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Pannenreaktoren am Netz
Deutschlands Sorge um Belgiens Atomkraftwerke

Die belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel sind bekannt für ihre Pannenserien. Besonders an der deutsch-belgischen Grenze befürchten viele, dass der grenznahe Meiler Tihange mürbe ist. Die Bundesregierung forderte schon die Stilllegung, stuft die Gefahr neuerdings aber deutlich geringer ein. Kritiker werfen ihr Befangenheit vor.

Von Jantje Hannover |
Wasserdampf steigt aus dem belgischen Atomkraftwerk Tihange
Das Kernkraftwerk Tihange am Ufer der Maas in Belgien (picture alliance/ dpa/ Oliver Berg)
Walter Schumacher steuert seinen gelben VW Lupo bergan; große Bäume säumen die Straße. Oben auf dem kleinen Berg liegt das Dreiländereck. Fünf Kilometer vom Aachener Stadtzentrum entfernt grenzt hier Deutschland an die Niederlande und an Belgien. Schumacher deutet aus dem Fenster. Eine Lücke zwischen den Bäumen gibt den Blick auf eine grüne Landschaft frei: Wälder, Wiesen, Felder und kleinen Siedlungen – das ist Belgien.
"Von da aus kannst du ganz ganz weit in den Westen sehen und auch reinspüren. Das heißt, wenn die Wolke kommt, wird sie diesen Berg hier mit Sicherheit erwischen."
Walter Schumacher ist ein großer Mann mit breiten Schultern und einem freundlichen Lächeln im graumelierten Vollbart. Der frühere Verkehrsleittechniker ist heute Rentner und schon lange beim Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie aktiv. Irgendwo dort in der grünen Weite liegt das Atomkraftwerk Tihange, sagt er, mit insgesamt drei Reaktorblöcken.
"Von hier sind es Luftlinie 55, 60 Kilometer noch. Und man weiß eben, die Partikel brauchen ja ihre Zeit, in der Wolke mitzufliegen. Aber man hat so ein Gefühl für Nähe."
Sollte es in Tihange zu einer Kernschmelze wie seinerzeit in Fukushima kommen, würden radioaktive Partikel, zum Beispiel Cäsium und Jod, mit dem Wind weit verteilt. Und sie könnten in Aachen, wo es wegen der Nähe zur Eifel häufig regnet, herunterkommen.
Verlängerung der Laufzeit
Das Atomkraftwerk Tihange liegt an der Maas, nicht weit von der belgischen Stadt Lüttich.
Tihange 1 wurde bereits 1975 fertiggestellt, die Blöcke 2 und 3 folgten in den Jahre `83 und `85. Belgien hat 2003 den Ausstieg aus der Atomkraft bis zum Jahr 2025 beschlossen. Trotzdem verlängerte die belgische Regierung 2015 die Laufzeit für Tihange 1, das eigentlich nach 40 Jahren stillgelegt werden sollte, um weitere zehn Jahre.
Die zweite belgische Atomanlage mit insgesamt vier Kraftwerksblöcken liegt in Doel im Hafen von Antwerpen. In einem Radius von 75 Kilometern leben hier neun Millionen Menschen. Doel ist damit das Atomkraftwerk mit der dichtest besiedelten Umgebung in ganz Europa. Deutsche Städte liegen nicht innerhalb dieses Gebiets. Beide Anlagen unterhält der Betreiber Electrabel, eine Tochter des französischen Konzerns Engie.
"Ich bin kein klassischer Atomkraftgegner, und das ist auch nicht mein Thema", sagt Helmut Etschenberg, Städteregionsrat in der Städteregion Aachen.
"Aber ich bin ein engagierter Verfechter, dass die Menschen in einer Sicherheit leben müssen, und die (Gefahr) darf weder von einem Atomkraft noch von sonst was ausgehen. Hier ist für mich nicht nur eine latente, sondern eine absehbare katastrophale Situation in unserem Lebensraum, die uns bedroht."
Das Atomkraftwerk Doel bei Antwerpen (Belgien).
Das Atomkraftwerk Doel bei Antwerpen (dpa / picture alliance / Julien Warnand)
Es gibt in Europa vielleicht keine weitere Atomanlage, deren Reaktoren so oft abgeschaltet wurden, wie die belgischen Meiler. Anfang September dieses Jahres beispielsweise waren von den sieben belgischen Reaktoren in Tihange und Doel gerade einmal zwei Blöcke betriebsbereit.
Einen Reaktor abzuschalten ist kein Kinderspiel: Es gilt, die Kernbrennstäbe zu kühlen, das verursacht hohe Kosten, während gleichzeitig die Stromproduktion ausfällt. Es müssen also gravierende Gründe vorliegen, bevor man ein Atomkraftwerk herunterfährt.
Etschenberg ist CDU-Politiker. Sein Posten als Städteregionsrat ist vergleichbar mit dem eines Landrats. Zur Städteregion Aachen zählen insgesamt zehn Städte, darunter Würselen, Herzogenrath, Roetgen und Monschau.
"Mein Engagement bezieht sich ausschließlich auf Tihange 2. Doel ist ein Stückchen weiter entfernt. Jetzt kann man sagen, wenn die Wolke kommt, seid ihr genauso betroffen. Aber ich denke, dass unser Engagement dann überzeugend ist, wenn wir uns auf eines dieser Atomkraftwerke konzentrieren, wo die Störanfälligkeit in der Nähe gelegen am höchsten ist."
In Aachen und den anderen Städten an der Grenze zu Belgien fürchten sich die Bürger schon lange vor der atomaren Wolke. Umso mehr, seit im Jahr 2012 die belgische Atomaufsicht FANC meldete, dass man am Druckbehälter von Tihange 2 und auch im baugleichen Typ in Doel im Block 3 tausende Haarrisse, so genannte Rissfelder, gefunden habe. Auf deutscher Seite wuchs fortan die Unruhe.
Bundesregierung forderte Stilllegung
Nach einem weiteren gravierenden Störfall Ende 2015 schritt dann auch die Bundesregierung ein: Die damalige Umweltministerin Barbara Hendricks von der SPD forderte 2016 Belgien zur Stilllegung von Tihange 2 und Doel 3 auf – ein sehr ungewöhnlicher Schritt. Der allerdings ohne Folgen blieb.
Doch in diesem nun zu Ende gehenden Sommer kam es zur Kehrtwende: Die Reaktorsicherheitskommission des Bundesumweltministeriums bezeichnete die Haarrisse als weit weniger gefährlich, als man zuvor befürchtet hatte. Daraufhin erklärte Hendricks Nachfolgerin im Amt, Svenja Schulze: Die deutsche Bundesregierung habe nun keine Handhabe mehr, einen souveränen Staat um die Abschaltung seiner Meiler zu bitten. Ministerin Schulze möchte dazu kein Interview geben. In einer Presseerklärung lässt sie verlauten:
"Die aktuelle Bewertung durch die Reaktor-Sicherheitskommission ändert nichts an meiner grundsätzlich kritischen Haltung gegenüber alten Atomkraftwerken in unseren Nachbarländern. Bei der Atomkraft gibt es immer ein Restrisiko. Daher bin ich froh über jeden Tag, den ein Atomkraftwerk früher vom Netz geht, und werde nicht nachlassen, für den Atomausstieg in unseren Nachbarländern zu werben. Ich nehme die Belgier beim Wort, dass es in Doel und Tihange zu keinen Laufzeitverlängerungen kommt."
Jodtabletten: Die Tabletten sollen die Bevölkerung im Fall eines Reaktorunfalls im belgischen Tihange vor Schilddrüsenkrebs schützen.
Die Jodtabletten sollen die Bevölkerung im Fall eines Reaktorunfalls im belgischen Tihange vor Schilddrüsenkrebs schützen. (picture alliance / Rainer Jensen/dpa)
Also: Werben statt fordern, so lässt sich die neue Linie der Bundesregierung zusammenfassen.
Die aktuelle Bewertung durch die Reaktorsicherheitskommission hat vor Ort in Aachen und um Aachen herum jedoch bei vielen Bürgern die Zweifel kaum besänftigt. Jörg Schellenberg vom Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie hat sich bereits 2012 durch die Dokumente gearbeitet, die die belgische Atomaufsicht FANC damals veröffentlicht hatte. Die belgische Behörde wollte damit belegen, dass die Haarrisse schon seit Baubeginn bestanden hätten:
"Wir sind da wirklich auf hanebüchene Sachen gestoßen, was den Sicherheitsnachweis angeht."
Empört sich der Informatiker Schellenberg. Denn der Betreiber Electrabel durfte Tihange 2 wegen dieses Berichts damals wieder ans Netz schalten.
"Es waren beispielsweise Aussagen darin wie: Mit einer Ultraschalluntersuchung können wir ausschließen, dass diese Risse größer werden. Wie will ich das mit einer Ultraschalluntersuchung bewerten können, ob sich Risse entwickeln? Da muss ich ja mindestens zwei Aufnahmen haben. Also, in der Zusammenfassung hat die belgische Atomaufsicht von Rissen bis maximal 2,5 Zentimeter damals noch gesprochen, obwohl in Detailgrafiken schon Risse bis über sieben Zentimetern sichtbar waren. Also man konnte ganz trivial nachweisen, dass die belgische Atomaufsicht die Öffentlichkeit ganz bewusst belügt."
Tihange 2 war vier Tage am Netz - dann brach ein Brand aus
Auch die Situation Ende 2015 hat man in Aachen noch nicht vergessen. Tihange 2 war nach erneuter Zwischenabschaltung gerade einmal wieder vier Tage am Netz, als ein Brand ausbrach, diesmal in Block 1. Walter Schumacher erinnert sich:
"Dann gab es kurz vor Weihnachten die Meldung von einem abgerissenen Wasserflunsch im AKW mit einer Notabschaltung, und dann wurde allen klar: Mein Gott, das könnte wirklich der Auftakt sein zu was ganz Üblem. Daraufhin hatten wir aufgerufen zu einer Demonstration am Elisenbrunnen. Und das war zwei Tage vor Heiligabend. Wir hatten auf einen Schlag 2000 Leute da."
"Dann habe ich erlebt, wie hier in Aachen viele viele Menschen, und zwar nicht die Berufsprotestierer, sondern wirklich Väter, Mütter, Großeltern auf dem Elisenbrunnen gestanden haben und protestiert haben nach dem Motto: Tihange muss gestoppt werden!", ergänzt Städteregionsrat Helmut Etschenberg.
Noch zu Weihnachten 2015 signalisierte Ministerin Hendricks ihre Unterstützung. Manchem Aachener Bürger hat an den Feiertagen die Angst im Nacken gesessen.
"Wir kriegten Anrufe: Wo kriegen wir die ganzen Kinderschutzmasken her? Sollen wir Wasser bunkern, sollen wir Essen bunkern? Wir haben dann gesagt: Leute, ein bisschen leiser , ein bisschen lamgsamer, und haben dann die Agitation ein bisschen runtergefahren ."
Fachleute messen vom Helikopter aus die radioaktive Strahlung der Atomkraftwerks in Tschernobyl nach dem Reaktorunfall 1986.
Fachleute messen vom Helikopter aus die radioaktive Strahlung des Atomkraftwerks in Tschernobyl nach dem Reaktorunfall 1986 - das soll sich nicht wiederholen. (picture alliance/ dpa/ Sputnik)
Walter Schumacher hat selbst zwei Kinder und fünf Enkel. Er hat in dieser Zeit hunderte Gespräche geführt, bei denen es nur um ein Thema ging:
"Was mache ich, wenn es knallt? Es gibt hier nur eine Autobahn Richtung Köln. Wenn die aus Maastricht und aus Lüttich alle zusammen Richtung Osten fliehen wollen, kommen alle in Aachen vorbei; da läuft hier nichts mehr auf den Autobahnen."
Bald wurden von der Städteregionsregierung rund um Aachen kostenfreie Jodtabletten verteilt. 135.000 Menschen haben sie für den Fall der Fälle in ihre Arzneischränke eingelagert.
"Es ist nicht wie in Tschernobyl, wo tausende Kilometer nichts ist, nicht wie Fukushima , wo alles ins Meer geht", sagt der Energiefachmann Andreas Nordhoff, der sich als Kölner gegen die Reaktoren in Belgien und anderswo engagiert .
In der Domstadt ist Nordhoff eher ein Einzelkämpfer:
"Die Kölner sind 100 Kilometer entfernt, still ruht der See, keiner interessiert sich dafür. Faktisch betroffen, wenn ein bisschen Wind weht, dann hat man den radioaktiven Fallout eben eine Stunde oder zwei oder drei Stunden später als die Aachener. Man kann das ja auch nicht löschen, das ist ja kein Feuer, das man eben mal löschen kann mit Wasser."
Intensive Zusammenarbeit belgischer und deutscher Experten
Von den heftigen Protesten aus dem Nachbarland hatte sich Belgien stets unbeeindruckt gezeigt. Man habe volles Vertrauen in die Arbeit der Atomaufsicht FANC, so der belgische Innenminister Jan Jambon . Immerhin vereinbarte er mit der damaligen Umweltministerin Barbara Hendricks eine intensive Zusammenarbeit belgischer und deutscher Experten – und die mündete nun in dem Bericht der Reaktorsicherheitskommission RSK zu den Reaktoren Tihange 2 und Doel 3.
"Wir haben Unterlagen durchgesehen, wir haben deren Berechnungen gesehen", erklärt der Chef der Kommission, Rudolf Wieland vom TÜV Nord.
Zusammen mit weiteren Experten hat er den Sicherheitsnachweis der belgischen Behörden überprüft.
"Wir haben natürlich auch die Ergebnisse der Ultraschallprüfung teilweise gesehen, sodass wir uns ein Bild davon machen konnten: Wie sehen die Risse aus, was haben die für Berechnungen vorgenommen, welche Werkstoffkennwerte haben sie angesetzt? Das haben wir alles geliefert bekommen."
Die Mitglieder der Expertenkommission RSK werden vom Bundesumweltministerium berufen. Auch Atomkraftgegner würden dabei gehört, sagt Wieland:
"Es sind Professoren dabei von Hochschulen, Gutachter von TÜV, Ökoinstitut, Physikerbüro, und es sind auch einzelne Sachverständige, und jeweils ein Vertreter von Betreibern und Herstellern."
Der belgische Innenminister Jan Jambon und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks während eines Treffens über die Lage in den Pannen-Kraftwerken Tihange und Doel.
Der belgische Innenminister Jan Jambon und die ehemalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, 2016 (picture alliance / dpa / Eric Lalmand)
Gemeint sind Betreiber und Hersteller von Atomkraftwerken. Ein abschließendes Urteil zur Sicherheit der Reaktoren sei das jedoch nicht:
"Ob sie gefährlich oder nicht gefährlich sind, das sagen wir als RSK auch nicht. Sondern wir haben nur zu bewerten, ob die Bewertungsmethode, was man da macht, auch auf heutigem Stand von Wissenschaft und Technik ist: Geht man so auch vor?"
Das jedenfalls bejaht Rudolf Wieland und stellt den belgischen Kollegen also erst einmal ein gutes Zeugnis aus. Aber er räumt auch ein:
"Wir können jetzt nicht komplett alles bestätigen, was die in Belgien gemacht haben. Weil wir an der Stelle der Meinung sind, dass die Berechnungsmethode, die sie angewandt haben, die ist sicherlich für Einzelrisse ohne Zweifel anzuwenden, aber für Rissfelder wissen wir nicht, ob bringt sie vielleicht realistische, aber auch optimistische Ergebnisse. Das können wir nicht sagen. Die Belgier haben aber eine ganze Menge zusätzliche Konservativitäten eingebaut."
Trotz dieser Konservativitäten, nach denen man die Bedingungen in den Reaktoren kritischer ansetzt, als sie tatsächlich sind, widerspricht das Ergebnis der RSK fundamental der Einschätzung der Vereinigung internationaler Nuklearexperten zu Tihange 2.
Bewertung: weit weniger gefährlich als zuvor angenommen
"In Deutschland und auch weltweit gibt es ein Sicherheitskonzept für Kernkraftwerke, ein internationales Sicherheitskonzept. Und danach müssen bestimmte Störfälle von einem Kernkraftwerk beherrscht werden können", erklärte Wolfgang Renneberg von der Vereinigung internationaler Nuklearexperten im April im Deutschlandfunk: Er ist ehemaliger Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium.
"Das ist in Tihange nicht der Fall, denn da kann es passieren, dass beispielsweise bei einem kleinen Abriss einer Leitung, die normalerweise kein Problem für das Kernkraftwerk sein sollte, die Sicherheitseinrichtungen dazu führen, dass der Reaktor-Druckbehälter kaputt geht, und das ist das Schlimmstmögliche, was passieren kann."
Zu dieser Einschätzung steht Renneberg auch heute noch.
Und auch der Chef der Reaktorsicherheitskommission Rudolf Wieland räumt ein, dass man nicht grundsätzlich zu einer anderen Einschätzung gekommen sei, als die internationalen Nuklearexperten um Wolfgang Renneberg. Man habe das Ergebnis nur anders bewertet.
Folgt man dieser Bewertung, sind die Reaktoren insgesamt weit weniger gefährlich als zuvor angenommen.
Nach alldem stellt sich die Frage: War die Panik der Bürgerinnen und Bürger in Aachen also übertrieben?
Atomkraftgegner halten im belgischen Eupen Plakate mit der Aufschrift "Stop Tihange und Doel" hoch.
Atomkraftgegner halten im belgischen Eupen Plakate mit der Aufschrift "Stop Tihange und Doel" hoch. (dpa / picture alliance / Khang Nguyen)
Walter Schumacher läuft über den Marktplatz am Dom vorbei. Hier standen vor einem Jahr die Menschen aus Deutschland, den Niederlanden und Belgien, insgesamt 50.000 in einer 90 Kilometer langen Menschenkette bis zum Atomkraftwerk Tihange. In den Fenstern von Privathäusern und Geschäften hingen die gelben Plakate: Tihange abschalten, darunter das Zeichen für Radioaktivität.
"Jedes zweite Haus hatte so ein Ding", sagt Schumacher. Heute sieht man nur noch hier und da ein vergilbtes Plakat. Dann plötzlich eine hohe Glasfassade mit einem mehrere Quadratmeter großen, leuchtendem Transparent dahinter.
"Das ist die Mayersche Buchhandlung. Der Besitzer ist konsequenter Gegner von diesem AKW-Kram und hilft, wo er kann."
Auch der Inhaber von Sport Spezial, in einer kleinen Seitenstraße gelegen, steht mit einem Plakat in der Auslage zu seiner Überzeugung:
"Wir sind alle Sportler und Wanderer und genießen die Natur, und möchten die in unserer Region auch erhalten haben, das hohe Fenn und die Eifel, und das Ganze nicht doch irgendwann mal verseucht haben."
Zwei Klagen auf den Weg gebracht
Damit diese Katastrophe nicht eintritt, hat der Städteregionsrat Helmut Etschenberg zwei Klagen wegen Tihange 2 gegen den belgischen Staat, die Atomaufsicht FANC sowie den Betreiber Electrabel auf den Weg gebracht:
"Ich habe in meinem Parlament, dem Städteregionstag dann, einen einstimmigen Beschluss bekommen, dass wir juristisch mit allen Mitteln, die es gibt, dagegen vorgehen. Und ich bin auch stolz darauf, dass es mir gelungen ist, dieses Thema parteipolitisch neutral einfach nach vorne zu bringen."
Die erste Klage soll im kommenden November zur Verhandlung kommen.
"Die lautet sinngemäß: Wir sind der Überzeugung, dass die Inbetriebnahmegenehmigung nicht korrekt nach belgischem Recht vorgenommen worden ist. Wir fordern ein, uns die Betriebsgenehmigung, die Erlaubnis des Staates, in einem Dokument vorzulegen."
Dieses Dokument, vermuten die Kläger, existiere gar nicht – oder jedenfalls nicht mit dem notwendigen königlichen Erlass.
Bei der zweiten Klage gegen Tihange 2 geht es um die persönliche Betroffenheit von Bürgern und Städten, die im Falle eines GAU um ihre Gesundheit und ihren Besitz fürchten. Insgesamt 120 Kommunen aus Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg, darunter Köln, Düsseldorf, Dortmund, Maastricht und die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, unterstützen die Klagen. Dass Tihange 2 deshalb vorzeitig abgeschaltet werden könnte, wird allerdings vielfach skeptisch gesehen – zumal nach dem Urteil der Reaktorsicherheitskommission.
Teilnehmer bilden (25.06.17) vor dem Atomkraftwerk Tihange (Belgien) eine Menschenkette.
Teilnehmer bilden am 25.06.17 vor dem Atomkraftwerk Tihange eine Menschenkette (dpa / belga / Anthony Dehez )
Jörg Schellenberg vom Aachener Aktionsbündnis hegt grundlegende Zweifel an der Bewertung der RSK. Wie so häufig bei Industrie-Gutachten sind die Unterlagen, auf die sich die Expertise bezieht, geheim. Vermutlich stammten die meisten Daten vom Betreiber und der Atomaufsicht selbst - und kritische Gutachten wurden nicht berücksichtigt, so Schellenberg, den das nicht überrascht:
"Man muss sich einfach mal die Mitglieder der RSK anschauen: Da sind Manager, da sind Geschäftsführer drin von Konzernen und Manager von Firmen, die ein originäres Interesse daran haben, diese Reaktoren gesund zu beten."
Solche Befangenheitsvorwürfe empören Kommissions-Chef Rudolf Wieland, der selbst für den TÜV Nord arbeitet:
"Ich finde das alles immer sehr weit hergeholt. Also diese Fragen können wir so nicht angehen, sonst haben wir irgendwann niemand mehr."
Tatsächlich ist das ein Grundproblem aller Bewertungskommissionen: Die Experten arbeiten in dem entsprechenden Industriebereich, in diesem Fall also der Atomwirtschaft und den angeschlossenen Behörden zum Beispiel als Prüfer oder Sachverständiger. Selbst die Professoren an den Unis sind weitgehend von den Drittmitteln dieser Industrie abhängig. Jörg Schellenberg unterstellt auch dem TÜV Interessenkonflikte:
"Der TÜV Nord hat natürlich auch ein Interesse daran, weil das Atomgeschäft in Deutschland schwindet, da muss man sich andere Märkte erschließen. Und da ist der belgische Markt sicher ein interessanter Markt, um seine Expertise auch anzubieten, und da kommt so ein Gutachten mit Sicherheit gelegen."
Brennstäbe aus dem Emsland
In Deutschland wird auch sonst mit den belgischen Reaktoren gutes Geld verdient. Denn die Brennstäbe liefert seit 2016 eine Firma aus Lingen im Emsland. Viele davon sind ausgerechnet für Tihange 2 bestimmt:
"Wir wissen aber, dass das Bundesumweltministerium letztendlich auch in der Zwickmühle ist, dass offensichtlich der Brennelemente-Export aus Lingen nach Belgien nicht eingestellt werden soll."
Schellenberg unterstellt daher, auch die Bundesregierung sei zu befangen, um eine faire Einschätzung der belgischen Reaktoren abzugeben . Wären sie ihr zu gefährlich, sagt er:
"Dann sagt das Atomgesetz, dass man dann auch nicht exportieren darf, weil man damit auch die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. So, wenn man, natürlich jetzt plötzlich feststellt, dass die Reaktoren doch gar nicht so gefährlich sind, das ist doch eine wunderbare Idee den Konflikt mit den Exporten vom Tisch zu haben."
Deutschland exportiert Brennstäbe, obwohl es den Atomausstieg noch vor Belgien beschlossen hat, erstmals im Jahr 2000 war das. Inzwischen sieht es so aus, als wenn das belgische Ausstiegsszenario mindestens so unbefriedigend ausfällt wie das deutsche.