"Der war schon sehr streitbar und angriffslustig und scheute vor keiner Konfrontation, vor keinem Streit und vor keiner Beleidigung zurück."
"Dass er eine Art revolutionären Impetus hatte, zeigt sich darin, dass er den Kodex des Avicenna, der das historische Wissen aus der Antike beinhaltet hatte und für die Heilkunde zur damaligen Zeit besonders wichtig war, öffentlichkeitswirksam verbrannt hat."
Theophrastus Bombastus von Hohenheim, der sich selber Paracelsus nannte, war ein typischer Vertreter seiner Zeit, der Renaissance: schwankend zwischen Tradition und Aufbruch, Glauben und Suchen, Hokuspokus und Wissenschaft. Geboren, vermutlich 1493 in der Schweiz, begann Paracelsus schon mit 16 Jahren Medizin zu studieren und zog später lange als Wanderarzt durch Europa. Von seinem Vater lernte er aber auch vieles über Bergbau und Mineralogie und beschäftigte sich ebenso mit Astrologie, Mystik und Philosophie.
"Dadurch hatte er diesen breiteren Horizont als viele seiner medizinischen Kollegen; im Unterschied allerdings zu der doch eher konservativen Medizin stellte er die alten antiken Schriften infrage. Er bezweifelte auch die Säftelehre und forderte eben neue empirische Untersuchungen und Beobachtungen", sagt Professor Bernhard Uehleke, Arzt für Naturheilkunde und Phytopharmakologie an der Hochschule für Gesundheit und Sport in Berlin. Paracelsus war ein Querdenker. Besonders als er in Basel an der Universität lehrte, legte er sich mit den medizinischen Autoritäten an, den Ärzten und Apothekern: Er kritisierte, dass sie ihre Weisheit bloß vom Hörensagen und aus Büchern schöpften.
"Diese wissenschaftliche Sprache, die der Patient nicht versteht, und dieses Lateinisieren, er war ja derjenige, der seine Vorlesung dann auch ganz konsequent der Öffentlichkeit angeboten hat und zwar auf deutsch, also in dieser Weise wollte er die Medizin demokratisieren."
"Ansonsten muss man aber sagen, dass seine Schriften doch furchtbar schwierig und wirr zu lesen sind, und dass die auch jede Menge magische Elemente enthalten. Es findet sich alles mögliche, und man kann so herauslesen, was immer man auch möchte."
Vor allem wegen dieser Auseinandersetzungen mit der herrschenden Medizin wird Paracelsus heute oft als eine Paracelsus angesehen, gelegentlich auch als einer der "Väter der Naturheilkunde".
"Das kann insofern ja nun nicht passen, weil: die Naturheilkunde als eigene Entwicklung, die gab es ja erst im 19. Jahrhundert, als kritische Abtrennung und Neuentwicklung gegenüber der Staatsmedizin."
Es gibt Bernhard Uehleke zu bedenken. Paracelsus hat zwar Gesundheit und Krankheit auch als Ausdruck der Harmonie beziehungsweise Störung zwischen Mensch und Kosmos gesehen; und er hat vor allem mit pflanzlichen Heilmitteln gearbeitet – aber das alles war Teil der "Schulmedizin" seiner Zeit. Charakteristisch für ihn war etwas anderes:
"Er hat ja die Alchimie stark in den Vordergrund gerückt, und insofern wäre er der Begründer einer chemischen modernen Schulmedizin eigentlich."
In der Tat war Paracelsus überzeugt, dass viele Krankheiten chemisch-biologische Vorgänge sind, also Umwandlungen und Reaktionen bestimmter Stoffe im Körper, die man mit den passenden Arzneistoffen behandeln kann. Für Professor Matthias Melzig vom Institut für Pharmazie an der FU Berlin ist er denn auch der erste pharmazeutische Chemiker. Allerdings: Die Chemie, wie wir sie heute kennen, gab es noch nicht im 16. Jahrhundert. Deshalb wird Paracelsus immer als "Alchimist" bezeichnet. – Aber: Sind das nicht die Vertreter der "Schwarzen Künste" und Magie im Mittelalter?
"Sie wollten aus unedlen Metallen Gold herstellen, sie wollten das Arcanum suchen, das Allheilmittel, aber sie haben dazu natürlich eine Vielzahl von chemischen Operationen entwickelt, die bis heute genutzt werden. Das ist gerade das Besondere am Paracelsus, der das Destillieren, das Sublimieren, das Extrahieren eigentlich genutzt hat, um sie quasi auch wissenschaftlich einzusetzen, so dass hier der Übergang zu sehen ist von der reinen Alchimie hin zu einer eher naturwissenschaftlich orientierten Heilkunde und der Herstellung von chemisch definierten Arzneistoffen – wie beispielsweise die Opiumtinktur. Das ist eine Erfindung um 1500 herum von Paracelsus gewesen."
Unter dem Namen Laudanum war diese schmerzstillende und beruhigende Mischung aus Wein und Schlafmohnextrakt noch bis ins 20. Jahrhundert frei verkäuflich und galt als eine Art Wunderdroge gegen praktisch alle Leiden.
Dennoch blieb Paracelsus auch in der Pflanzenheilkunde noch vielfach im magischen Denken seiner Zeit verhaftet,
"Er hat diese Signaturenlehre entwickelt, die ein Irrweg gewesen ist, das heißt durch äußere Merkmale ist klar, für welche Erkrankung eine bestimmte Pflanze zu nutzen war."
Gelbe Pflanzen gegen Gelbsucht – herzförmige Blüten gegen Herzkrankheiten – stachelige Disteln gegen Stechen in der Brust.
"Zum Teil waren da Treffer dabei: Lungenkraut benutzt man bis heute bei Bronchitiden, aber vieles hat sich eben auch als völlig unwirksam dargestellt, wie beispielsweise die Orchideenknollen, die bei Erkrankungen der männlichen Sexualorgane eingesetzt werden sollten, weil die so ähnlich aussehen wie ein männlicher Hoden."
Andererseits aber hat Paracelsus sein Wissen aus der Alchimie angewendet, um Wirksames und Unwirksames zu trennen, und Patienten vor medizinischen Scharlatanen zu schützen, betont Matthias Melzig:
"Denn gerade zu seiner Zeit feierte die 'Dreckapotheke' fröhliche Urständ. Da wurden also allerhand menschliche und tierische Exkremente verarbeitet, mit antikem Wissen angereichert und dann als Heilmittel genutzt. Und er wollte die Quintessenz, also das eigentlich wichtige, was in Arzneistoffen steckte, isolieren und anwenden."
Und aus der Beschäftigung mit dem Wesentlichen der Arzneipflanzen - den Wirkstoffen, würde man heute sagen - stammt auch die berühmteste Lehre von Paracelsus:
"Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei."
"Ein Satz, den der Experte für pflanzliche Arzneimittel, Professor Matthias Melzig, uneingeschränkt unterstreichen möchte:
"Aus seiner Erfahrung heraus bei besonders hochwirksamen pflanzlichen Arzneistoffen konnte er wissen, dass eine bestimmte Dosis eine bestimmte Wirkung induziert, und wenn er eben die Dosis erhöht hat, dann kam das zu toxischen Effekten, die Dosis-Effekt-Beziehung, das ist etwas, was er so klar ausgesprochen hat, dass es bis heute eigentlich Gültigkeit hat."
Zu finden ist dieser Satz übrigens in einer der vielen Verteidigungsreden des Paracelsus. Denn seine Kontrahenten, Ärzte und Apotheker, beschuldigten ihn immer wieder, Patienten zu vergiften mit seiner Art der Pflanzenheilkunde. Er war eben ein ebenso streitbarer wie umstrittener Zeitgenosse.