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Pankaj Mishra: „Freundliche Fanatiker“
Mythos vom liberalen Westen

Die wahren Feinde der Demokratie sind jene, die angeblich ihre Werte verteidigen, schreibt Pankaj Mishra. In seinem neuen Essayband folgt der indische Intellektuelle der Zerstörungsspur des westlichen Kapitalismus.

Von Angela Gutzeit |
Das Buchcover von "Freundliche Fanatiker" und ein Portrait von Pankaj Mishra
Pankaj Mishra kritisiert erneut die Folgen der Globalisierung und die Fehler des Westens (Buchcover S. Fischer Verlag / Portrait (c) Nina Subin )
Auffällig ist, dass die derzeit interessantesten Denker Weltgegenden entstammen, die einst unter den kolonialistischen Eroberungs- und Vernichtungsfeldzügen europäischer Länder litten. Einer dieser Shooting-Stars ist der indische Intellektuelle Pankaj Mishra. Es sind diese oft in mehrfacher Hinsicht erlebten Identitätsbrüche, die auch bei ihm als Kaschmiri bis heute nachwirkten und ihn zu anderen Erklärungsmustern über den Zustand der Welt führten als die im Westen kultivierten, so Mishra in seinem Groß-Essay "Das Zeitalter des Zorns" von 2017. Hier hatte er die Zeit der europäischen Aufklärung als verhängnisvolle Zäsur hervorgehoben, die dem westlichen Überlegenheitsanspruch den Weg geebnet habe mit dem Argument, Hüter der Menschenrechte und Motor des Fortschritts zu sein. In seinem neuen Essayband "Freundliche Fanatiker" lenkt der Autor den Blick insbesondere auf die USA und Großbritannien als die Mächte, die seit dem 19. Jahrhundert Vorreiter gewesen seien im Bestreben, einen rassistisch grundierten, wie Mishra es nennt, "imperialistisch gesinnten Liberalismus" durchzusetzen - mit verheerenden Folgen, wie die Gegenwart zeigen würde.
"Seit der Corona-Krise ist deutlicher geworden, dass die modernen Demokratien seit Jahrzehnten auf einen moralischen und ideologischen Bankrott zuschlittern – und ihre eigenen Publizisten haben sie nicht darauf vorbereitet, mit den politischen Gefahren und den Umweltkatastrophen fertigzuwerden, die der unregulierte Kapitalismus unablässig selbst solchen Gewinnern der Geschichte zufügt wie Großbritannien und den USA. Die freundlichen Fanatiker bemühten sich sehr, ihre parfümierte Vorstellung angloamerikanischer Überlegenheit vor der anrüchigen Vergangenheit des Völkermords, der Sklaverei und des Rassismus – wie auch vor dem Gestank der Korruption in den Wirtschaftsunternehmen – zu schützen, aber für die wirklichen Feinde der Demokratie haben sie keine Nase."

Apologeten des gerechten Krieges

Die wirklichen Feinde – das sind für Mishra die Apologeten des sich hemmungslos ausbreitenden Kapitalismus. Seit dem Kalten Krieg und schließlich dem Niedergang des Kommunismus propagierten diese unermüdlich Freihandel, Deregulierung und Privatisierung als Segen für Wachstum und Wohlstand in der Welt. Sie konstruierten dabei Feindschaften wie gegen den Islam und schreckten auch nicht vor scheinheiligen militärischen Angriffen zurück wie gegen den Irak und Afghanistan unter dem Deckmantel eines "gerechten Krieges" und der Menschenrechte. Ein für Mishra zutiefst rassistischer Vorgang, in den sich auch viele Intellektuelle des Westens hätten einbinden lassen – ungeachtet der Zerstörung von Sozialgefügen, Kulturen und individuellen Existenzen.
Pankaj Mishra: "Das Zeitalter des Zorns" - Ein Unbehagen an der Moderne
"Es gibt weit mehr Sehnsüchte, als sich im Zeitalter der Freiheit und des Unternehmertums legitim verwirklichen lassen", schreibt der indische Essayist Pankaj Mishra in "Das Zeitalter des Zorns". Das Buch ist eine Kritik an einem nicht zur Selbstreflexion fähigen Liberalismus.
Mishra zielt mit seiner Kritik nicht nur auf die üblichen Verdächtigen wie beispielsweise den britischen Historiker Niall Ferguson, der unermüdlich dafür werben würde, die Ressourcen der USA dafür einzusetzen, "die Welt für den Kapitalismus sicher zu machen".
Nein, Mishra hört auch sehr genau auf Zwischentöne, die er bei Schriftstellern wie Salman Rushdie oder Ta-Nehisi Coates wahrnimmt. Beiden bescheinigt er eine "durch Nähe zur Macht verzerrte Wahrnehmung". So müsse man den schwarzen Schriftsteller Coates wegen seiner Unterstützung für den einstigen US-Präsidenten Obama als "Fall einer missverstandenen Identität" werten. Obama habe schließlich am imperialen Anspruch der USA wie am strukturellen Rassismus nichts geändert, so der Autor.
"Solange Coates sich gleichgültig gegenüber den Zusammenhängen zwischen Rasse und internationaler politischer Ökonomie verhält, dürfte er bei seinen weißen liberalen Fans eher Erleichterung als Schuldgefühle auslösen. […] Ganz sicher würden sie jedoch vor der These zurückscheuen, dass der Erbe der Bürgerrechtsbewegung an einer rassistisch-imperialistischen Ordnung aus dem 19. Jahrhundert festgehalten habe, als er für den US-Präsidenten das Recht beanspruchte, jedermann ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren zu töten."

Renaissance des Sozialismus?

Pankaj Mishras Essays von 2011 bis 2020 überzeugen durch einen genauen Blick auf Kontinuitäten, die vom Sklavenhandel bis zu den modernen westlichen Kriegen reichen – immer versehen mit dem Label der zivilisatorischen Überlegenheit, der Verteidigung der Freiheit und des Wohlstands.
Etwas schwammig jedoch bleibt der Essayist in seinen jüngsten Texten. Hier versucht er ganz offensichtlich, der beschriebenen katastrophalen Bilanz des westlichen Kapitalismus mit den von ihm verursachten Schäden in Asien, Afrika und mittlerweile auch auf dem eigenen Terrain eine Perspektive entgegenzusetzen.
"… die Ideale der Gleichheit und der Umverteilung scheinen niemals größere Anziehungskraft besessen zu haben, seit der Liberalismus, der universellen Reichtum und mehr Demokratie versprochen hatte, im Gemetzel des Ersten Weltkriegs versank, gefolgt vom tiefsten wirtschaftlichen Absturz der Geschichte. Die Aussichten für den Sozialismus steigen wieder, denn die strukturelle Misere des Kapitalismus wird von immer mehr seiner Opfer erkannt."
Belege für diese Aussichten bleibt der Autor seiner Leserschaft schuldig. Und noch etwas: Mishra schreibt mit deutlicher Sympathie für die staatliche Planwirtschaft; Staaten wie Japan, Taiwan, Südkorea, China oder Vietnam sei im Gegensatz zum Westen der Grundgedanke gemeinsam, dass das wirkliche Gemeinwohl nicht in der Förderung privater Einzelinteressen zu suchen sei, sondern eben in der staatlichen Planung und Politik. Wo diese ihre Grenzen haben sollte, das diskutiert er nicht. Überzeugend aber ist Pankaj Mishra mit seiner Strategie, den Mythos vom freiheitlichen und überlegenen Westen gründlich zu entzaubern.
Pankaj Mishra: "Freundliche Fanatiker. Über das ideologische Nachleben des Imperialismus"
Aus dem Englischen von Laura Su Bischoff und Michael Bischoff,
S. Fischer Verlag, 304 Seiten, 24 Euro.