Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Deutschland bleibt weiterhin hoch – obwohl der verlängerte Lockdown das Leben der Menschen sowie den Bildungs- und Kulturbereich stark einschränkt.
Allerdings gibt es bedeutende Ausnahmen: Bei der Arbeit beispielsweise. In vielen Unternehmen herrscht in Deutschland weiterhin eine Präsenzpflicht des Arbeitnehmers. Nun werden Forderungen nach strengeren Regeln auch für Unternehmen laut.
- Welche Forderungen werden an die Wirtschaft herangetragen?
- Wie viele Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten im Homeoffice?
- Warum arbeiten vergleichsweise so wenig Beschäftigte im Homeoffice?
- Wie soll die Arbeit im Homeoffice ausgestaltet werden?
- Wie ist die Position der Wirtschaft?
- Wie könnten Arbeitgeber Beschäftigte schützen, wenn kein Homeoffice möglich ist?
Unternehmen sollen mehr Arbeit im Homeoffice ermöglichen, wo es möglich ist. Denn: Beschäftigte sind bei der Arbeit vor Ort im Büro täglich von Infektionen bedroht, weil Schutzmaßnahmen in Unternehmen oft nicht ausreichen. Dazu kommt häufig das Risiko einer Anfahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Einen Homeoffice-Aufruf, dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch wirklich konsequent in den nächsten drei Wochen nachkommen – das wünschte sich beispielsweise Viola Priesemann, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, im Deutschlandfunk.
Grundsätzlich sollten alle Betriebe und alle Arbeitnehmer für sich prüfen, ob nicht doch Arbeit von zuhause aus möglich sei, forderte auch
Nils Backhaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
: "Jeder, der zuhause arbeitet, schützt dadurch Kolleginnen und Kollegen, die nicht zuhause arbeiten können", sagte er im Dlf.
Die Anwesenheitskultur am Arbeitsplatz passe nicht in die aktuelle Zeit, so Achim Berg, Chef des Digitalverbandes Bitkom. Für die gesamte Dauer der Pandemie sei es zwingend, ausschließlich im Homeoffice zu arbeiten, sofern es die berufliche Tätigkeit zulasse.
Bislang beließ es die Bundesregierung jedoch beim Appell, mehr Homeoffice zu ermöglichen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) war mit dem Vorstoß an der Union gescheitert, einen Rechtsanspruch auf Homeoffice einzuführen.
Nach Umfragen der Hans-Böckler-Stifung ist die Homeoffice-Nutzung während der Corona-Epidemie zunächst angestiegen. So arbeiteten Ende Juni 2020 rund 16 Prozent der Befragten überwiegend oder ausschließlich zu Hause. Weitere 17 Prozent arbeiteten abwechselnd im Betrieb oder zu Hause. Demgegenüber haben vor Ausbruch der Pandemie nur vier Prozent überwiegend oder ausschließlich zuhause gearbeitet.
Deutlich geringer ist die Nutzung des Homeoffice hingegen im November 2020 ausgefallen: Nur 14 Prozent der befragten Erwerbstätigen gaben an, überwiegend oder ausschließlich Zuhause gearbeitet zu haben.
Generell sei in den großen Unternehmen zwar das Homeoffice ausgebaut worden, so der Arbeitsmediziner Nils Backhaus im Deutschlandfunk: Dort arbeiteten aber nur etwa ein Drittel der Beschäftigten insgesamt. Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen arbeiteten viele aber noch vor Ort im Büro.
Unternehmen bevorzugten nach wie vor, dass viele Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz erscheinen, machten von den Möglichkeiten des Homeoffice keinen Gebrauch oder erschwerten ihn sogar, erklärte dazu Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, im Deutschlandfunk.
Die Aufforderung der Ministerpräsidenten gemeinsam mit der Bundesregierung an die Arbeitgeber, Homeoffice großzügig zu ermöglichen sei nicht ausreichend. Reiner Hoffmann fordert: "Deshalb brauchen wir verbindliche Spielregeln."
Es müsse ein Rechtsanspruch gelten, dass Menschen dann ihre Tätigkeit zuhause verrichten können, wo dies möglich sei und zur Verringerung der Infektionszahlen beitragen könne.
Allerdings gebe es auch viele Beschäftigte, die lieber im Büro arbeiteten, fügte der DGB-Chef hinzu: "Die sagen, der Arbeitsplatz ist im Zweifelsfall sicherer als mein Arbeitsplatz zuhause, weil da die Möglichkeiten, in Ruhe zu arbeiten, größer sind - und zuhause die Doppelbelastungen einfach zu groß sind."
Der Arbeitsmediziner Nils Backhaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin spricht von "ausgeprägten Präsenzkulturen" in den Unternehmen.
Doch auch auf Arbeitnehmerseite gebe es gewichtige Gründe gegen Homeoffice, meint Backhaus: "Es wird häufig an improvisierten Arbeitsplätzen zuhause gearbeitet, und dadurch die räumliche und inhaltliche Vermischung von Privatleben und Beruf als sehr anstrengend erlebt".
In vielen Bereichen ist Homeoffice allerdings gar nicht möglich, wie etwa im Lebensmitteleinzelhandel, in der Pflege und in Fabriken. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, beziffert den Anteil der Beschäftigten in Deutschland, die nicht von zu Hause aus arbeiten können, auf 60 Prozent.
Wichtig sei in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit mit den Betriebs- und Personalräten, sagte Reiner Hoffmann im Deutschlandfunk. Erfahrungen im Frühjahr zeigten: "Da wo wir betriebliche Interessenvertretungen haben, sind die Aushandlungsprozesse zu passgenauen Lösungen für die Beschäftigten deutlich besser als in den vielen Unternehmen, wo wir keine betriebliche Interessenvertretung haben", betonte Reiner Hoffmann.
Unternehmen hätten bereits reagiert, erklärte Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft im Deutschlandfunk zu den Forderungen nach mehr Homeoffice-Möglichkeiten: "Wo die Wirtschaft Homeoffice machen kann, bietet sie das auch an. Es gibt im Übrigen auch seit dem Sommer die COVID-19-Arbeitsschutzregeln. Das heißt, Sie haben in einem Bürogebäude beispielsweise Vorsorge zu treffen, damit man entsprechend wenige Kontakte hat, dass aber die Arbeitsprozesse laufen – dort, wo ein direkter Austausch auch im Persönlichen nötig ist."
Es gebe überdies keine Belege dafür, dass in normalen Büroliegenschaften oder dort, wo Produktion stattfindet eine besondere Infektiösität aufgetreten sei - außer der Fleischindustrie, argumentiert Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft weiterhin.
Ein Recht auf Homeoffice sieht Michael Hüther nicht als hilfreich an: "Beschäftigte haben diese Homeoffice-Freiheit in dieser Situation." Homeoffice sei aber nicht in jedem Bereich möglich, beispielsweise nicht im Einzelhandel; auch Lieferdienste könnten nicht aus Homeoffice betrieben werden.
Generell sei Homeoffice eine Entscheidung der Unternehmen, so Michael Hüther. Und: "Wir können Unternehmen nicht nur von zuhause betreiben. Das hat was mit Innovationsfähigkeit und mit Unternehmenskultur zu tun und wir wir miteinander umgehen. Wir leben von der Substanz mittlerweile, wenn wir uns so lange nicht persönlich sehen."
Generell hätten viele Betriebe empfohlene Corona-Schutzmaßnahmen eingeführt und wendeten sie erfolgreich an, sagte dazu der Arbeitsmediziner Nils Backhaus im Deutschlandfunk: "Wir sehen, dass da viel in den Betrieben geleistet wird, was auch zur Eindämmung der Pandemie beiträgt." Allerdings werde erst die nahe Zukunft zeigen, ob die Infektionen in den Betrieben noch stärker eingedämmt werden müssten, oder ob die getroffenen Maßnahmen ausreichend seien.
Wenn es keine Möglichkeit zum Homeoffice gibt - was könnten Arbeitgeber vor Ort tun, um Beschäftige zu schützen?
Wo es keine Möglichkeit gibt, dass Arbeitnehmer im Homeoffice arbeiten können, sollten Unternehmen Tests anbieten, forderte Viola Priesemann, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, im Deutschlandfunk: "Im Idealfall ein- oder zweimal die Woche, um das Infektionsgeschehen an den Arbeitsplätzen zu unterbinden."
In den Betrieben sollten zudem alle technischen, organisatorischen und personenbezogenen Möglichkeiten genutzt werden, um Kontakte am Arbeitsplatz zu reduzieren und Abstände einzuhalten, forderte der Arbeitsmediziner Nils Backhaus im Deutschlandfunk. Wo auch das nicht möglich sei, wie beispielsweise am Fließband, müssten Schutzanzüge eingesetzt werden.