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Panorthodoxes Konzil auf der Kippe, Teil 2:
Politisch-theologische Problemfelder der Orthodoxie

Bis zuletzt spielen die orthodoxen Kirchenführer mit den Muskeln. Findet das erste panorthodoxe Konzil statt? Ja oder Nein? Der Konflikt entspannt sich an der Frage, wer hat die Vormacht: der Patriarch von Konstantinopel oder der von Moskau? Nach wie vor gibt es Spekulationen, das Konzil könnte platzen, weil einzelne nationale Kirchen absagen.

Von Ulrich Pick |
    Kalenderfrage, Diasporakirchen, territoriale Zuständigkeiten - es gibt viel Stoff für Diskussionen auf dem panorthodoxen Konzil.
    Panorthodoxes Konzil auf Kreta: Kalenderfrage, Diaspora-Kirchen, territoriale Zuständigkeiten - es gibt viel Stoff für Diskussionen. (Deutschlandradio / Andreas Main)
    Die dringendsten Probleme, mit denen sich das panorthodoxe Konzil befassen will, betreffen innerorthodoxe Spannungen. Hierzu zählen ungeklärte Fragen der Rechtsprechung sowie der territorialen Zuständigkeit. So beansprucht beispielsweise die russisch-orthodoxe Kirche die Jurisdiktion über alle orthodoxen Gläubigen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Damit bezieht sie auch die Nachfolgestaaten ein wie beispielsweise die Ukraine, Weißrussland und die zentralasiatischen Republiken. Dieses Vorgehen aber provoziert Widerstand gegenüber Moskau, sagt Stefan Kube, der Chefredakteur der in Zürich erscheinenden Zeitschrift "Religion und Gesellschaft in Ost und West".
    "Besonders heikel ist der Fall Ukraine, weil es dort neben der von Moskau unterstützten, anerkannten orthodoxen Kirche zwei weitere, sogenannte nicht-kanonische orthodoxe Kirchen gibt. Das heißt: Kirchen, die von den anderen orthodoxen Kirchen weltweit nicht anerkannt sind, die aber versuchen, sich als ukrainische Nationalkirche zu positionieren.
    Und diese beiden Kirchen versuchen immer wieder, anerkannt zu werden von Konstantinopel. Und es gibt einige Bischöfe vom Patriarchat Konstantinopel, die sich in dieser Richtung auch geäußert haben, was in Moskau auf negative Reaktionen gestoßen ist."
    Die Diasporakirchen werden immer einflussreicher, tritt die orthodoxe Kirche bald als "Weltkirche" auf?
    Die Diasporakirchen werden immer einflussreicher, tritt die orthodoxe Kirche bald als "Weltkirche" auf? (Deutschlandradio / Andreas Main)
    Ein anderes Problem betrifft das ehemalige Jugoslawien. Dort spaltete sich die mazedonisch-orthodoxe Kirche im Jahr 1967 von der serbisch-orthodoxen Kirche ab. Sie erklärte sich für eigenständig, da sie die Mehrheit der mazedonischen Bevölkerung repräsentiert. Bis heute wird sie aber von der Gesamtorthodoxie nicht anerkannt. Denn die allgemeine Anerkennung kann nur erfolgen, wenn sie auch von der serbisch-orthodoxen Kirche anerkannt wird. Diese aber sperrt sich, sagt der orthodoxe Theologe Carol Lupu, ehemaliger Referent bei der serbisch-orthodoxen Kirche in Deutschland:
    "Man muss wissen: In der orthodoxen Kirche gibt es zwei Stufen, um in die völlige Selbständigkeit zu kommen. Das erste ist der Autonomie-Status und dann kommt der Autokephalie-Status, das heißt, man hat einen eigenen Leiter in der Kirche. Diese beiden Stufen hat es nicht gegeben. Und das ist genau der Kritikpunkt, warum die serbisch-orthodoxe Kirche jetzt die Autokephalie der mazedonisch-orthodoxen Kirche nicht anerkennt. Und die mazedonisch-orthodoxe Kirche ist nicht bereit, einen Schritt zurückzutreten und zu sagen, okay wir sind bereit die Autonomie zu akzeptieren, um dann von diesem Status aus weiterhin Gespräche zu führen."
    Ebenso schwierig, wenngleich in seiner Außenwirkung erheblich bedeutsamer, ist die Frage der Diasporakirchen. Gemeint sind die Ableger der traditionellen Orthodoxie in Westeuropa und Amerika. Diese sind in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsen. Die einflussreicher gewordenen Diasporakirchen unterstreichen, die Orthodoxie gewinne jenseits ihrer ursprünglichen Heimatländer immer mehr an Bedeutung. Eigentlich wäre diese geografische Ausweitung Anlass und Ansporn, als Weltkirche aufzutreten - so wie es die römisch-katholische Kirche macht. Statt aber gemeinsam an einem Strang zu ziehen, verzetteln sich die verschiedenen orthodoxen Kirchen, konkurrieren miteinander und verlieren damit den Blick für das Wesentliche.
    "Das Problem der Diaspora zeigt ganz genau das Problem der Orthodoxie unter sich. Dass sie keine Kommunikation hat: Die serbisch-orthodoxe Kirche hat in Deutschland einen Bischof, die griechisch-orthodoxe Kirche hat einen Metropoliten mit mehreren Weihbischöfen, die rumänisch-orthodoxe Kirche hat einen Bischof und einen Weihbischof, die bulgarisch-orthodoxe Kirche ... und so weiter. Das heißt: Die Orthodoxie fühlt sich gar nicht als eine Kirche. Sondern sie fühlt sich als eine Kirche mit der und der nationalen Prägung. Es wäre jetzt vom Konzil zu erwarten, dass man sagt: Deutschland ist ein eigenes Land, es hat soundso viele Bischöfe und es gibt einen Metropoliten. Und das wäre dann eine orthodoxe Kirche für alle Gläubigen."
    Gleiche Feste, verschiedene Festtage
    Ein Problemfeld von besonders großer Sensibilität ist zudem die Kalenderfrage. Während die westlichen Kirchen einheitlich den Gregorianischen Kalender benutzen, gibt es bei den orthodoxen verschiedene Kalender. Die Folge, so Stefan Kube: Wichtige kirchliche Feste werden an unterschiedlichen Tagen begangen.
    "Dabei geht es vor allen Dingen darum, dass manche orthodoxen Kirchen dem Gregorianischen Kalender folgen oder teilweise dem Gregorianischen Kalender folgen. Manche dem Julianischen Kalender. Was zum Beispiel dazu führt, dass die orthodoxen Kirchen an verschiedenen Daten Weihnachten feiern. Manche wie die griechisch-orthodoxe Kirche am 24. Dezember wie die westliche Christenheit. Dagegen feiern die russische oder serbisch-orthodoxe Kirche Weihnachten am 6. Januar. Was natürlich für die innerorthodoxe Ökumene ein schlechtes Zeichen ist, wenn man an verschiedenen Tagen Weihnachten feiert.
    Mit einer Lösung der Kalenderfrage tut man sich allerdings schwer. Die Haltung der orthodoxen Kirchenoberhäupter ist von großer Vorsicht geprägt. Man möchte sich zwar gegenseitig austauschen und gemeinsames Vorgehen demonstrieren, hat aber gleichzeitig Angst, einander weh zu tun. Die Folge ist, dass der inhaltliche Rahmen des zwölftägigen Treffens bereits im Vorfeld recht eng gefasst worden ist.
    Innerorthodoxe Einigkeit um jeden Preis: Auf dem Konzil soll nach dem Konsensprinzip entschieden werden.
    Innerorthodoxe Einigkeit um jeden Preis: Auf dem Konzil soll nach dem Konsensprinzip entschieden werden. (Deutschlandradio / Andreas Main)
    Wie sehr die Planung des Konzils von Vorsicht und Zurückhaltung geprägt ist, zeigt sich auch bei den Abstimmungsmodalitäten. Um möglichst große innerorthodoxe Einigkeit zu erzielen, wurde nämlich vereinbart, dass Entscheidungen nicht nach dem Mehrheits- sondern nach dem Konsensprinzip gefällt werden.
    Dass die Patriarchen, Metropoliten und Erzbischöfe bei ihrem letzten Vorbereitungstreffen nicht nur die Tagesordnung, sondern auch den Abstimmungsmodus des Konzils bewusst eng gefasst haben, dürfte nicht nur der Angst vor Spaltungen geschuldet sein. Das Vorgehen soll nach Einschätzung von Stefan Kube auch eine Schutzmaßnahme gegen andere, unvorhergesehene Eventualitäten sein:
    "Diese restriktive Verfahrensordnung deutet darauf hin, dass vermieden werden soll, endlos Debatten zu haben. Dass nicht in dem Sinn wie beim Zweiten Vatikanischen Konzil mit solchen Überraschungen zu rechnen ist, dass nochmal Vorlagen komplett neu geschrieben werden oder nochmal neuen Impetus bekommen. Sondern dass eher die vorbereiteten Dokumente mehr oder weniger angenommen werden."
    Für den orthodoxen Theologen Carol Lupu, ist dies genau der Punkt, der ihn ärgert. Denn ein Konzil, so sagt er, sei doch dazu da, um sich innerhalb der Orthodoxie endlich einmal auszutauschen. Stattdessen würde alles darangesetzt, die akribisch vorbereiteten Dokumente mit geringer Diskussion mehr oder weniger durchzuwinken.
    "Und deswegen sind diese ganzen Beschlüsse jetzt schon längst im Grunde fertig. Sie sind zu den Mitgliedskirchen geschickt worden. Die haben gesagt: 'Wir sind einverstanden. Wir sind nicht einverstanden mit dieser Thematik.' Und das ist ein Problem."