Archiv

Papier der Unions-Innenminister
"Vorschläge haben mit Terrorbekämpfung nichts zu tun"

Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic hat die neuen Vorschläge der Union für strengere Sicherheitsgesetze zurückgewiesen. Keine dieser Maßnahmen hätte einen der jüngsten Anschläge in Deutschland verhindern können, sagte sie im DLF. Sie habe den Eindruck, die Ereignisse sollten instrumentalisiert werden, um alte Forderungen durchzusetzen.

Irene Mihalic im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic.
    Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic. (imago / Christian Ditsch)
    Der einzig richtige Vorstoß sei die Forderung, mehr Polizisten einzustellen. "Die anderen Vorschläge haben mit Terrorbekämpfung überhaupt nichts zu tun", sagte Mihalic im Deutschlandfunk. Die Grünen-Politikerin kritisierte zudem die Forderung nach einem Aus für die doppelte Staatsbürgerschaft. Diese sei eine große Errungenschaft. Daran dürfe auf keinen Fall gerüttelt werden.
    Mihalic lehnte auch den Vorstoß zu Ausbürgerungen ab. Das erinnere an die finstersten Zeiten der deutschen Geschichte. Die Überlegungen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, die ärztliche Schweigepflicht zu lockern, bezeichnete sie als Populismus.
    Sowohl Bundesinnenminister de Maiziere als auch die Länderinnenminister der Union planen, die Sicherheitsgesetze zu verschärfen. Medienberichten zufolge will de Maiziere unter anderem die ärztliche Schweigepflicht lockern und einen neuen Haftgrund für die Abschiebung einführen. Die Länderminister erwägen Maßnahmen wie ein Verbot der Vollverschleierung und eine Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Die Kanzlerin hatte es vor knapp zwei Wochen schon angekündigt: Nach den jüngsten Anschlägen in Deutschland will die Regierung mehr für die Sicherheit tun. Neun Punkte hatte Angela Merkel umrissen, ohne Einzelheiten zu nennen. Der Innenminister werde sich darüber mit den Ländern verständigen. Zugleich erwägt Thomas de Maizière aber auch weitere Gesetzesänderungen kurzfristiger Art, die sollen morgen vorgestellt werden. Einiges aber ist schon heute bekannt geworden, unter anderem hat die "BILD"-Zeitung berichtet.
    Und mitgehört hat Irene Mihalic, die Innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Guten Tag, Frau Mihalic!
    Irene Mihalic: Guten Tag, Herr Barenberg!
    Barenberg: Bevor wir gleich auf die Vorschläge im Einzelnen zu sprechen kommen, vielleicht erst mal grundsätzlich die Frage: Ist es Zeit, jetzt wirklich deutliche Konsequenzen aus den bekannten Gefahren zu ziehen?
    Mihalic: Ich frage mich allen Ernstes, was die Vorschläge, die uns heute präsentiert wurden und die ja in den kommenden Tagen auch noch konkretisiert werden sollen, tatsächlich mit den Anschlägen, die uns in der jüngsten Vergangenheit ereilt haben, unmittelbar zu tun haben. Denn ich kann von den vielen Maßnahmenpaketen, die dort genannt sind, keine einzige Maßnahme erkennen, die tatsächlich dazu beigetragen hätte, dass auch nur ein einziger dieser Anschläge hätte wirkungsvoll verhindert werden können.
    "Ein guter Punkt ist ja in dem Papier auch enthalten, und zwar die Aufstockung des Personals bei der Polizei"
    Barenberg: Das heißt, der Tenor, der sich so ein bisschen durch diese Vielzahl von Vorschlägen zieht, wir sind zu liberal gewesen, wir sind in unserer Toleranz zu weit gegangen, diese Einschätzung teilen Sie nicht?
    Mihalic: Diese Einschätzung teile ich nicht, weil ich einfach nicht erkennen kann, was all diese Vorschläge damit zu tun haben, dass sich die Sicherheit hier in Deutschland durch die Umsetzung dieser Vorschläge tatsächlich erhöhen würde. Also irgendwie scheint mir das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun zu haben. Mir kommt es eher so vor, als sollen hier die Ereignisse der Vergangenheit instrumentalisiert werden, um altgehegte Forderungen wie beispielsweise die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft oder andere Dinge, die da schon seit geraumer Zeit gefordert werden, endlich umzusetzen, als wenn man jetzt nach einem Anlass gesucht hätte. Ich finde, stattdessen sollte sich die Union darauf konzentrieren, tatsächlich Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer Erhöhung der inneren Sicherheit führen. Ein guter Punkt ist ja in dem Papier auch enthalten, und zwar die Aufstockung des Personals bei der Polizei. Aber die anderen Vorschläge, die dort unterbreitet werden, haben meiner Ansicht nach mit Terrorbekämpfung überhaupt nichts zu tun.
    Barenberg: Lassen Sie uns gleich noch über ein, zwei dieser Punkte sprechen, aber bleiben wir für einen Augenblick noch bei der Situation bei der Polizei. Das hatte die Kanzlerin ja auch angekündigt. Da gibt es zu wenig Personal. Es soll auch eine bessere Ausstattung geben. Außer Frank Tempel von der Linkspartei hat das im Grunde auch im Programm bei uns im Deutschlandfunk heute Vormittag Arnold Plickert noch mal bestätigt, der Stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Hören wir uns kurz an, wie seine Analyse heißt:
    Arnold Plickert: Die innere Sicherheit ist ja in den letzten Jahren kaputt gespart worden. Wir haben bundesweit 20 Millionen Überstunden, die die Kollegen vor sich her schieben. Das sind noch mal 1.150 Stellen, die uns im Prinzip fehlen.
    "Die Union stellt seit elf Jahren den Innenminister; sie hätte schon längst etwas tun können"
    Barenberg: Frau Mihalic, teilen Sie diese Analyse, also die Polizei ist im wahrsten Sinne des Wortes kaputt gespart worden in den vergangenen Jahren?
    Mihalic: Die Situation in den einzelnen Bundesländern ist da sicherlich unterschiedlich zu bewerten. Das muss auch in den jeweiligen Bundesländern passieren, und das tun ja die Innenminister hoffentlich auch und kommen da auch zu unterschiedlichen Bewertungen sicherlich. Was wir uns natürlich anschauen müssen als Bundestagsfraktion, ist, wie ist denn die Situation bei der Bundespolizei. Und da muss man tatsächlich attestieren, hat die Union, die ja seit elf Jahren auch den Innenminister stellt, leider auch auf Kosten der Bundespolizei Einsparungen durchgeführt. Da ist das Personal zum Teil abgebaut worden, zum Teil aber auch nicht in dem Maße aufgestockt worden, wie es aufgrund von Pensionierungen oder anderen Abgängen nötig gewesen wäre. Und das rächt sich natürlich heute. Das begrüßen wir auch grundsätzlich, dass das Personal bei der Polizei, bei der Bundespolizei aufgestockt werden soll, dass da mehr Beamtinnen und Beamte eingestellt werden sollen. Aber auch hier darf man sich nichts vormachen, denn aus Polizeikreisen hören wir auch, dass die Ausbildungskapazitäten heute schon am Limit sind. Das heißt, wenn wir bei den Ausbildungskapazitäten nichts machen und uns auch nicht bemühen, geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu finden, dann wird das natürlich auch eine Forderung sein, die am Ende dann auch ins Leere läuft. Da müssen jetzt tatsächlich konkrete Maßnahmen getroffen werden. Wie gesagt, die Union stellt seit elf Jahren den Innenminister. Sie hätte schon längst etwas tun können. Und jetzt hat sie die Möglichkeit, es auch umzusetzen.
    Mihalic fordert Personalaufstockung bei der Bundespolizei
    Barenberg: Es ist ja angekündigt von der Bundesregierung, dass Tausende neue Beamte eingestellt werden sollen bei der Bundespolizei. Das reicht nach Ihrer Einschätzung nicht aus?
    Mihalic: Wir Grüne thematisieren ja den Personalnotstand bei der Bundespolizei schon seit längerer Zeit, und wir fordern auch schon seit längerer Zeit, dass das Personal bei der Bundespolizei aufgestockt wird. Mir scheint hier eine Aufstockung auf jeden Fall angemessen. Wir haben zum Beispiel erst kürzlich gefordert, zu den 3.000 Stellen, die ja ohnehin jetzt geschaffen werden, noch mal 1.000 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei zu schaffen, die aber in regionale Konzepte eingebunden sind, um tatsächlich für mehr Polizei auch in der Fläche zu sorgen, weil das ist ja jetzt das Wichtige. Einfach nur sozusagen den Personalkörper zu erhöhen, wird ja nicht automatisch auch mehr Polizistinnen und Polizisten auf die Straße bringen, sondern da müssen schon andere Konzepte her, die auch tatsächlich dafür sorgen, dass das Personal entsprechend verteilt wird. Das fordern wir Grüne schon seit geraumer Zeit. Ich hoffe, dass diese Forderung jetzt auch tatsächlich mal umgesetzt wird, denn, wie gesagt, Gelegenheit gab es schon genug, und ich hoffe, dass es jetzt auch mal was wird.
    Barenberg: Sprechen wir über einen anderen Punkt, den Sie auch schon angesprochen haben, das Thema doppelte Staatsbürgerschaft. Da gibt es ja einige, die jetzt argumentieren, das sei rückblickend betrachtet keine Brücke in die Integration, sondern es hätte sich gezeigt, dass es mehr ein Hindernis ist.
    Mihalic: Das ist eine Analyse, die in diesem Papier getroffen wird, die ich aber so nicht teilen kann. Wir haben ja niemals gesagt, dass die doppelte Staatsbürgerschaft das alleinige und das einzige Instrument ist, um hier für eine gute Integration ausländischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu sorgen, sondern das ist natürlich ein Gesamtpaket an Maßnahmen, das da notwendig ist, um Menschen dazu zu bringen, sich auch mit Deutschland zu identifizieren, mit den hiesigen Lebensgewohnheiten, mit unseren Werten, mit unserer Kultur. Die Staatsbürgerschaft allein macht das ja noch nicht. Dennoch ist es selbstverständlich eine sinnvolle Maßnahme gewesen und eine große Errungenschaft in Deutschland, endlich auch Menschen, die sich eben nicht entscheiden wollen zwischen einer Nationalität, es zu ermöglichen, sowohl die Nationalität ihres Herkunftslandes oder zum Beispiel der Herkunft ihrer Eltern zu behalten, aber auf der anderen Seite eben auch sich als Deutsche zu fühlen, auch die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Das gehört einfach zur Lebenswirklichkeit vieler junger Migrantinnen und Migranten dazu, oder Menschen mit Migrationshintergrund, und daran sollte meiner Ansicht nach nicht gerüttelt werden, auf gar keinen Fall.
    Und der andere Vorschlag, der da im Raume steht, Ausbürgerungen von deutschen Staatsbürgern – das erinnert mich wirklich an die finstersten Zeiten unserer Geschichte, und daran sollte doch beim besten Willen niemand anknüpfen wollen. Und man muss sich natürlich auch bei dieser Maßnahme die Frage stellen, inwiefern soll denn die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft zur Erhöhung der inneren Sicherheit beitragen? Das ist eine Frage, die ist für mich noch überhaupt nicht beantwortet. Das gehört für mich in die Kategorie Sammelsurium und Maßnahmen, die wir schon gern mal umgesetzt gewusst hätten, aber bisher noch nicht wussten, wie. Das scheint mit keine tragfähige Maßnahme zu sein, um jetzt tatsächlich für Sicherheit zu sorgen.
    "Wir sollten nicht in die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht gehen"
    Barenberg: Mehr Sicherheit könnte auch Platz greifen, wenn es Änderungen bei der ärztlichen Schweigepflicht gibt. Wir wissen ja beispielsweise von dem Attentäter von Ansbach, dass er in psychiatrischer Behandlung war. Es gibt eben nun mal dieses Dilemma bei einem Arzt, die Schweigepflicht auf der einen Seite, auf der anderen Seite die Pflicht, geplante Straftaten anzuzeigen, wenn er davon erfährt. Wäre da eine Lockerung, wie der Innenminister das im Auge hat offenbar, sinnvoll?
    Mihalic: Der Präsident der Ärztekammer hat dazu ja auch schon eine deutliche Stellungnahme abgegeben, die ich teile. Ich finde, wir sollten nicht in die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht gehen, denn die ärztliche Schweigepflicht begründet ein tiefes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Sie haben den Fall aus Ansbach zitiert vorhin. Da gab es ja ein psychologisches Gutachten, das im Übrigen auch sehr eindeutig war und darauf hingewiesen hat, dass der Mann im Grunde genommen nichts mehr zu verlieren hat und möglicherweise auch auf spektakuläre Art und Weise sich das Leben nehmen möchte. Diese Äußerung, die da getätigt worden ist, hat offenbar niemanden interessiert, also zumindest hat sich nach diesem Gutachten niemand veranlasst gesehen, in irgendeiner Art und Weise Maßnahmen zu ergreifen, um damit auch für die Sicherheit zu sorgen. Also insofern muss man sich schon fragen, wohin das dann letzten Endes führen soll. Ich glaube nicht, dass das eine tragfähige Möglichkeit wäre. Das ist meiner Ansicht nach nur ein weiterer Tabubruch. Im Übrigen ist es ja heute schon Rechtslage, dass, wenn Ärzte sich in einem solchen Dilemma befinden und wirklich von schwersten Straftaten, die da begangen werden sollen, Kenntnis erlangen, dann können sie selbstverständlich auch heute schon die Sicherheitsbehörden darüber informieren. Das heißt, es bedarf hier überhaupt keiner rechtlichen Änderung, da Ärzte das bereits heute können.
    Und im Übrigen möchte ich auch noch mal die Frage stellen, wie viele Fälle denn eigentlich bekannt sind, wo Ärzte von solchen geplanten Terrorakten oder Straftaten Kenntnis erlangen und dieses dann noch hätten irgendwie den Polizeibehörden mitteilen können. Also ich glaube, auch diese Forderung muss man wirklich als puren Populismus kennzeichnen. Es soll Handlungsfähigkeit suggerieren an einer Stelle, wo es überhaupt nicht angezeigt ist und wo die Rechtslage es bereits heute hergibt, dass so etwas auch geschehen kann.
    Barenberg: Die Innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag heute hier live im Deutschlandfunk. Frau Mihalic, vielen Dank für das Gespräch!
    Mihalic: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.