Stefan Lösler kann sich ein Leben ohne Sport kaum vorstellen. Daran hat sich auch 2010 nichts geändert. Damals wurde Lösler von einem Auto angefahren, sein linkes Bein musste auf Höhe des Knies amputiert werden. Er ging in die Reha, machte sich mit Prothesen vertraut, konzentrierte sich auf Sport. Schwimmen, Radfahren, Laufen. Nun in Rio geht er im Triathlon an den Start. Die Sportart ist erstmals im Programm der Spiele und gilt als vorbildlich, was Inklusion betrifft, sagt Stefan Lösler vom Verein GC Nendorf.
"Das Tolle ist, dass beim Triathlon auch bei Internationalen Wettkämpfen alles im selben Rahmen abläuft. Also es gibt bei den Nichtbehinderten die World Triathlon Series. Und bei vielen Wettkämpfen findet dann parallel dazu auch ein Para-Triathlon-Wettkampf statt. Also es ist nicht nur national, sondern auch international so organisiert, dass eben die ITU, die International Triathlon Union; auch für den Para-Triathlon verantwortlich ist. Und das reicht sogar weiter bis ganz runter. Wenn ich sage, ich möchte bei einem Trainingswettkampf mitmachen, ist es sehr unkompliziert in der Regel: Ich gehe zum Veranstalter und sage, ich brauche einen Stuhl in der Wechselzone. Und ich wurde bis jetzt immer mit offenen Armen empfangen, egal bei welchem Wettkampf."
Wenig Interesse an Sportler mit Behinderung
Triathlon ist eine von wenigen Ausnahmen. Das Internationale Paralympische Komitee hatte 2007 das Ziel ausgegeben, spätestens 2016 nicht mehr als Fachverband zu wirken. Behinderte und nichtbehinderte Athleten sollen in denselben Strukturen der jeweiligen Sportarten aktiv sein, so der Plan. Doch noch heute muss das IPC in zehn Sportarten die Weltmeisterschaften ausrichten. Auch in der Leichtathletik und im Schwimmen, denn deren Weltverbände IAAF und FINA zeigen wenig Interesse an Sportlern mit einer Behinderung. Und auf nationaler Ebene? Der Deutsche Leichtathletik-Verband und der Deutsche Schwimm-Verband unterstützt inklusive Musterzentren in Berlin oder Leverkusen. Aber von einer ganzheitlichen Gleichberechtigung kann keine Rede sein. Jörg Frischmann ist Geschäftsführer der Behindertensportabteilung bei Bayer Leverkusen. Was sind die Gründe für die zögerliche Annäherung?
"Ich denke, generell, Gesprächsbereitschaft. Wenn man sieht, wie zäh das ganze Thema Markus Rehm gewesen ist. Und dass wir mit dem Thema Markus Rehm auch Rückschritte gemacht haben. Früher haben wir bei Wettkämpfen einfach mitgemacht, war überhaupt kein Thema. Heute sagen uns Veranstalter: wir müssen mal überlegen, wie wir euch einbinden können. Weil der DLV gibt uns vor, dass Menschen mit einer Hilfe, dass die gesondert gewertet werden müssen. Und das stellt schon wieder die Ausrichter bei Wettkampfprogrammen vor Probleme. Auch bei jungen Kindern: wir haben erlebt, dass Eltern gesagt haben: Pass auf, der hat eine Prothese, der hat einen Vorteil. Und das sind einfach für mich erschreckende Sachen. Wenn junge Kinder nicht mehr gemeinsam Sport machen können."
Fortschrittliche, internationale Strukturen
in Nicht immer lassen schwere Behinderungen ein gemeinsames, also inklusives Sporttreiben zu, aufgrund von fehlender Barrierefreiheit oder unterschiedlichen Trainingsprogrammen. Doch auch dann könne man Lösungen finden, sagt Jörg Frischmann. Das beweisen die fortschrittlichen Verbandsstrukturen in Großbritannien, Kanada oder in den Niederlanden. Dort orientieren sich Trainerausbildung, Antidopingkampf oder Prämienregeln stets an behinderten und nichtbehinderten Athleten. Verena Bentele erhofft sich eine breitere Debatte in Deutschland, auch innerhalb des Deutschen Olympischen Sportbundes. Die frühere Biathletin ist seit 2014 Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. "Warum haben wir nicht gemeinsame Deutsche Meisterschaften, gemeinsame Weltcups und Weltmeisterschaften. Also wenn jetzt WM, EM in der Leichtathletik ist, kann man doch da eigentlich sagen, man macht die paralympischen und olympischen zusammen, was nicht heißt, alle sind in der gleichen Wertung. Weil das wird eben auch nicht für alle gehen. Aber das es eben wenigstens parallel stattfindet. Das wäre, finde ich, schon mal ein ganz toller Weg. So lange wir das nicht schaffen. So lang wir nicht Erfahrungswerte sammeln, bei einem Weltcup, der irgendwo stattfindet, das zusammen zu machen, wird es natürlich bei einem großen, komplexen Sportereignis wie den Olympischen und den Paralympischen Spielen, wo sehr viele Sportler und sehr viele Sportarten alles in einer sehr kurzen Zeit, zu organisieren und logistisch hinzukriegen, wird das natürlich schwierig. Deshalb würde ich daher eher eine Graswurzeldebatte führen und von unten anfangen."