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Parabel auf ein autoritäres Land

Nachdem ihm in Kasachstan die Verhaftung drohte, musste der Theatermann und Menschenrechtler Bolat Atabayev seine Heimat verlassen. Inzwischen lebt und arbeitet er in Deutschland. Nun feierte seine Inszenierung eines Textes von Tuncer Cücenoglu in Köln Premiere.

Von Dorothea Marcus |
    "Es gibt Leute, die keine Angst haben. Wenn du keine Angst hast, dann musst du was bezahlen aus deinem Leben. Deine Freiheit, oder deine Gesundheit. Ich war selbst 20 Tage im Knast gewesen, nur wegen meiner Überzeugung. Ich habe die Ölarbeiter in Shanosen unterstützt. Ich bereue nicht, überhaupt nicht. Wir brauchen nichts, was teuer ist. Wir brauchen unsere eigene Freiheit und wir brauchen soziale Gerechtigkeit. Dass die Ölarbeiter gut leben. Mehr nicht. Warum passierte das Massaker in Shanosen? Weil wir so leben wie die Leute da auf der Bühne. Es wird geflüstert."

    Fünf Menschen sitzen frontal zu uns auf bunten Teppichen, beten zu Allah und ducken sich weg unter den Scheinwerfern, die ihre Gesichter ausleuchten. Sie blinzeln debil durch die Gegend, schnarchen, stöhnen, halten sich wispernd und kontrollwütig zum steten Schweigen an. Denn angeblich hängt in den Bergen für neun Monate im Jahr eine Lawine. Beim kleinsten Geräusch könnte sie ins Tal stürzen. Nach und nach schälen sich einzelne Geschichten heraus: sie stehen auf, die Teppiche werden zu bunten Mänteln. Ein Mann hat seinen Bruder verraten, der die Lawinengefahr in Frage gestellt hat – er ist bald darauf verschwunden.

    Eine Frau ist schwanger und freut sich mit ihrem Mann über den unsichtbaren Bauch. Ihr Baby darf nicht zur falschen Zeit auf die Welt kommt, sonst wird auch sie bestraft. Die Hebamme kommt vorbei mit einer glitzernden Tüte, aus der Menschenknochen fallen: mit denen sie den Geburtstermin verschieben will. Ein Trupp Soldaten schiebt sich in übergroßen grünen Uniformen und turmartigen Hüten herein – lächerliche Gestalten, selbst in Angst erstarrt. Flugs drehen die Dorfbewohner ihre bunten Mäntel zu Militär-Uniformen um – jeder fürchtet sich vor jedem um sein kleines Leben.

    Es ist ein stilles Stück über die absurden Auswirkungen von Diktatur und Ideologie.

    Regisseur Atabajew arbeitet mit untergründiger Spannung und subtiler Ironie. Angst, Kontrollwut, Missgunst und vorauseilender Gehorsam spielen sich in den Gesichtern der Schauspieler ab – bis dann das Baby geboren wird, das man genau wie den Bauch der Schauspielerin nie sieht. Zitternd erwarten Soldaten und Dorfbewohner das vermeintliche Verhängnis. Als die Lawine ausbleibt, kommt ein Pastor auf die Bühne, um die Dorfbewohner zu beruhigen – doch sie wenden sich einem anderen Befehlshaber zu. Selbstständig denken ist ihnen nicht möglich. Das Stück des hierzulande kaum bekannten türkischen Autors Tünker Cücenoglu endet finster - eine Ideologie ersetzt die nächste.
    Nach dem Stück wird eine kasachische Vertonung von Goethes Lied "Über allen Gipfeln ist Ruh" gesungen:

    "In allen Wipfeln Spürest Du/Kaum einen Hauch/Die Vögelein schweigen im Walde/Warte nur! Balde Ruhest du auch". Der Text von Goethes Lied hört sich auf einmal an wie eine Drohung an auf das, was passiert, wenn man dumpf und unpolitisch sein Leben einfach so weiterlebt – nämlich nichts. Bolat Atabajew:

    "Kasachstan das ist ein Land der ewig grünen Tomaten. Wir werden nie reif. Die Zivilgesellschaft ist sehr schwach. Bei uns dominieren die Idioten. Idioten gemeint aus dem Altgriechischen: die Leute, die sich für die gesellschaftlichen Probleme nicht interessieren. Nur eigene Probleme: Essen, trinken, pinkeln, schlafen, und sich damit begnügen sich. Leider ist es so. in Kasachstan seit 2010 spielen wir das. Die Zuschauer sehr viele verstehen das und sehr viele begeistert sind aber die meisten die gucken und schweigen und gehen weiter."

    Bolat Atabajew nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er das kasachische Regime und den seit 1991 amtierenden Präsidenten Nasarbajew kritisiert. Seit 2005 leitet er in Almaty sein eigenes Theater Aksarai – bis er vor drei Monaten nach Verleihung der Goethe-Medaille in seiner Heimat mit Verhaftung bedroht wurde. Seitdem ist er in Deutschland, finanziell unterstützt von kasachischen Geschäftsleuten.

    "Theater ist die Verstärkung des Immunsystems einer Gesellschaft. Ich will nach Hause schon, aber von wo kann ich viel Nutzen bringen? Aus Deutschland, oder zu Hause. Wenn ich im Knast bin zu Hause, dann mundtot. Ich kann nichts machen. Aber wenn ich hier bin, dann kann ich etwas bewegen."