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Papst zu Abtreibungen
"Das ist eine ganz unerhörte Botschaft"

Wenn Papst Franziskus Abtreibungen in einen Zusammenhang mit Auftragsmördern stelle, dann sei das die Botschaft eines alten Klerikers, sagte Christian Weisner von "Wir sind Kirche" im Dlf. Diese Kirchenleitung der alten Männer wisse viel zu wenig vom realen Leben. Im Bereich Sexualität sollte sie sich ein Moratorium auferlegen.

Christian Weisner im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Der Sprecher und Kopf der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche", Christian Weisner
    Der Sprecher und Kopf der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche", Christian Weisner (dpa / Tobias Hase)
    Jasper Barenberg: In den nächsten Minuten können wir darüber mit Christian Weisner sprechen, einem der Sprecher von "Wir sind Kirche", einer Reformbewegung katholischer Christen, die sich etwa für die Gleichstellung von Frauen einsetzt, oder auch die Gleichstellung von Laien mit dem Klerus. Schönen guten Abend, Herr Weisner.
    Christian Weisner: Grüß Gott.
    Barenberg: Papst Franziskus vergleicht einen Schwangerschaftsabbruch mit einem Auftragsmord. Ihre Bewegung hat dagegen ja sofort energisch protestiert. Was empört Sie an der Aussage des Papstes?
    Weisner: Ja, das ist ein diffiziles Thema. Papst Johannes-Paul II. hatte ja sogar mal vom Holocaust gesprochen und das so verglichen. Jeder Schwangerschaftsabbruch, jede Abtreibung ist ein Problem für die Frau, und das hat Papst Franziskus auch gesagt. Damit löst man keine Probleme. Aber das jetzt in einen Zusammenhang von Auftragsmördern zu stellen, das ist einfach eine ganz unerhörte Botschaft, und man muss sich mal fragen, wie das jetzt gerade auch für die Frauen wirkt – Frauen, die sich zu einer Abtreibung genötigt sehen, weil sie unendlich arm sind, weil sie von ihrer Familie dazu gedrängt werden. Das ist doch noch eine Botschaft eines alten Klerikers an die Frauen. Es wäre sehr viel besser oder diese Botschaft würde wahrscheinlich nicht mehr in dieser Form zustande kommen können, wenn im Vatikan endlich mehr Frauen auch Beraterin sind, auch Frauen sich mit einbringen in die katholische Lehre.
    Barenberg: Steht es dem Oberhaupt der katholischen Kirche nicht zu, Abtreibungen zu verurteilen und dafür auch durchaus hin und wieder drastische Worte zu wählen?
    Weisner: Ja. Aber was erreicht man damit? Es ist ja gut, dass Papst Franziskus vor ganz kurzer Zeit im Katechismus die Todesstrafe verdammt hat. Das heißt, dass an diesem Ende des Lebens die Kirche nicht mehr bereit ist, die Todesstrafe zu akzeptieren. Und es ist natürlich richtig, wenn die Kirche, wenn sich alle Religionen für das Leben in jeder Form einsetzen. Aber in Deutschland gerade haben wir natürlich doch eine ganz andere Erfahrung und es waren ja die katholischen Bischöfe in Deutschland, die damals in den 1990er-Jahren sich für Schwangerschaftskonfliktberatung eingesetzt haben. Denn nur wenn man erst mal eine Beratung anbietet, die offen ist, erreicht man die Frauen, die in einer Notlage sind. Das hat damals Johannes-Paul II. und Joseph Ratzinger als Glaubensprefekt in Rom, das haben die zehn Jahre lang hintertrieben. Der deutsche Kardinal Karl Lehmann hat noch darüber gekämpft, hat sich darüber verkämpft mit Rom. Es wäre also ein guter Weg hier in Deutschland gewesen. Und jetzt ist es so, dass es nur die katholischen Laien, die Frauen und Männer in der Kirche vom Zentralkomitee und auch von "Wir sind Kirche" bei Frauenwürde, dass wir diese Konfliktberatung anbieten, denn letztlich erreichen wir damit mehr Leben als mit dem absoluten Verbot der Schwangerschaftsunterbrechung. Und man muss sagen weltweit: So viele Frauen werden dadurch medizinisch stark geschädigt oder sterben bei einer Abtreibung. Eine Abtreibung ist sicher keinesfalls ein Vergnügen. Ich würde mir wirklich sehr wünschen, dass Papst Franziskus wieder mehr Verständnis hat für Frauen, die in dieser Notlage sind. Er hat das vor einigen Jahren sogar schon mal ausgedrückt. Er hat gesagt, ich weiß um den Druck, der sie zu dieser Entscheidung geführt hat, und er hat ja damals auch den Priestern die Möglichkeit gegeben, in der Beichte von der Abtreibung eine Lossprechung, eine Entmoralisierung gewissermaßen durchzuführen. Insofern ist das heutige Wort vollkommen unverständlich.
    Barenberg: Aber noch mal vielleicht zurück zum Papst und zu der Abtreibungsfrage, denn es war ja offenkundig eine spontane Äußerung, jenseits des Manuskriptes bei der Predigt heute. Könnte man auch nicht umgekehrt argumentieren, dass er nicht seinen Kritikern entgegenkommt, sondern dass sich da hier der wahre, der wahrhaftige Papst zeigt und das, was er wirklich über dieses Thema denkt?
    Weisner: Das ist eine Möglichkeit der Interpretation. Ich glaube, da zeigt sich, dass so eine Kirche, dass die Kirchenleitung gerade dieser alten Männer – man muss es wirklich so deutlich sagen – viel zu wenig vom realen Leben weiß und viel zu wenig wirklich von der Not weiß, unter der Frauen gerade Kinder aufziehen, von der Not, in der Frauen ihr Leben gestalten müssen. Dann sind solche Bemerkungen so nebenbei, spontan heraus, dann doch gefährlich.
    Barenberg: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, Herr Weisner. Dabei hatten doch viele die Hoffnung, dass gerade dieser Papst, dass gerade Franziskus einen erneuerten, einen weltoffenen Katholizismus begründen würde, einen, der auch näher an der Lebenswirklichkeit der Gläubigen ist. Ist Papst Franziskus doch kein Menschenfischer sozusagen?
    Weisner: Ich will es mal einfach so sagen: Ein Papst macht noch keine neue Kirche. Wir brauchen in der Kirche sehr viel mehr, die wirklich diesen neuen Kurs – und das ist ja kein neuer Kurs, sondern das ist der Kurs des Zweiten Vatikanischen Konzils vor gut 50 Jahren. Das ist eigentlich der Kurs, der jesuanische Kurs, der Kurs, der auf die Menschen zugeht, der die Menschen erst mal so annimmt, wie sie sind. Wir müssen auf diesen Kurs wieder zurückgehen. Da ist natürlich so eine 2000 Jahre alte Kirchenhierarchie, ein Kirchen-Beamtentum in Rom, weit ab und fern von der Realität, ein schlechter Ratgeber. Wir brauchen wirklich mehr Theologie, theologische Weiterentwicklung mit den modernen Wissenschaften. Wir brauchen mehr von den Bischöfen, dass sie die Situation, die pastorale Situation in den Ortskirchen in der Welt, die sehr unterschiedlich ist, dass sie das in den Blick nehmen und mehr Verantwortung übernehmen können. Wir brauchen eine weniger zentralistische Kirche; wir brauchen eine Kirche, die mehr bei den Menschen ist.
    Barenberg: Wenn Sie von Umbruch sprechen, von neuem Denken und von einem neuen Kurs, den Sie einfordern, dann erwarten Sie aber, um auf unser Thema zurückzukommen, nicht, Herr Weisner, dass der Papst jetzt nächste Woche eine zentrale Position der Kirche opfert und sagt, jeder Frau gehört ihr Bauch selber und sie kann darüber entscheiden und wir werden Abtreibungen künftig nicht mehr als das betrachten, was es bisher war in der Katholischen Kirche, nämlich eine schwere Sünde?
    Weisner: Aber Papst Franziskus hat selber gesagt, dass man über bestimmte Sachen nun nicht immer wieder reden muss, und ich glaube, es würde der Kirche gut tun, gerade der Kirchenleitung guttun, gerade angesichts auch der weltweiten Missbrauchsfälle, wenn sie in dem Bereich Sexualität im Augenblick doch ein Moratorium machen würde und jetzt nicht den Menschen wieder Lasten auflegen, Schuld zusprechen würden, sondern erst mal den eigenen Laden, will ich das mal salopp sagen, den eigenen Laden aufklären, denn da ist ja unendlich viel Leid verursacht worden. Da sind Seelen gemordet worden durch den sexuellen Missbrauch durch die Kleriker. Solange das nicht wirklich in der ganzen Welt aufgeklärt wird und aufgearbeitet wird, solange sollte die Kirche doch sehr vorsichtig sein, jetzt wieder den Menschen, gerade auch den Frauen Regeln aufzuoktroyieren.
    Barenberg: Christian Weisner von der Reformbewegung "Wir sind Kirche". Danke für das Gespräch, Herr Weisner.
    Weisner: Gerne, Herr Barenberg.
    Barenberg: Aus Termingründen haben wir dieses Gespräch vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.