunden. Von dort ging es mit dem Schiff nach Italien und weiter nach Belgien. Sein Sohn habe Asyl beantragt. Die anderen Kinder sollen folgen, sagt der ehemalige Hauptmann der Polizei:
"Ich will all meine Kinder nach Deutschland bringen. Hier sind sie arbeitslos. Die Wirtschaftslage ist schlecht. Die Hamas regiert und es gibt keine Aussicht auf Verbesserung."
Qishta bedankt sich bei den Europäern, die seinen ältesten Sohn aufgenommen haben. Man habe ihn wie einen Menschen behandelt, habe der Sohn am Telefon erzählt. Die Gefahren der Flucht über das Mittelmeer erscheinen klein verglichen mit der Hölle daheim.
Versprochene Milliarden für den Wiederaufbau fehlen
Seit Jahren steigt der Wunsch junger Palästinenser, den Gazastreifen zu verlassen. Schon vor einem Jahr erzählte die Uni-Absolventin Mariam, dass sie jeden nur möglichen Weg suche, endlich zu gehen. Sie fühle sich komplett hilflos, erklärte die junge Frau bei einem Treffen im französischen Kultur-Institut:
"Jeden Tag schau ich nach einem Stipendium. Etwas, das mir erlaubt, Gaza für immer zu verlassen. Ich meine, ich liebe Gaza, die Stadt, die Menschen. Aber ich muss doch wissen, wie die Welt aussieht, das will ich spüren."
Seitdem hat sich die Situation noch einmal dramatisch verschlechtert. Ägypten hält den Grenzübergang Rafah nahezu komplett geschlossen. Auch Israel hat seine Abriegelung des Küstengebiets nur geringfügig gelockert. Die Spuren des vergangenen Krieges sind an vielen Orten zu sehen. Von den versprochenen Milliarden für einen Wiederaufbau ist kaum etwas in Gaza angekommen.
Deutschland müsste schon im Verbund mit der EU und den USA auf Ägypten, Israel und die palästinensische Führung politischen Druck ausüben, um die Lage der jungen Palästinenser zu verbessern. Davon ist vor Ort nichts zu spüren.
Reise über Ägypten nach Europa
Yusef Quishta gibt nicht auf. Der Palästinenser aus Rafah will nun seinen zweitältesten Sohn Hadar außer Landes bringen. Hadar legt eine Klarsichthülle mit einem deutschen Formular auf den Tisch: eine Bürgschaft seines Onkels aus Kiel für einen Besuch in Deutschland. Die Behörden der Bundesrepublik haben den Antrag auf Einreise trotzdem abgelehnt.
Sollte der Grenzübergang Rafah einmal wieder aufgehen, könnte Hadar versuchen, von Ägypten aus Europa zu erreichen. Die Route gilt als noch gefährlicher, erklärt Vater Yusef:
"Natürlich sind wir aufgeregt, bis wir die Nachricht bekommen, dass sie heil angekommen sind. Aber ich bin froh, dass sie gehen wollen. Denn hier gibt es kein Auskommen. Keine Zukunft für die Kinder. Sie können sich keine Existenz aufbauen, es gibt zu wenig Schule, keine Häuser, nichts. Gaza ist leer, die Zukunft liegt in Europa."