Es gab wohl bisher nur wenige Papstreisen, die so kurzfristig zustande gekommen sind. Der Besuch von Franziskus für knappe fünf Stunden auf der griechischen Flüchtlingsinsel Lesbos ist denn auch kein Staatsbesuch im strengen Sinne, es werden keine prächtigen Messen gefeiert wie sonst. Dieser Besuch, man mag im Vatikan schon gar nicht von einer Reise sprechen, hat rein humanitären Charakter, das hat auch Franziskus vor ein paar Tagen bestätigt:
"Ich fahre nach Lesbos, wo in den letzten Monaten sehr viele Flüchtlinge durchgekommen sind. Um Nähe und Solidarität zu zeigen, mit den Flüchtlingen, aber auch mit den Menschen in Lesbos und dem ganzen griechischen Volk, das bei der Aufnahme sehr großzügig ist."
An Deutlichkeit hat der Papst es beim Thema Flüchtlinge bislang noch nie fehlen lassen. Schon seine erste Reise im Amt im Juli 2013 hatte ihn auf die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa geführt – auch so ein Symbol für das Elend der Flüchtlinge. Angesichts der vielen Toten auf dem Mittelmeer fand er damals nur ein hartes Wort: Schande.
"Mir kommt das Wort Schande – es ist eine Schande"
Seitdem haben sich zwar die Flüchtlingsrouten verlagert, aber die Lage hat sich nicht gebessert. Fast 175.000 Migranten sind allein schon in diesem Jahr über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Über 80 Prozent von ihnen sind in Griechenland gestrandet, viele auf der Insel Lesbos, die nur 15 Kilometer vor der Türkischen Küste liegt. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind über 720 Migranten seit Jahresbeginn auf dem Meer gestorben oder werden vermisst.
Zuletzt hatte der Papst bei den Osterfeierlichkeiten in Rom an das Elend der Flüchtlinge erinnert. Man muss damit rechnen, dass er auch in Lesbos deutliche Worte findet. Kurienkardinal Antonio Maria Vegliò jedenfalls, der den päpstlichen Rat für Migrantenseelsorge leitet, kritisiert die Flüchtlingspolitik Europas und den Deal mit der Türkei, der in seinen Augen das Elend verschärft:
"Was macht Europa? Es sagt: Wir bauen Mauern und schicken sie zurück in die Türkei. Das ist nicht schön, denn Europa war immer ein Vorbild in der Welt für die Einhaltung der Menschenrechte, für den Respekt vor den Kulturen der Völker, vor den Religionen. Jetzt wäscht Europa seine Hände in Unschuld, gibt der Türkei etwas Geld, und sagt: Kümmert ihr Euch. Das ist ein erschreckender Egoismus."
Dem will der Papst klare Zeichen entgegensetzen. Gleich als erstes fährt er in das Aufnahmelager Moria, aus dem in der letzten Woche die ersten Flüchtlinge in die Türkei abgeschoben wurden. Gemeinsam mit Bartolomeos, dem Patriarchen von Konstantinopel und Ehrenprimas der Orthodoxen Kirchen, und Hieronymus dem orthodoxen Erzbischof von Athen will er mit Flüchtlingen sprechen und mit einigen von ihnen Mittag essen. Im Hafen wollen die drei der Gestorbenen gedenken. Und sicher fallen wieder deutliche Worte, erwartet Kardinal Vegliò, aber dieser Besuch ist noch viel mehr:
"Der Papst ist ein Mann der Tat. Er sagt nicht nur: Wir müssen unsere Brüder und Schwestern lieben, den Ärmsten helfen, wie das Evangelium sagt. Er geht dort hin. Das ist ein starkes Zeichen."
So will Franziskus Europa ins Gewissen reden. Er will den Finger in die Wunde legen. Und der Papst ist ungeduldig – auch deshalb die für Vatikanverhältnisse recht spontane Reise auf die Flüchtlingsinsel Lesbos.