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Paralympische Sommerspiele
Warum den Teamsportarten ein Bedeutungsverlust droht

Ein Jahr ist noch Zeit bis zu den Paralympischen Sommerspielen in Paris. 22 verschiedene Sportarten sind dabei, das Großevent gewinnt an Wahrnehmung, der Ticketrekord soll 2024 fallen. Es gibt aber auch Sportarten, in denen die Zahl der teilnehmenden Mannschaften schrumpft.

Von Kevin Barth |
Bei der Europameisterschaft im Rollstuhl-Basketball visiert die deutsche Nationalspielerin Lena Knippelmeyer (3.v.l.) im Spiel um Bronze gegen Spanien den Korb an.
Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft im Rollstuhlbasketball ist eines der Teams, für die die Teilnahme an den Paralympics aufgrund der Reduzierung durch das Internationale Paralympische Komitee (IPC) zukünftig keine Selbstverständlichkeit mehr ist. (IMAGO / Beautiful Sports / IMAGO / BEAUTIFUL SPORTS / Wunderl)
Acht Teams pro Sportart und Wettbewerb: Das ist die neue Obergrenze für die Mannschaftssportarten bei den kommenden Paralympics. Im Vergleich zu den letzten Spielen in Tokio bedeutet das im Rollstuhl-Basketball beispielsweise, dass es zwei Frauen- und sogar vier Männerteams weniger gibt.
Entsprechend enttäuscht ist der Herren-Bundestrainer Nicolai Zeltinger: "Die Leistungsdichte ist so groß, also gerade wenn ich mir den Wettbewerb in Europa anschaue. Da sind die ersten sechs Nationen, oder auch acht Nationen, die sind so eng beisammen, dass es eigentlich nur fair wäre, wenn dort viele Mannschaften ihre Leistungen bei den paralympischen Spielen abbilden dürften."

Deutsche Nationalteams müssen durch Qualifikationsturnier

Nach den alten Regeln wären im Rollstuhlbasketball beide deutschen Nationalmannschaften bereits sicher mit dabei. Stattdessen müssen sie im kommenden Frühjahr – genauso wie Gastgeber Frankreich – nun in ein Qualifikationsturnier.
Der Termin dafür steht aktuell noch nicht fest. Das bringt Probleme, denn die Nationalspielerinnen wie Nathalie Paßiwan sind keine Vollprofis. Sie beschreibt die schwierige Planung so:
"Man kann halt seinem Arbeitgeber sagen: Irgendwann im April ist das Turnier, aber natürlich wirklich erfreut ist er darüber nicht, wenn man halt einfach keine konkreten Daten geben kann. Es wäre wahrscheinlich ja wieder eine Woche, dann wäre mindestens eine Woche Camp davor, also wären es ja wieder 14 Tage am Stück. Das ist natürlich für einen Arbeitgeber auch nicht immer selbstverständlich, dass der uns Spielerinnen da freistellt."

Begrenzung für Teilnehmende sorgt für Unverständnis

Paßiwan versteht die Reduzierung bei den Teamsportarten ohnehin nicht. Das Internationale Paralympische Komitee IPC begründet die Kürzung mit der Obergrenze von 4.350 Sportlerinnen und Sportlern. Die sei vertraglich mit dem Internationalen Olympischen Komitee festgelegt.
Das findet Stefan Weil, Bundestrainer der deutschen Goalballer, nicht nachvollziehbar: "Wenn man bedenkt, dass in Tokio bei Olympia zum Beispiel 11.000 Athleten, dementsprechend auch Kapazitäten da sind, um 11.000 Athleten unterzubringen, finde ich es sehr unverständlich und schade, dass für die Paralympics nicht mal die Hälfte an Gesamtteilnehmern vorgesehen ist. Das finde ich eine Message, wenn es jetzt darum geht, welchen Stellenwert hat denn Behindertensport."
Auch Rollstuhlbasketballerin Paßiwan wundert sich über diese Begrenzung: "Wenn man dann so Eröffnungsfeiern sieht und dann laufen da einfach mehr Funktionäre als Sportler zum Beispiel auch bei ein paar Nationen rum. Dann denke ich mir immer: Dann streicht doch da Leute und lasst uns Sportler den Sport nach außen tragen."
Doch unter den aktuell gültigen Regeln sind eben nur 4.350 Athleten drin. Das IPC betont, dass trotzdem ein möglichst diverses Bild entstehen soll, auch in Bezug auf die verschiedenen Behinderungen.

Einzelsportarten auf dem Vormarsch

In den vergangenen Jahren kamen vier neue Einzelsportarten zu den Sommerspielen hinzu. Die Mannschaftssportarten werden dagegen kleiner. Beim Rollstuhlbasketball fällt nun mehr als die Hälfte der Spiele weg.
Für den Männer-Bundestrainer Zeltinger ist damit die gesamte Veranstaltung weniger attraktiv: "Weil die Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaften eigentlich immer auch als Vorzeigeathleten dort gelten und glaube ich auch eine spektakuläre Show bei den Paralympics anbieten. Man sieht ja auch die Zuschauerzahlen und auch die Einschaltquoten im Fernsehen, die sind natürlich beim Rollstuhlbasketball unübertroffen."

Goalball-Trainer warnt vor wachsendem Ungleichgewicht

Das IPC möchte trotz dieses Einschnitts mehr Aufmerksamkeit schaffen. Erstmals werden alle Sportarten live übertragen. Im Goalball sind es aber auch 24 Spiele weniger. Beide deutschen Nationalmannschaften müssten die Europameisterschaft gewinnen, um überhaupt dabei zu sein. Bundestrainer Weil warnt davor, dass ein ohnehin schon bestehendes Ungleichgewicht nur noch größer wird:
"Am Ende des Tages können wir maximal eine Medaille holen und sind deswegen natürlich auch in vielen Punkten uninteressanter, auch in medialer Aufmerksamkeit, als eine Schwimmerin, die vielleicht in mehreren Disziplinen mehrere Medaillen holen kann. Wenn jetzt auch noch die Teamsportarten auch aufgrund der Tatsache, dass weniger Teams vor Ort sind, vielleicht auch dann weniger mediale Berichterstattung erfahren, ist das natürlich schon besorgniserregend."

Härtere Bedingungen mit Konsequenzen für Förderstufe

Sollte Paßiwan mit ihrem Basketball-Team die Paralympics verpassen, würde das nicht ohne Konsequenzen bleiben. Die wären dann auch finanziell zu spüren: "Dadurch, dass wir ja immer mindestens Platz vier bei allen Turnieren geworden sind, sind wir auch in der höchsten Förderstufe. Und die, bin ich mir relativ sicher, würden wir verlieren. Natürlich wäre das ein Rieseneinschnitt für uns."
Wobei für Paßiwan der sportliche Aspekt wichtiger ist: "Aber ich glaube einfach dieses Bild, die deutschen Damen nicht bei den Paralympics zu sehen, wäre für uns alle noch viel schlimmer."