Nach den Paralympics
Viel Nachholbedarf im deutschen Para-Sport

Bei den Paralympics in Paris bekam der Para-Sport große Aufmerksamkeit und eine Bühne, um zu zeigen, was die Gesellschaft noch alles lernen kann. In Deutschland geht die Inklusion nur schleppend voran. Wie es gehen kann, macht Schweden vor.

Von Mona Laufs |
Ein Schüler einer Förderschule fährt in der Sporthalle des Gymnasium Burgdorf mit seinem Rollstuhl Slalom um Hindernisse.
Deutschland hat beim Thema Inklusion noch Nachholbedarf. Ein inklusives Schulkonzept kann sich dabei auch positiv auf den Sport auswirken. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
Elf Tage voll sportlicher Highlights und vielen Emotionen. Doch immer wieder kommt die Frage auf, was nach den Paralympischen Spielen für den Parasport bleibt.
"Also ich glaube prinzipiell, dass wir auf einem guten Weg sind, dass die Aufmerksamkeit und auch die Anerkennung zunimmt." Sandra Mikolaschek hat in Paris Gold im Tischtennis gewonnen. Im Interview mit der ARD spricht sie über die Situation in Deutschland: "Dass wir aber auch noch auf einem weiten Weg sind. Vor allem bei den Paralympics ist es immer sehr viel Aufmerksamkeit, das nimmt dann meiner Meinung nach immer weiter ab, je weiter wir uns davon entfernen."

Hohe Einschaltquoten bei den Paralympics

Tatsächlich ist während der Paralympischen Spiele die Aufmerksamkeit groß gewesen: Die Live-Übertragungen im Fernsehen haben hohe Einschaltquoten erreicht, ARD und ZDF haben laut eigenen Angaben rund 60 Stunden im Live-TV gesendet, in Tokio 2021 waren es noch 36 Stunden. Auch das Online-Angebot wurde erhöht und erreichte 3,7 Millionen Abrufe.
Paris hat versucht, ein neues Zeichen zu setzen, um die Paralympischen und Olympischen Spiele als gleichwertige Veranstaltung zu präsentieren. Vieles ging in die richtige Richtung, erzählt Weitspringer Markus Rehm der ARD nach dem Gewinn seiner vierten Goldmedaille: "Ich glaube man hat es gesehen bei der Eröffnungsfeier der Olympischen und Paralympischen Spiele. Es gab immer paralympische und olympische Athlet:innen, die parallel daran beteiligt waren. Das war ein großes Zeichen. Das Logo war gleich, auch das ist ein großes Zeichen. Ich wünsche mir einfach, dass wir in den nächsten Jahren da noch mehr erreichen werden und noch mehr erreichen können."

UN-Behindertenrechtskonvention soll Inklusion fördern

Seit 2006 haben die Vereinten Nationen die sogenannte UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen. Damit sollen die Menschenrechte konkretisiert werden und verschiedene Lebenslagen von Menschen mit Behinderung Beachtung finden. Darunter fallen zum Beispiel Barrierefreiheit, Bildung, Gesundheit oder Gleichberechtigung. Die Konvention soll die Inklusion fördern, und zwar mit dem Ziel, dass Menschen mit Behinderung von Anfang an mitten in der Gesellschaft leben können.
In Deutschland ist die Behindertenrechtskonvention 2009 in Kraft getreten und ist seitdem geltendes Recht. Ein UN-Ausschuss überprüft die Einhaltung der Konvention der einzelnen Nationen. 2023 wurde der deutsche Bericht aus 2018 vor dem Ausschuss diskutiert. Fest steht, dass "die Integrationsbemühungen um Inklusion, sprich Teilhabe möglich zu machen, in Deutschland zu schleppend vorangeht".
Das Kritisiert Friedhelm Julius Beucher, er ist seit 2009 Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes DBS.

55 Prozent der Menschen mit Behinderung treiben keinen Sport

Wie wenig Teilhabe ermöglicht wird, zeigt sich auch in Zahlen aus dem Sport. Professor Thomas Abel von der Sporthochschule Köln forscht seit 20 Jahren zu Behindertensport: "Mehr als die Hälfte der Menschen mit Behinderung macht nie Sport nach den Zahlen des Bundesteilhabeberichtes. Bei den Menschen ohne Behinderung sind es 32 Prozent und bei den Menschen mit Behinderung 55 Prozent, die nie Sport machen. Und wenn ich davon ausgehe, dass die Affinität zum Sport bei Menschen mit und ohne Behinderung gleich ist, dann ist hier der Zugang erschwert und das müssen wir verändern, da müssen wir besser werden und da sind uns andere Länder voraus."
Das sind zum Beispiel die skandinavischen Länder. DBS-Präsident Beucher erkennt, dass sich dort ein Miteinander positiv entwickeln kann: "Das fängt in der Schule an. Es gibt in den skandinavischen Ländern keine Förderschulen. Das ist ein ganz anderer Blick der Gesellschaft."

Regelschulen in Deutschland nicht ausreichend ausgestattet

Gerade das Schulsystem biete einen Ansatz, um Inklusion voranzutreiben. Die UN-Behindertenrechtskonvention sieht vor, Förderschulen abzubauen, um vor allem im Kindesalter Menschen mit Behinderung nicht zu separieren. In Deutschland sind die Regelschulen oft noch nicht ausreichend ausgestattet, um allen Kindern eine gute Bildung zu bieten. Viele Schulen sind nicht barrierefrei und das Lehrkonzept bietet meist nicht ausreichend Möglichkeiten, um alle Schülerinnen und Schüler zu erreichen.
In Schweden gibt es schon die "Schule für alle". Charlotte Storch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung im Projekt Nordische Länder. Sie lebt in Stockholm und kennt das schwedische Schulkonzept. "Der Fokus liegt sehr auf der Umsetzung von Inklusion."

Schulleitung in Schweden in der Verantwortung

Es geht darum, für alle Schülerinnen und Schüler ein optimales Lernumfeld zu schaffen und sich als Schule anzupassen. Eine große Rolle spielt dabei die Schulleitung: "Die Rektorin ist dafür verantwortlich, dass Anpassungen durchgeführt werden und dass die Lehrkräfte eben nicht überfordert werden, sondern dementsprechend geschult werden sollen".
Zur Unterstützung gibt es in Schweden eine spezielle Behörde für Inklusion: "Und die unterstützt die Schulen, die Rektorin und die Lehrkräfte bei der Umsetzung der Inklusion."

Inklusives Schulkonzept bietet viele Möglichkeiten

Bis in Deutschland das Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention erreicht ist, muss noch einiges passieren. Während die Paralympics nur alle vier Jahre Aufmerksamkeit auf den Behindertensport werfen, kann aber schon im Schulsport mehr Zugang und Aufmerksamkeit für Inklusion und Parasport erreicht werden.
Professor Abel beschäftigt sich in seiner Forschung mit dem Schulsystem in Deutschland. Für ihn steht fest, dass ein inklusives Schulkonzept viele Möglichkeiten für den Sport bieten kann: "Wir haben über den Schulsport natürlich die große Chance, dass wir alle Kinder und Jugendlichen einmal in ihrem Leben mit dem Sport in Kontakt bringen können. Unsere Inklusionsquote ist da nicht wirklich gut. Weiß ich schon, dass wir irgendwo auch mal bei 9% waren und mittlerweile bei über 40% sind. Ich wäre aber gerne bei über 80%. Weil wir wissen, dass Sporttreiben positive Effekte hat. Sowohl im psychischen Bereich, im physischen Bereich, im Bereich der Selbstwirksamkeit. Aber auch im sozialen Bereich und natürlich im gesundheitsorientierten Bereich."