Die Reise Papst Pauls VI. nach Jordanien und Israel bescherte der katholischen Kirchengeschichte gleich mehrere Premieren: Zum ersten Mal seit Gründung des vatikanischen Zwergstaates verließ ein Papst die italienische Halbinsel. Zum ersten Mal reiste ein heiliger Vater in einem Flugzeug. Und vor allem: Zum ersten Mal besuchte ein Nachfolger des Apostels Petrus das Land des Jesus von Nazaret, die Heimat des christlichen Religionsstifters, dessen Stellvertreter er sich nennt.
Als Pilger wolle er reisen. Sagte er jedenfalls am frühen Morgen des 4. Januar 1964 dem italienischen Staatspräsidenten Antonio Segni, der mit einer Regierungsdelegation am Rollfeld des römischen Flughafens Fiumicino erschienen war:
"Wir werden zum Heiligen Grab und zur Felsenhöhle von Christi Geburt die Wünsche der einzelnen, der Familien, der Nationen tragen und vor allem die Nöte der Kranken, der Armen, der Flüchtlinge. Unsere Gedanken gehen hin zu allen Völkern des Orients, bei denen wir auf unserer Reise sein werden."
Aber ein päpstlicher Pilger ist auch ein Staatsmann, Chef des Heiligen Stuhls; schon deshalb die hochkarätige Verabschiedung. Im muslimischen Amman wurde der Papst mit 21 Salutschüssen empfangen – wie sie Staatsoberhäuptern zustehen. Die jordanische Hauptstadt musste er anfliegen, um zu den heiligen Stätten in Jerusalem zu gelangen, die unter der Hoheit Jordaniens standen. König Hussein persönlich koordinierte den Einsatz der Polizei und Armee zur Sicherheit Pauls VI.
Trotzdem brach in Jerusalem das Chaos aus. Am Damaskustor saß der katholische Oberhirte 20 Minuten lang in seinem Wagen fest, weil er von Schaulustigen, nicht nur von frommen, umzingelt war, die sogar auf seinem Wagendach lagen. Auf seinem Fußweg über die Via Dolorosa zur Grabeskirche entstand dann ein regelrechter Straßenkampf, kommentierten jedenfalls Journalisten.
"Und jetzt kommt die Fotografenwolke, jetzt kommt der große Lärm, jetzt kommt das Gedränge, man sieht nichts, man sieht nur einige rote Käppis der Leibgarde, der königlichen Leibgarde hier, ein wahnsinniges Gedränge, und dazwischen kurvt die weiße Kappe des Heiligen Vaters, auch er wird bedrängt, er stolpert fast, so wild ist das Gedränge.“
Leichenblass, schweißgebadet, gefährdet an Leib und Leben sei Paul VI. gegen ein Mitglied der königlichen Leibgarde getaumelt, ehe er mit Gewalt aus dem Gedränge befreit werden konnte, wurde berichtet. Es gab zahlreiche Verletzte.
Am folgenden Tag reiste der Papst nach Israel weiter, um dort Nazaret und Galiläa zu besuchen. Auch die israelische Regierung würdigte ihn in seiner staatskirchlichen Doppelrolle. Zur Begrüßung hob der israelische Präsident Salman Shazar das Existenzrecht Israels hervor und nannte Jerusalem die Hauptstadt Israels. Doch Paul VI. hielt sich politisch bedeckt – in diesem Fall gewiss auch aus Rücksicht auf arabische Christen.
"Als Pilger des Friedens bitten wir vor allem um die Versöhnung der Menschen mit Gott, um wirkliche Harmonie zwischen allen Menschen und allen Völkern. Wir wollen unseren Gruß, unser Gebet, unseren Wunsch so zusammenfassen: Schalom, Schalom."
Die Friedensappelle Pauls VI. an die Politiker verhallten ungehört. Aber zur Verständigung der Religionen hat er auf seiner dreitägigen Reise erheblich beigetragen. 1965 vermittelte das Zweite Vatikanische Konzil den Katholiken eine neue Sichtweise des Judentums, die sich vom christlichen Antisemitismus ehemaliger Zeiten verabschiedete. Und die Jerusalemer Begegnungen des katholischen Papstes Paul mit dem orthodoxen Patriarchen Athena-Goras von Konstantinopel haben ermöglicht, dass die beiden Kirchenführer den gegenseitigen Bann aufhoben, in dem ihre Religionsgemeinschaften fast ein Jahrtausend lang gelebt hatten.