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Palermo
Eine Stadt verteidigt ihren Richter

Der italienische Richter Nino di Matteo befindet sich in ständiger Lebensgefahr: Denn er ermittelt in Palermo gegen die Cosa Nostra und deren Boss will ihn umbringen lassen. Die Bevölkerung steht hinter ihm - doch die Mafiosi sind nicht di Matteos einzige Gegner.

Von Karl Hoffmann | 30.12.2014
    Gibt immer noch aus dem Gefängnis Mordaufträge: Mafiaboss Toto Riina, hier bei seinem Prozess 1995.
    Gibt immer noch aus dem Gefängnis Mordaufträge: Mafiaboss Toto Riina, hier bei seinem Prozess 1995. (imago/stock&people)
    Bei den Ermittlern schrillten die Alarmglocken, als sie ein Gespräch zwischen dem Cosa-Nostra-Boss Toto Riina und einem Mithäftling in einem der italienischen Hochsicherheitsgefängnisse abhörten:
    "Di Matteo soll noch grausamer sterben als Falcone. Organisieren wir das, schlagen zu und die Sache ist erledigt."
    Toto Riina sitzt seit 20 Jahren im Kerker, doch noch immer plant er die Ermordung seiner schlimmsten Gegner: die Anti-Mafia-Ermittlungsrichter von Palermo. 1992 ließ er jene Bomben hochgehen, die die Bürger in Siziliens Hauptstadt nie wieder vergessen werden: Für Anna Maria ist es so, als wäre es erst gestern gewesen:
    "Als die Bombe unter der Autobahn explodierte, war ich auch dort, einen knappen Kilometer hinter dem Auto von Richter Falcone. Und mit einem Mal herrschte um mich herum ein unglaubliches Durcheinander, ausgelöst von der Explosion. Noch wusste ich nicht was eigentlich los war. Es schien als würde die Welt untergehen. Die Leute fuhren kreuz und quer über die Autobahn, alle waren zu Tode erschrocken und dann kamen die Hubschrauber."
    Mehr als zwei Jahrzehnte später kreisen wieder Hubschrauber über der Stadt. Die Polizei sucht fieberhaft nach dem Versteck des Sprengstoffes, der nach dem Willen von Mafiaboss Riina den Ermittlungsrichter Nino di Matteo umbringen soll. Inzwischen hat ein Pentito, ein geständiger Mafioso die Lieferung von 300 kg TNT nach Palermo bestätigt, der jetzt irgendwo in der verwinkelten Altstadt gelagert ist. In Palermo wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Das Parken unter Brücken und großräumig um die Wohnungen gefährdeter Richter ist streng verboten. Wut macht sich breit über diese neuerliche Arroganz der Mafia, die die öffentliche Ordnung und die Vertreter der Justiz eliminieren will.
    Vor dem Justizpalast fanden sich deshalb spontan Tausende von Bürgern ein:
    "Wir sind alle Di Matteo" - rief die Menge. Ein beeindruckendes Bekenntnis zu dem von der Mafia zum Tode verurteilten Ermittlungsrichter. Besonders ergreifend die enorme Beteiligung von Schülern und Studenten, die zu Zeiten der Bombenattentate 1992 noch gar nicht geboren waren.
    "Die Mafia muss man Tag für Tag aufs Neue bekämpfen. Es ist wichtig, dass wir deshalb auch auf die Straße gehen. Um zu zeigen, dass die Zeiten ängstlichen Schweigens in Palermo endgültig vorbei sind."
    "Es ist eine Ehrensache, dass wir uns um Männer wie di Matteo scharen, denn für uns sind sie Helden."
    "Der Einzelne hat es schwer gegen die Mafia, nur wenn wir zusammen helfen, dann wird es für alle einfacher."
    Leidenschaftlicher Appell an die Bevölkerung
    Umringt von zehn Leibwächtern tritt der sichtlich bewegte Ermittlungsrichter schließlich vor die Menge:
    "Ich weiß nicht, was mit mir geschehen wird, aber ich trage die Hoffnung, dass das Engagement der Bürger fortdauert. Und dass vor allem die Jugendlichen sich nicht der Ansicht anschließen, wonach das Justizwesen weiter geschwächt werden soll in diesem Land, dass oft genug der Wahrheit nicht ins Auge sehen will."
    Die Wahrheit ist, dass noch immer viele ehrbare Staatsdiener in Lebensgefahr sind. Di Matteo spielt damit auf den eigentlichen Konflikt an, der seit Monaten in Italien schwelt: Der Ermittlungsrichter ist nicht nur den Mafiosi, sondern auch hochrangigen Politikern ein Dorn im Auge. Er hat eindeutige Beweise gesammelt dafür, dass während der Bombenattentate vor über 20 Jahren Politiker und Mafiosi Geheimverhandlungen geführt haben. Mit dem Ziel, die Attentatsserie zu stoppen dank Konzessionen an die Mafia, wie milde Gerichtsurteile und lockere Haftbedingungen. Also ein regelrechter Hochverrat. Mit der Beseitigung von di Matteo würde das laufende Gerichtsverfahren scheitern, die Schuldigen blieben unbehelligt.
    "Was auch geschehen mag, ich bitte euch, eure Träume nicht aufzugeben, verfolgt weiter eure Ideale, nur mit eurem Engagement wird dieses Land freier und gerechter."
    So sein leidenschaftlicher Appell, bevor ihn die Leibwächter in Sicherheit bringen. Nicht weniger inbrünstig die Antwort der Jugendlichen:
    "Palermo gehört uns und nicht der Cosa Nostra."