Paralympics Paris 2024
Debatten im Para-Sport – über Barrierefreiheit und Politik

Ab dem 28. August finden in Paris die Paralympischen Spiele statt. Neben den sportlichen Wettkämpfen gibt es aber auch Themen, die durch das Großevent in den Blick gerückt werden – ein Beispiel: die fehlende Barrierefreiheit in der Metro.

Von Sabine Lerche |
    Zu sehen ist ein Areal unterhalb des Eiffelturm, wo das Symbol der Paralympischen Spiele aufgestellt ist.
    13.600 Zuschauerinnen und Zuschauer werden die Blindenfußball-Spiele in der temporären Sportstätte am Eiffelturm verfolgen können. (IMAGO / Kyodo News / IMAGO)
    Vom 28. August bis zum 8. September finden in Paris die Paralympischen Spiele statt. An den elf Wettkampftagen treten insgesamt über 4.400 Para-Athletinnen und -Athleten aus über 180 Nationen an. Sie messen sich in 22 Sportarten. Aus Deutschland sind 143 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dabei.
    Das deutsche Team will in Paris besser abschneiden als bei den Paralympischen Spielen in Tokio 2021: Im Medaillenspiegel soll eine Top-Ten-Platzierung her, am besten mit mindestens 13 Goldmedaillen wie auch in Tokio. Ein Garant für Gold ist dabei Para-Weitspringer Markus Rehm. Er ist der aktuelle Weltrekordhalter und dreimalige Paralympics-Sieger im Weitsprung.
    Wie bei den Olympischen Spielen soll Paris als Stadt mit ihren Wahrzeichen und Sehenswürdigkeiten als Kulisse für die Wettkämpfe dienen. So findet im Garten des Château de Versailles der Para-Dressursport statt, am Fuße des Eiffelturms die Spiele im Blindenfußball.
    Wie so oft gibt es aber abseits der Wettkampfstätten gesellschaftliche und politische Themen, die das Großevent begleiten.
    Die Klassifizierung als "Achillesferse"
    Paris und die Barrierefreiheit
    Wettkampfstätte Seine
    Debatte um Teams aus Russland und Belarus

    Die Klassifizierung als "Achillesferse"

    Bei den paralympischen Wettkämpfen werden die Para-Athletinnen und -Athleten verschiedenen Startklassen zugeordnet. Wer in welcher Startklasse starten darf, regelt die Klassifizierung. Hauptkriterium ist dabei, wie stark sich die Beeinträchtigung auf die grundlegenden Bewegungsabläufe in der jeweiligen Sportart oder Disziplin auswirkt.
    Dabei hat jede Sportart ihr eigenes Klassifizierungssystem, es wird von den zuständigen internationalen Sportfachverbänden festgelegt.
    Zu den Beeinträchtigungen zählen zum Beispiel das Fehlen von Gliedmaßen, eine Beeinträchtigung der Muskelkraft, beispielsweise bei einer Querschnittslähmung, eine Störung der muskulären Bewegungskoordination oder eine Sehbeeinträchtigung. Insgesamt gibt es zehn Beeinträchtigungsarten. In vielen Sportarten sind mehrere Beeinträchtigungsarten vertreten und zur Teilnahme berechtigt. Sie werden dann noch mal in Startklassen unterteilt.
    Das System soll für Chancengleichheit und spannende Wettkämpfe sorgen, führt aber auch immer wieder zu Kritik: Das System sei intransparent, kompliziert und auch exklusiv, wenn Athleten nicht in das Raster der Klassifizierung passen oder nach einer Überarbeitung des Regelwerks ihre Starterlaubnis verlieren. Auch gab es Einzelfälle, in denen eine falsche Angabe zu Einschränkungen einer Athletin oder einem Athleten einen Wettkampfvorteil verschafft hat.
    „Die Klassifizierung ist eine der Achillesfersen des internationalen Parasports“, sagt Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbands (DBS), im Dlf-Interview. Die Glaubwürdigkeit bei der Einteilung in Startklassen müsse immer wieder untersucht werden, sodass man sich nicht im Wettkampf einen Vorteil verschaffen kann, indem eine Beeinträchtigung gezeigt wird, die eigentlich keine ist.

    Paris und die Barrierefreiheit

    Vor allem die Wettkampfstätten und das Paralympische Dorf seien gut auf die Para-Athletinnen und Athleten vorbereitet. Beucher lobt im Deutschlandfunk die Barrierefreiheit: "Ich habe bislang keine Wettkampfstätte gesehen, wo Barrieren sind, die wir schlechthin von unseren Sportplätzen in Deutschland kennen."
    Es sei kein Problem für Menschen mit Rollstühlen oder einer Geh-Beeinträchtigung, auf die Sportplätze und in die Hallen zu gelangen. Zur Sportstätte selbst zu kommen, ist allerdings eine Herausforderung.
    "Wie in allen Großstädten der Welt gilt die Barrierefreiheit nicht für den öffentlichen Nahverkehr - insbesondere die Metro“, beschrieb Beucher gegenüber dem WDR. Steile Treppen, fehlende Aufzüge – die historische Metro ist selten barrierefrei und kann auch oft nicht entsprechend umgebaut werden. Nur die neue Bahnlinie 14 ist barrierefrei.
    Wenn man sich die Stadt Paris insgesamt anschaut, fehlt vielerorts an Barrierefreiheit. Und das, obwohl das Organisationsteam 1,5 Milliarden in deren Ausbau investiert wollte.
    Allerdings sei die Umsetzung zu langsam, kritisieren Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie APF France Handicap. Mit behindertengerechten Shuttle-Bussen und Taxen soll es den Para-Athletinnen und Athleten möglich sein, den Hindernisparcours der Stadt zu umgehen.

    Wettkampfstätte Seine

    Schon bei den Olympischen Wettkämpfen hat das Schwimmen in der Seine für Kritik gesorgt: Das Wasser war stellenweise so verschmutzt, dass Wettkämpfe verschoben wurde. Manche Athletinnen und Athleten klagten nach ihrem Schwimmrennen im Wasser darüber hinaus über Krankheitssymptome. Die Wasserqualität bereitet vor den Paralympics nun weniger Sorgen. Bisher sei sie ausreichend, um dort Wettkämpfe verantworten zu können. Auch seien die Para-Athletinnen und -Athleten weniger lange im Flusswasser.
    Ein viel größeres Problem stellt die sehr starke Strömung dar: Fahnenträger und Para-Triathlet Martin Schulz übte viel Kritik an der Idee, im Fluss schwimmen zu lassen. Er hat Sorge, dass einige der Schwimmer und Schwimmerinnen nicht gegen die Strömung ankommen oder vielleicht sogar rückwärts getrieben werden.
    Schon die Olympischen Athletinnen und Athleten hatten beschrieben, wie anstrengend die Strömungsgeschwindigkeit das Schwimmen gemacht hatte.   
    „Da kann man nicht drumherum reden, das ist ein riesiger Planungsfehler. Da haben die Organisatoren offensichtlich keinen Plan B,“ kritisierte auch DBS-Präsident Beucher im Dlf. Im Raum steht, ob es anstelle der Triathlon-Wettkämpfe einen Duathlon geben wird, bestehend aus Radfahren und Laufen. Aber auch das kann keine gute Lösung sein, denn es wäre eine Benachteiligung für alle starken Schwimmer im Triathlon-Feld, merkt Beucher an.

    Debatte um Teams aus Russland und Belarus

    Ein weiterer Kritikpunkt für Beucher ist die Teilnahme von Paralympischen Athleten und Athletinnen aus Russland und Belarus: "Ein neutraler Athlet aus Belarus oder Russland zu sein, ist Augenwischerei.“
    Der DBS-Präsident ist klar gegen die Teilnahme der Para-Athlet*innen aus Russland und Belarus. Bei einer internationalen Abstimmung im September 2023 in Bahrain darüber, ob Russland und Belarus komplett von den Spielen ausgeschlossen werden soll, hatten für einen kompletten Ausschluss fünf Stimmen gefehlt.
    Wie bei den Olympischen Spielen dürfen die Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus nur als neutrale Athleten antreten, ohne Landesflagge und ohne Hymne. Außerdem dürfen sie sich nicht unterstützend gegenüber des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verhalten haben.
    Insgesamt sind 89 Athletinnen und Athleten aus den beiden Ländern in Paris zu den Wettkämpfen zugelassen – deutlich mehr als bei den Olympischen Spielen. Der deutsche „Chef de Mission“ Karl Quade erklärt das mit der fehlenden Verbindung zum Militär: Die sei bei vielen Menschen mit Beeinträchtigungen nicht gegeben, sie würden nicht zum Militär gehen. Dadurch erfüllten sie schon mal eine Bedingung, um als „neutral“ zu zählen.