Die Leichtathletik-Halle von Bayer 04 Leverkusen ist fast leer, als Para-Sprinterin Irmgard Bensusan zum Training kommt. Es ist erst 9 Uhr. Schön ruhig hier, findet Bensusans Trainingskollegin Jule. Zweieinhalb Stunden dauert das Training am Mittwochmorgen, auf dem Plan stehen Sprünge und nicht-intensive Läufe. Vorher Einlaufen, Steigerungsläufe, Koordination und Fitnessprogramm: „Und jetzt 20 Push-ups – jawoll – und dann 20 sek Plank!“
Bensusan trainiert jeden Tag – außer sonntags. Die Trainingspläne erstellt ihr Trainer Erik Schneider jede Woche für jeden individuell: „Dann haben wir im Kleineren so vier, fünf Wochenblöcke, wo man dann vielleicht auch reagieren muss, je nachdem, wie es gerade läuft“, erklärt Schneider, während Bensusan und ihre Trainingskolleginnen verschiedene Lauf- und Kraftübungen machen.
Trainingslagerphase vor dem Wettkampfauftakt
Gerade ist eine Phase zwischen zwei Trainingslagern. Bis Anfang April war die Gruppe im Trainingslager in Südafrika. „Südafrika ist immer so eher wiederaufbauen, wie Winterprogramm oder auch Ausdauer“, erzählt Bensusan in einer Pause. Bald geht es ins nächste Trainingslager.
„Auf Lanzarote gehen wir wieder in die Spritzigkeit, um uns auf die Saison vorzubereiten. Das sind auch komplett andere Trainingseinheiten.“ Längere Pausen, aber dafür höhere Intensitäten sind geplant, volle Orientierung auf die anstehenden Wettkämpfe, ergänzt Trainer Schneider.
Olympische und paralympischen Athleten profitieren vom gemeinsamen Training
Seit zweieinhalb Jahren trainiert Schneider Para-Sprint und -Sprung, früher war er im olympischen Bereich. In der Trainingsgruppe sind Athlet*innen mit Spastik, Prothesen, Amputationen oder wie Sprinterin Irmgard Bensusan mit Orthese. Bei Bayer 04 Leverkusen ist die Förderung von Athleten mit und ohne Behinderung selbstverständlich.
„Wenn ich jetzt mit anderen Trainern spreche, die das nicht so gewohnt sind, da gibt es auch immer noch so leichte Hemmungen. Deshalb muss man es einfach starten und beginnen und die Leute ranholen. Und jeder profitiert davon. Also das ist keine Einbahnstraße. Olympische Athleten profitieren auch oftmals von den Einstellungen von paralympischen Athleten und das finde ich immer gut.“
Viele Übungen auch mit Behinderung möglich
Zum Teil wird auch gemeinsam trainiert, Tempoläufe oder Waldläufe zum Beispiel. Oft klappt das aber nicht. Nicht wegen der Übungen, sondern weil die Wettkämpfe anders im Jahr liegen. Und tatsächlich: Viele der Übungen von Bensusan würden Sprinter mit zwei gesunden Beinen genauso im Training machen:
„Sie können vielleicht nicht jede Übung machen, aber wir probieren das. Wir probieren, das zu machen. Und oftmals denkt man dann: Boah, das hätte ich nicht gedacht, dass sich solche Übungen überhaupt realisieren lassen, dass das möglich ist. Und damit wachsen die. Und am Ende stellen wir fest: Boah, kein Deut schlechter als jetzt jemand, der keine Behinderung hat.“
Während Schneider erklärt, springt Irmgard Bensusan die Treppen in der Halle hoch: aus der Hocke, im Wechsel mit rechts oder links oder mit tiefen Seitsprüngen.
In einer kurzen Pause ergänzt Bensusan, dass sich viele Übungen auch einfach abwandeln lassen: „Man kann auch ab und zu eine Alternative finden. Ja, genau, das ist halt auch wichtig! Dann zu sagen: Okay, so können wir es nicht. Aber wir können es abgeändert machen und erreichen vielleicht dann dasselbe Ziel.“ Das macht die Trainingsentwicklung auch für Schneider immer wieder spannend.
Trainingstagebuch zur Kontrolle
Nach den Übungen an der Treppe kommen noch 200-Meter-Läufe. NI-Läufe sagt Bensusan – nicht-intensive Läufe, die sie alleine absolviert. „Bei den NI kann ich eher an meinem Schritt und an meiner Technik arbeiten. Aber allgemein nee, da laufe ich immer in der Gruppe. Es macht mehr Spaß in der Gruppe.“
Nach jeder 200-Meter-Runde trägt Bensusan ihre Zeit in ein Notizbuch ein. Auch Angaben zu ihrem Startblock und den anderen Trainingseinheiten hält sie darin fest. „Und - was cool ist. Ich habe noch die Bücher vom Vorjahr und gestern bin ich gelaufen, und ich war so: Okay, wie war es? Okay, ich schaue mal, was ich 2019 gelaufen bin. Dann bin ich in mein Buch gegangen, habe genau gesehen, ich bin noch auf dem richtigen Weg. Das beruhigt mich.“
So sehe sie auch, was an äußeren Einflüssen ihre Zeiten mitbestimmt, Krankheiten oder Stress zum Beispiel, erklärt Bensusan. „Aber man muss auch denken: Okay, was kann ich machen, wieder da zu sein, wo ich dann war. Das ist ein zusätzliches Hilfsmittel.“
Bensusan versucht eine Unterstützung für den Nachwuchs zu sein
Bensusan gibt ihre Erfahrungen auch an junge Sportlerinnen wie Kim und Jule weiter, die gerade auch ihre NI-Läufe absolvieren: „Ja, da kann man auch Ratschläge geben, wie ich das gemacht habe, wie ich das erfahren habe. Ich wünsche mir, dass sie vermeiden kann, die Fehler, die ich gemacht habe, mit der Unterstützung, die ich früher vielleicht nicht bekommen habe.“
In wenigen Tagen geht es nach Lanzarote. Zehn Tage wird die Gruppe dort trainieren. Dann zurück nach Deutschland zum Wettkampfauftakt Anfang Mai, ein Heimspiel in Leverkusen.