Dass der oberste Weltsport-Lenker die zweitwichtigste Sportfeier des Globus´ schwänzt, ist schon aus protokollarischer Sicht ungewöhnlich. Jedoch legen die Begleitumstände der späten Absage nahe, dass es auch andere als die von Bach vorgetragenen Termingründe sein könnten, die ihm eine Reise nach Brasilien unmöglich machen. Denn in Rio de Janeiro erwartet ihn seit Wochen das Betrugsdezernat der Zivilpolizei. "Ja, wir wollen seine Zeugenaussage haben", teilte Chefermittler Aloysio Falcão am Dienstag auf Anfrage mit. Der Polizeioffizier erklärte auch, dass seine Behörde bis kurz vor der Eröffnungsfeier vom Erscheinen des IOC-Chefs ausgegangen sei: "Wir wussten nicht, dass Thomas Bach seine Reise nach Rio gecancelt hat."
Die Polizei will Bach wegen eines bemerkenswert vertraulichen Mailverkehrs mit dem in Rio verhafteten Ex- IOC-Vizepräsidenten Patrick Hickey anhören. Hickey und neun weitere Personen werden des Schwarzhandels mit Tickets verdächtigt und wegen Betrugs, Steuerhinterziehung und Geldwäsche angeklagt. Ihnen drohen bis zu acht Jahre Haft.
Druck wegen "anderer Aktivitäten"
Der Ire Hickey, einer von Bachs engsten Vertrauten, hatte den deutschen IOC-Boss im Juli 2015 auf Probleme mit dem Ticketing-Geschäft hingewiesen und dazu ein Vier-Augen-Gespräch angeregt. Indes liegt das Ticket-Thema gar nicht in Bachs Zuständigkeit, wie auch das IOC bestätigt. Wenig später monierte Hickey die im Vergleich zu London 2012 zu geringere Anzahl der ihm zugewiesenen Olympia-Tickets für Rio – und schickte eine Wunschliste für hunderte Firstclass-Tickets an Bach. Schließlich, im Januar 2016, bat der Ire Bach um Ratschläge zu seiner Sportkarriere. Er sei, heißt es in der Mail, insbesondere aufgrund seiner "anderen Aktivitäten" so stark unter Druck geraten, dass er das Chefamt im irischen Olympia-Council abzugeben gedenke.
Zu all diesen Themen hätten die Brasilianer Bach gerne befragt. Doch am Dienstag sagte der IOC-Chef seine geplante Reise zur Paralympics-Eröffnung in Rio kurzfristig ab. Stattdessen ging er zum Staatsakt für den verstorbenen Ex-Bundespräsidenten Walter Scheel in Berlin. Aber ein Trip zu den Paralympics in Rio ist nach Aussage des IOC jetzt gar nicht mehr geplant.