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Paragraf 219a: Werbeverbot für Abtreibungen
Niederbayerns einziger Arzt für Schwangerschaftsabbrüche

Der Paragraf 219a im Strafgesetzbuch verbietet das öffentliche Werben für Schwangerschaftsabbrüche. Vor allem für Frauen in Bayern ist es schwer, einen Arzt zu finden. Ein Besuch bei Niederbayerns einzigem Arzt für Schwangerschaftsabbrüche auf Beratungsschein.

Von Susanne Lettenbauer |
    Schwangerschaftstest zeigt schwanger an.
    Der umstrittene Paragraf 219a verbietet Ärzten für den Abbruch der Schwangerschaft zu werben (imago)
    Das Haus wirkt gutbürgerlich. Es ist eines der älteren Gebäude von Passau, in dem sich das Büro der niederbayerischen Familienberatungsstelle von Pro Familia befindet. Direkt gegenüber vom katholischen Malteserstift St. Nikola geht es zwei Stockwerke eine knarrende Holztreppe nach oben.
    "Also es ist ganz unterschiedlich: Es gibt Frauen, die schon relativ lang nachdenken, die schon mit Freundinnen, mit dem Partner, mit Vertrauenspersonen das Gespräch suchen. Und es gibt Frauen, die wollen einen Termin in so einer Reflexsituation."
    Das Beratungszimmer von Thoralf Fricke ist schlicht gehalten. Philosophierende Lebensweisheiten hängen gerahmt an den Wänden. Drei Sessel und eine Couch im Kreis, in der Mitte ein kleiner, rechteckiger Tisch. Er ist leer. Keine Babyfotos oder Windelprospekte, keine glücklichen Mütter-Kinderwagen-Bilder. Es gibt auch keinerlei anatomische Erklärposter, Ärzteflyer oder sonstiges. Nichts lässt darauf schließen, worum es hier jeden Tag geht. Um das Für und Wider vom Kinderkriegen:
    "Ich denke, dass es im Moment eine gesellschaftliche Situation gibt, in der liberale Errungenschaften der letzten 30, 40 Jahre angegriffen werden oder versucht wird, sie zurückzufahren."
    Behörden erteilen Erlaubnis zu Schwangerschaftsabbrüchen
    Thoralf Fricke hört den Frauen einfach erst mal nur zu, erklärt dann Förderprojekte für junge Familien und Alleinerziehende. Rät nicht ab, rät auch nicht zu. Staatliche Beratungsstellen wie Pro Familia oder Donum Vitae sollen aufklären, beraten, informieren, in jeder Hinsicht. Ein Drahtseilakt:
    "Wir dürfen natürlich auch keine Werbung für Schwangerschaftsabbruch machen, aber wir würden auch keine Werbung machen, sondern es geht eher darum zu sagen, wie kommen Frauen an eine gute, fundierte und saubere sachliche Information."
    "Also, da gibt es eine Regelung in Bayern, die nennt sich das Bayerische Schwangerenhilfeergänzungsgesetz, in dem ganz klar geregelt ist, dass wir als staatlich anerkannte Beratungsstellen derzeit nicht berechtigt sind, den Frauen irgendwelche Daten weiterzugeben von den Ärzten."
    Pro Familia in Passau
    Wo hört Information auf und fängt Werbung an? Beratungsstellen wie Pro Familia dürfen in Bayern keine Daten von Ärzten weitergeben, die Abtreibungen durchführen. (Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer )
    Heute erteilt ein Beamter der Bezirksregierung die Erlaubnis zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen. Und eine Information zu viel auf einer Webseite gilt als Straftat, kritisiert der Familienberater:
    "Keine Frau geht doch, nachdem sie beim Arzt war und erfahren hat, dass sie schwanger ist, geht los und sagt: Uui, heute hätte ich mal Lust auf einen Schwangerschaftsabbruch. Ich glaube, ich suche mal im Internet, ob es jemanden gibt, der das für zehn Euro billiger macht. Macht doch keine Frau."
    12.143 Schwangerschaftsabbrüche in Bayern 2017
    Konfliktberater Fricke ist der Ärger anzumerken. Verteilt auf die sechs Regierungsbezirke Bayerns gibt es derzeit 128 staatlich anerkannte Schwangerschaftsberatungsstellen. Die Diskussion in Berlin untergrabe alle Bemühungen der Mitarbeiter, Tag für Tag eine faire Lösung ganz individuell für jede einzelne Frau zu finden, betont Fricke. Jeder der 12.143 Schwangerschaftsabbrüche in Bayern 2017, von denen drei Viertel vom Staat für sozial schwache Familien bezahlt wurden, hatte einen Grund. Und den dürfe man nicht reisenden Kurpfuschern in Hinterzimmern überlassen.
    "Wenn Sie in eine Suchmaschine eingeben 'Schwangerschaftsabbruch', jetzt nehmen wir mal "Passau" und "Arzt", dann kriegen sie definitiv auf dieser Seite Vorschläge, wo zu dieser Thematik was gesagt wird."
    Wer in Passau im Fall des Falles der Arzt ist, ist ein offenes Geheimnis in Niederbayern. Denn es gibt nur einen einzigen. Frauenärzte empfehlen ihn weiter, im Internet stehen lange Berichte über ihn. Wer will, findet alle Informationen online, amüsiert sich der Passauer Frauenarzt Michael Spandau:
    "Die beste 'Werbung' kommt von den Gegnern. Das steht ja noch im Internet."
    Niederbayerns einziger Arzt, der Schwangerschaftsabbrüche durchführt, studierte in den 60er-Jahren Medizin, arbeitete lange in Konstanz. Rund 800 Entbindungen betreute der heute 69-Jährige pro Jahr. 2010 habe er die Praxis verkauft, gab die Kassenzulassung ab, wollte eigentlich kürzer treten.
    "Der nächste Kollege, der diese Eingriffe anbietet, sitzt meines Wissens in Regensburg, wenn Sie nach Norden hochgehen und Richtung Westen, also Richtung München, in München erst wieder."
    Einige Dutzend OPs im Monat. Warum, fragt er nicht
    Durch eine angelehnte Tür sieht man sechs blaue Krankenliegen. An diesem Tag, erzählt der weißhaarige Mann freimütig, seien zehn Frauen da gewesen. Im Monat hätte er rund 34 Operationen, vergangenen November sogar 44. Warum? Danach fragt er nicht. Viele Flüchtlingsfrauen seien darunter, die zum ersten Mal über ihr Leben entscheiden dürften. Die Frauen sind längst wieder weg. Natürlich: Keine Frau erzählt öffentlich, warum sie hier ist.
    Der Gynäkologe Spandau wird in zwei Monaten 70 Jahre alt. Seit Anfang der 80er-Jahre hat er Babys zur Welt gebracht. Lebend oder eben nicht. Immer hat er die Frauen mindestens einen Tag vorher ausführlich über den Eingriff informiert, hat ihnen sechs Seiten Formulare zum Ausfüllen und Durchlesen mitgegeben.
    Er würde diese Informationen nicht ins Internet stellen, auch wenn er es absurd findet, dass Thoralf Fricke von Pro Familia seinen Namen nicht nennen darf. Das Werbeverbot kann er insofern nachvollziehen:
    "Wenn Sie sich manche Tageszeitungen anschauen, mich irritiert das schon, zum Beispiel Zahnarztpraxen, was da für Werbung drin ist von Implantaten, hier sind Sie besonders gut aufgehoben. Ich komme aus einer Zeit, wo diese Art der Werbung nicht erlaubt war, und ich persönlich würde gerade beim Schwangerschaftsabbruch keine Werbung machen."
    Informationen müssten natürlich den Frauen ausreichend zur Verfügung stehen, fordert Michael Spandau. Niederbayerns einziger Arzt für Schwangerschaftsabbrüche winkt auf seinem Stuhl in der stillen Operationspraxis ob der Diskussion in Berlin ab. Er will Frauen einfach nur Hilfe anbieten.