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Para-Leichtathletik-EM
Eine Sportart, zwei Welten

Die Leichtathletik-WM ist vorbei und am Montag gehen die Para-Sportler im Jahn-Sportpark an den Start. Doch die paralympischen Leichtathleten haben bei ihrer EM in Berlin mit den olympischen Kollegen wenig zu tun. Inklusion steht in der Leichtathletik noch am Anfang.

Von Ronny Blaschke |
    Freude über den Weltmeistertitel: Prothesensprinter Johannes Floors (TSV Bayer 04 Leverkusen) nach seinem Sieg über 400 Meter bei der Para-Leichtathletik-WM in London.
    Nach den olympischen Leichtathleten bestreiten ab Montag auch die paralympischen Leichtathleten in Berlin ihre Europameisterschaften. (imago sportfotodienst)
    Seit 1988 in Seoul finden Olympische und Paralympische Spiele zeitversetzt in denselben Städten statt. Seit 2012 in London werden sie verpflichtend von demselben Organisationskomitees geplant. So sollen Strukturen von Sportlern mit und ohne Behinderung voneinander profitieren. In einer der Kernsportarten ist das in diesem Sommer nicht der Fall. Nach den olympischen Leichtathleten bestreiten ab Montag zwar auch die paralympischen Leichtathleten in Berlin ihre Europameisterschaften. Doch organisatorisch sind beide Veranstaltungen streng voneinander getrennt.
    London setzte Maßstäbe. Nach den Paralympics 2012 lösten auch die Weltmeisterschaften der Para-Leichtathleten 2017 Begeisterung aus. 30.000 Zuschauer kamen regelmäßig ins Olympiastadion. Einmalig bei einer WM im Behindertensport. Und das an jenem Ort, wo zwei Wochen danach auch die WM der nichtbehinderten Leichtathleten stattfinden sollten. Beide Ereignisse waren Jahre lang gemeinsam geplant worden: In Athletenförderung und Vermarktung, in Unterbringung und Transport. Ab Montag nun finden die Para-Europameisterschaften nicht im Berliner Olympiastadion, sondern im kleineren Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark statt.
    Ralf Otto, Wettkampfdirektor vom Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Berlin, findet das sinnvoll. Aber wie ist das Zusammenspiel der Para-EM mit den Nichtbehinderten?
    "Im Moment keinerlei Zusammenarbeit"
    "Sie profitiert nicht davon. Das halte ich für ein bisschen unglücklich. Aber so ist es halt. Im Prinzip gibt es im Moment keinerlei Zusammenarbeit. Außer, dass wir einige Sachen von denen nutzen können. Geräte, Wurfgeräte zum Beispiel, die möchten wir natürlich gerne auch bei uns nutzen. Wir haben es vor einem Jahr beantragt. Und seitdem geht es irgendwie hin und her. 30-, 40-, 50-mal nachgefragt."
    Für die EM der Nichtbehinderten ist der Europäische Leichtathletikverband zuständig, die EAA. Für die Para-EM ist das Internationale Paralympische Komitee verantwortlich, das IPC. In Partnerschaft mit dem Berliner- und mit dem Deutschen Behindertensportverband. Der DBS brachte Ideen ins Spiel: für wechselseitige Werbeaktionen oder eine gemeinsame Marathon-Veranstaltung. Doch die EAA zeigte wenig Interesse. Auch nicht an paralympischen Demonstrationswettbewerben während der EM der Nichtbehinderten.
    Dabei sind solche Einlagen außerhalb der Wertung keine Seltenheit mehr, sagt Niko Kappel, Paralympics-Sieger von 2016 im Kugelstoßen:
    "Ich trainiere ja in einer reinen olympischen Trainingsgruppe, und das wird vom Württembergischen Leichtathletik-Verband bezahlt. Die haben damals gar nicht darüber gesprochen, für die war das sonnenklar: Der gehört zu den deutschen Kugelstoßern in unserer Region, der hat da genauso mitzutrainieren. Also das es da schon zusammenwächst. Und das schöne ist jetzt, dass ich immer mehr bei Leichtathletik-Meetings, wo eigentlich vom Behindertensport gar keine Rede ist, dass ich da trotzdem mitstarte."
    Verzahnung verläuft schleppend
    Niko Kappel nahm im Juli an einem Einlagenwettbewerb in Nürnberg teil, im Rahmen der Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften der Nichtbebinderten. Kappel ist einer der bekanntesten Paralympier, das macht ihn für solche Veranstaltungen interessant. Ähnliches gilt für den amputierten Weitspringer Markus Rehm, der sich lange vergeblich um einen Olympia-Start bemüht hatte. Doch darüber hinaus verläuft die Verzahnung zwischen paralympischer und olympischer Leichtathletik schleppend.
    Karl Quade, Vizepräsident für Leistungssport beim Deutschen Behindertensportverband, sagt dazu:
    "Beides sind sehr große Bereiche. Die Leichtathletik im Olympia-Bereich hat sehr, sehr viele Athleten, das gleiche gilt für den paralympischen Bereich, wo ja mehr als ein Viertel aller Athleten Leichtathleten sind bei Paralympischen Spielen. Dazu kommt die große Anzahl der Entscheidungen. Wenn man das mal zusammen denken würde, müsste man sicherlich auf andere Wettkampfformen kommen, als einfach beide Bereiche zusammen durchzuführen. Da würde eine Woche überhaupt nicht reichen. Ich glaube nicht, dass die olympische Leichtathletik bereit ist, Disziplinen zu streichen, aufgrund eines Zusammengehens mit der paralympischen Leichtathletik."
    Kein Interesse an Zusammenarbeit
    Vielleicht nicht bei den wichtigsten Veranstaltungen, aber an der Basis wäre eine bessere Absprache durchaus möglich: für Talenttage, Schulwettbewerbe oder Antidopingseminare. Stößt der Behindertensport beim Deutschen Leichtathletik-Verband auf Interesse? Der paralympische Leichtathletik-Trainer Ralf Otto aus Berlin:
    "Es gibt eigentlich keinerlei Kommunikation, es gibt auch kein Interesse. Aber seit einigen Jahren ist das Thema Markus Rehm so ziemlich das einzige, was im DLV besprochen wird, im Bereich von Zusammenarbeit mit dem paralympischen Leichtathletik-Bereich. Was schade ist, weil es gibt eben eigentlich noch viel, viel, viel mehr. Also aus meiner Sicht wäre die Zukunft nur im Bereich zu sehen, wenn man das in den DLV integriert. Und die Strukturen, gerade Trainer, Trainingslager, zusammennutzt. Nur dann kommen wir irgendwie vorwärts. Aber damit wären natürlich auch einige Funktionäre überflüssig."
    Ralf Otto findet, dass auch der Deutsche Behindertensportverband mehr Druck auf den DLV ausüben könnte. Doch dann müssten einige Funktionäre des DBS ihre Privilegien aufgeben. In Kanada und Großbritannien sind olympische und paralympische Leichtathleten längst unter demselben Verbandsdach organisiert. Wie steht der Deutsche Leichtathletik-Verband zu solchen Plänen? DLV-Präsident Jürgen Kessing:
    "Natürlich werden immer Gespräche geführt, aber das muss dann alles wachsen, reifen. Und irgendwann ist dann der richtige Zeitpunkt auch da. Und vielleicht erleben wir ja irgendwann mal in der Zukunft, dass man beide Wettbewerbe gemeinsam durchführen kann. Und schauen wir mal, was die Zukunft bringt."
    In der Inklusion steht die Kernsportart Leichtathletik in Deutschland erst am Anfang. Das hat auch das Maskottchen der Para-EM zu spüren bekommen. Während der Nichtbehinderten-Wettbewerbe im Olympiastadion blieb dem Para-Panda Max der Zutritt verwehrt.