Ann-Kathrin Büüsker: Wenn eine Frau in Deutschland abtreibt, dann bleibt sie unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Sie muss sich vorher beraten lassen, den Eingriff muss ein Arzt durchführen und er darf nur innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft durchgeführt werden.
Diese Straffreiheit regelt Paragraph 218a. Durch diese Krücke sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland erlaubt, wenn auch rechtswidrig. Ärzte dürfen allerdings nicht darüber informieren, dass sie solche Behandlungen durchführen. Das regelt Paragraph 219a. Demnach ist Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft verboten, und genau das wollen Politikerinnen in Berlin jetzt ändern.
Über die Fraktionen hinweg verschiedene Initiativen. Ich habe dazu heute Morgen mit Ulle Schauws gesprochen, Sprecherin für Frauen und Kulturpolitik bei den Grünen, und ich habe sie gefragt, warum man bei so vielen Informationen, die man beispielsweise im Internet ja schon findet, dann auch noch unbedingt Informationen auf den Seiten der Ärzte braucht.
Ulle Schauws: Es ist so, dass die Ärztinnen und Ärzte natürlich ihrer Informationspflicht als Mediziner(innen) nachgehen wollen und müssen, weil es ja bei einem Schwangerschaftsabbruch schon um einen gravierenden Eingriff geht, der natürlich auch erfordert, dass sie über die Risiken und auch über die Möglichkeiten informieren. Und die Situation ist, wenn eine Frau, die schwanger ist, ins Internet guckt, sie natürlich auch Informationen von Seiten erhält, die insbesondere das ganze Thema Verbot von Schwangerschaftsabbruch oder auch Lebensschutz anschauen, und da gibt es schon sehr, sehr schwierige Bilder, die man dann zu sehen bekommt, so dass diese ganze Breite an Informationen in der Form, die eigentlich notwendig wäre, so in der Form, glaube ich, nicht vorliegt.
"Es gibt keine breite Information für die Notsituation"
Büüsker: Aber kann ich als Frau dazu nicht einfach zu meinem Gynäkologen hingehen und sagen, ich brauche diese Informationen?
Schauws: Sie gehen jetzt davon aus, dass jede Frau einen Gynäkologen zur Verfügung hat, wo die Person hingeht. Das ist ja nicht immer der Fall. Vor allem ist es so, dass die Situation meistens ja nicht ist, vor allen Dingen im digitalen Zeitalter, dass man dann einen Termin bei der Ärztin oder beim Arzt sofort bekommt. Es ist so, dass die in der Regel, so wie das die meisten Menschen machen, sich erst mal auch informieren über die Möglichkeiten, die bestehen, und das ist in der Regel auch das Internet.
Da gibt es tatsächlich das Problem, dass vor allem die Information auf den Seiten von Ärztinnen und Ärzten - es gibt ja auch Städte wie Hamburg, die das zum Beispiel als Stadt anbieten, die dann auch Listen haben, wo die Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche vornehmen, aufgelistet sind, aber das ist eben nicht überall so -, aber dass dann tatsächlich keine breite Information über die Möglichkeit, was kann ich denn machen in dieser Notsituation, zur Verfügung steht.
Büüsker: Es geht bei dem Paragraphen 219a ja insbesondere um Werbung, die verboten ist, Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Das heißt, Sie würden hier eine klare Differenzierung machen zwischen der tatsächlichen Werbung für einen solchen Abbruch und der reinen Information?
Schauws: Ja, das ist das Problem, was bei diesem Paragraphen in der Überschrift schon irreführend ist, weil es steht in dieser Überschrift des 219a ja drin, Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft. Damit ist aber tatsächlich auch die sachliche und fachliche Information über einen Schwangerschaftsabbruch gemeint und wird mit unter Strafe gestellt.
Das ist ja der Ärztin Kristina Hänel auch bei dem Prozess in Gießen passiert, dass sie genau diese Information, die sachliche und fachliche Information darüber, dass sie Schwangerschaftsabbrüche in ihrer Praxis vornimmt und dass sie darüber auch Informationen an die Frauen gibt, die sich da informieren wollen, dass sie genau unter diesem Begriff jetzt verklagt wurde und auch verurteilt wurde.
"Werbung für Schwangerschaftsabbrüche soll nicht aus dem Boden sprießen"
Büüsker: Kritiker befürchten ja, wenn dieser Paragraph gestrichen würde, oder vielleicht auch verändert würde, dann könnte das zu einer Art Kommerzialisierung der Schwangerschaftsabbruch-Information führen. Was sagen Sie dazu?
Schauws: Es ist vollkommen richtig, dass es nicht darum gehen soll, dass Werbung für Schwangerschaftsabbrüche auf einmal überall aus dem Boden sprießen soll. Da sagen wir als Grüne auch ganz klar, darum geht es überhaupt nicht. Es kann vor allen Dingen nur darum gehen, dass das Recht auf Informationen für einerseits die Frauen vorliegt und auf der anderen Seite auch für die Ärztinnen. Aber es muss natürlich trotz allem auch gewährleistet sein und das ist auch in unserer Auseinandersetzung zum Beispiel mit unserem Grünen-Gesetzentwurf so, dass wir das vorsehen, dass bundesweite Sanktionsbedarfe für Fehlverhalten, also für den Fall, dass das zum Beispiel außerhalb von den Berufsständen der Ärzteschaft dazu führen sollte, dass irgendjemand meint, damit Werbung machen zu können, dass das auch eine Angelegenheit der Ordnungswidrigkeit sein muss.
Aber in der Regel ist es so, dass die Regulierung der beruflichen Kommunikation von Ärztinnen und Ärzten Sache der Berufs- und Standesrechte in Zuständigkeit der Länder ist, die hier auch möglich machen, dass ein Kommerz von Schwangerschaftsabbrüchen nicht auftreten kann. Das ist bei den Berufsständen der Ärzteschaft geregelt. Die können nicht, das ist nicht legitim, und das ist über diesen Berufsstand auch nicht das Verständnis davon, dass man jetzt für Schwangerschaftsabbrüche wirbt wie für was weiß ich, etwas im podologischen Bereich oder so.
Büüsker: Ist denn eine Abtreibung aus Ihrer Sicht ein ganz normaler medizinischer Eingriff?
Schauws: Es ist sicherlich so, dass das kein einfacher Eingriff ist, dass sicherlich die Auseinandersetzung auch mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch sowohl für jede Frau als auch für jede Ärztin und jeden Arzt kein normales Prozedere ist. Das ist schon auch eine Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass man natürlich sich entscheidet zu sagen, ich bin schwanger und wenn ich diese Schwangerschaft beende, dann beende ich in dem Moment auch die Möglichkeit, dass hier Leben entstehen kann. Und das kann ich auch aus meiner persönlichen Erfahrung aus der Arbeit im Notruf für vergewaltigte Frauen oder auch in Frauenberatungsstellen bei den Kontakten sagen, dass das immer auch ein Thema ist für jede Frau, auch im Nachgang, und dass es keine einfache Entscheidung ist.
Darum geht es auch, dass die Möglichkeit der Selbstbestimmung und die Möglichkeit auch gegeben sein muss, dass jede Person, die diese schwere Entscheidung zu treffen hat, sich in aller Form, und zwar sehr gut und auch fachlich, beraten lassen können muss, und genau dieses Angebot müssen Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung stellen. Ich glaube, dass diese Situation, auch der Paragraph 219a tatsächlich durch diesen Prozess jetzt erst noch mal ins Bewusstsein gerückt ist, weil die meisten, mit denen ich darüber gesprochen habe, wussten wirklich auch nicht, dass dieser Paragraph noch so existiert, und waren auch ziemlich entsetzt darüber, weil es ja auch ein Rückschritt ist jetzt mit der Forderung zu sagen, dieser Paragraph muss jetzt bestehen bleiben, eine Zunahme der Anzeigen gegen Ärztinnen und Ärzte, die darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, immer mehr zur Anzeige kommt, und dass dann tatsächlich auch gar nicht mehr die Möglichkeit besteht, dass Ärztinnen und Ärzte darüber weiter informieren und auch diese Hinweise auf ihren Internetseiten zum Beispiel zurücknehmen. Das tatsächlich ist eine Beschneidung von Informationsrechten in beide Richtungen.
Büüsker: Sie haben jetzt als Grüne eine Initiative gestartet. Auch die SPD möchte in diese Richtung gehen. Die Linken haben es schon gemacht. Halten Sie es denn tatsächlich für realistisch, für eine Abschaffung oder eine Änderung eine Mehrheit im Bundestag zusammenzubekommen?
Schauws: Ich sage jetzt mal, ich bin relativ optimistisch, dass es eine Mehrheit geben könnte. Im Moment sieht es so aus, wir haben, glaube ich, im Moment den weitestgehenden Vorschlag, weil wir sagen, die Streichung des Paragraphen 219a und alles andere, was ich eben schon genannt habe, das müsste im Rahmen einer Ordnungswidrigkeit dann auch vielleicht gefasst werden, aber die Streichung ist schon das oberste Ziel. Da sind wir uns einig mit der Linken und auch mit der SPD, und so wie ich die Äußerungen aus der FDP bisher wahrgenommen habe, gibt es da auch in Richtung Veränderung und vor allen Dingen Streichung 219a Äußerungen, wo ich denke, da könnten wir in Gesprächen zueinander kommen.
Ich bin da ziemlich optimistisch, dass wir uns hierauf verständigen, dass wir sagen, es geht um die Möglichkeit, um das Informationsrecht von Ärztinnen und Ärzten für Frauen, da müssen wir doch an diesem wirklich veralteten Paragraphen jetzt was ändern und nicht erst das Bundesverfassungsgericht abwarten, wo die Ärztin Kristina Hänel ja bis zu diesem gehen will und abwarten muss, ob das Gericht dann am Ende entscheidet.
Büüsker: … sagt Ulle Schauws, Sprecherin für Frauen und Kulturpolitik bei Bündnis 90/Die Grünen. Das Interview haben wir heute Morgen aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.