Archiv

Zugänglichkeit in den Para-Sport
Warum es noch keine Bundesliga im Rollstuhl-Handball gibt

Im Vergleich zum Leistungssport gibt es im Breitensport kaum Angebote für Menschen mit Behinderungen. Inklusive Sportangebote zu finden, aber auch sie aufzubauen, ist mit vielen Herausforderungen verbunden. Ein Beispiel aus dem Handball.

Von Sabine Lerche |
Im vergangenen Herbst nahmen die Rolli Rockets Aachen am 1. Internationalen ahg-Pokal teil, eine Pionierveranstaltung im Rollstuhl-Handball.
Im vergangenen Herbst nahmen die Rolli Rockets Aachen am 1. Internationalen ahg-Pokal teil, eine Pionierveranstaltung im Rollstuhl-Handball. (Marco Schreiber)
In einer Handball-Halle in Aachen werfen sich acht Leute Bälle zu – alle sitzen in Sportrollstühlen. Leicht und wendig sausen sie durch die Halle, krachen im Kampf um den Ball immer wieder laut gegeneinander. Das ungeschulte Auge erkennt von außen nicht, wer außerhalb der Halle eigentlich gar keinen Rollstuhl braucht. „Alle haben die gleichen Bedingungen. Und keiner ist irgendwie direkt besser, weil er laufen kann oder nicht laufen kann.“
Felix hat keine Gehbehinderung und spielt seit zwei Jahren bei den Rolli Rockets in Aachen. In Deutschland gibt es laut der Initiative "Rollstuhlhandball Deutschland" insgesamt sechs Rollstuhl-Handball-Vereine. Daraus soll eine Rolli-Handball-Bundesliga aufgebaut werden, so die Vision. Noch ist das aber nur ein Traum.
Die Rolli Rockets Aachen posieren für ein Mannschaftsfoto. Bei einer Pionierveranstaltung für den Rollstuhl-Handball belegten die Rolli Rockets im vergangenen Herbst in Baden-Baden den sechsten Rang.
Die Rolli Rockets Aachen posieren für ein Mannschaftsfoto. Bei einer Pionierveranstaltung für den Rollstuhl-Handball belegten die Rolli Rockets im vergangenen Herbst in Baden-Baden den sechsten Rang. (Marco Schreiber)
So schnell geht das auch nicht, sagt Sina Eghbalpour, die als Inklusionsmanagerin beim Stadtsportbund Aachen arbeitet: „Es muss einfach ins Verhältnis gesetzt werden, wie wahnsinnig lange es dauert, bis wir von der ersten Idee des Rollstuhl-Handballs, von der Trainer:innen-Ausbildung, über die barrierefreie Halle, die Sportrollstühle mussten organisiert werden, die mussten finanziert werden. Wir mussten das Angebot erst einmal konzeptionell aufstellen, wir brauchten ja auch wahnsinnig viel Öffentlichkeitsarbeit, damit die Menschen mit Beeinträchtigung in Aachen wussten, dass es das gibt“, beschreibt Eghbalpour den Aufwand bei der Entstehung inklusiver Angebote.
„Sie müssen sich vorstellen: Dieser Weg nur für ein Angebot, bis das wirklich ein Regel-Angebot ist, was gut läuft, das dauert über ein Jahr mindestens. Und ich glaube, das ist den Leuten oft nicht klar.“

Info-Defizite und Selbstunterschätzung verhindern Teilhabe

In Aachen gibt es 20 inklusive Sportangebote – bei rund 230 Vereinen. Aus dem Teilhabebericht der Bundesregierung geht hervor, dass 55 Prozent der Menschen mit Behinderung keinen Sport machen. Im Vergleich dazu: Bei Menschen ohne Behinderung machen nur 32 Prozent keinen Sport.
Der Unterschied ist definitiv zu groß, findet Benedikt Ewald, Direktor für Sportentwicklung beim Deutschen Behindertensportverband DBS: „Das größte Hindernis für das Sporttreiben von Menschen mit Behinderungen ist in der Breite nach wie vor die Barriere im Kopf. Das gilt übrigens ganz allgemein für den Umgang mit Menschen mit Behinderung. Ob das jetzt im Sportverein ist, in der Schule, im Beruf oder in der Freizeit: Nach wie vor geht man von einem defizitären Bild von Menschen mit Behinderungen aus und nicht von einem Bild der Fähigkeiten und Möglichkeiten. Das heißt, wir müssen weiter daran arbeiten, Menschen mit Behinderungen auf Augenhöhe zu begegnen und sie als Experten in eigener Sache einzubeziehen.“
Ein weiteres Problem sind Info-Defizite. Deshalb bietet der DBS Tools wie den Sportartenfinder an. Menschen mit Einschränkung kommen oft aber über persönliche Kontakte zum Sport.

Angebot muss besser beworben werden

„Ich glaube, es war ein Zeitungsartikel oder so was. Ich bin mir aber nicht mehr ganz sicher, wie das zustande gekommen ist. Irgendjemand hatte mich mal darauf mal hingewiesen, dass es das gibt. Damals in der Reha wurde drüber gesprochen, dass es bestimme Sportarten gibt, dass man da vielleicht mal reinschnuppern kann. Google ist dann quasi Freund und Helfer.“ Tobi ist querschnittsgelähmt und nutzt drei Angebote in Aachen: Rugby, Basketball und Handball, alles im Rolli. Das Angebot müsste viel mehr beworben werden – da sind sich die Rolli Rockets einig. Mit Turnieren könnte man Aufmerksamkeit erregen.
Die Rolli Rockets Aachen im Spiel gegen die RSG Blue Bandits Hannover bei einem Turnier in Baden-Baden.
Die Rolli Rockets Aachen im Spiel gegen die RSG Blue Bandits Hannover bei einem Turnier in Baden-Baden. (Marco Schreiber)
"Ich persönlich glaube noch nicht so ganz an die Bundesliga“, wirft Laura Bleeck ein, die Trainerin der Rolli Rockets in Aachen. Vielleicht entsteht aber eine Mini-Turnierserie im Dreiländereck um Aachen. Immerhin gibt es schon vereinzelt Turniere in Deutschland: „Also wir wollten eigentlich mal so wie in Hannover, vielleicht ein bisschen kleiner, so ein Turnier machen. Aber am Wochenende Hallenzeiten in Aachen zu bekommen, ist halt einfach Katastrophe. Hier ist ja noch Ladies in Black, erste Liga Volleyball, und die haben natürlich immer Vorrang, wo man sich so denkt: Ja, mit so was legt man dann auch wieder Steine in den Weg.“
Zu diesen Steinen gehören auch die Materialkosten: Ein Sport-Rolli koste um die 4000 Euro.

Inklusionsmanagerin: "Müssen viel mehr lösungsorientiert denken"

„Wer Inklusion will, findet immer Wege. Und wer nicht, findet immer Begründung und Ausreden,“ sagt Inklusionsmanagerin Sina Eghbalpour. Damit sich mehr Vereine und Kommunen auf den Weg machen, hat sie den Wegweiser „Sprung nach vorne“ mit Handlungsvorschlägen für Inklusion im Vereinssport veröffentlicht.
Man solle gemeinsam nach Lösungen suchen: „Weil im Inklusionsprozess sagt die Politik ja ganz gerne immer sehr schnell: Das können wir nicht. Dafür haben wir keine Ressourcen. Da haben wir keine finanziellen Mittel für. Das ist immer so etwas, wo ich denke: Also da lasse ich mich gar nicht mehr mit abspeisen. Also ich sage immer, es geht immer irgendetwas. Und ich denke, wir müssen viel mehr lösungsorientiert denken.“
Eghbalpour möchte kein Inklusions-Labeling, sondern eine Angebotsauswahl für alle schaffen.
Sina Eghbalpour sitzt mit einem Volleyball auf einem Turnkasten
Sina Eghbalpour, Sport-Inklusionmanagerin beim Stadtsportbund Aachen (Löffler/Dlf)
Auch die Rolli Rockets sind eine sehr diverse Sportgruppe. Der Rollstuhl bedeutet nicht automatisch: Angebot für Menschen mit Behinderung. Im Gegenteil: "Das macht einfach Spaß und dass ich noch mal den Ball in die Hand nehmen kann…" Tina war früher Handballerin, jetzt wollen ihre Knie nicht mehr, aber bei den Rolli Rockets kann sie ihre Herzensportart weiter ausüben.