Vivan Hösch und Florian Schillinger stapfen durch den Schnee am Wintersport-Stadion Notschrei in der Nähe von Freiburg. Die Biathletin hat sich bei ihrem Begleitläufer eingehakt, der das Langlauf-Equipment der beiden trägt. Hösch, Jahrgang 1991, ist von Geburt an hochgradig sehbehindert. Bis sie neun Jahre alt war, konnte sie nur Umrisse und kräftige Farben sehen - dann war auch dieser letzte kleine Rest Sehkraft weg. Was sie allerdings nie davon abgehalten hat, auf Skiern zu stehen.
"Mir hat es schon immer Spaß gemacht, Sachen auszuprobieren. Und als kleines Kind wurde mir das von meiner Mutter mitgegeben – die ist leidenschaftliche Alpin-Skifahrerin und hat dann gesagt, ich muss das halt lernen (lacht). Und mir hat das dann sofort Spaß gemacht. Ich stand das erste Mal auf den Ski so mit zwei, drei Jahren. Und mit 15 kamen die Paralympics von Turin im Fernsehen und dann hat die meine Mutter angeschaut und meinte: Ach, Mensch, das ist ja cool und ob es nicht irgendwie eine Möglichkeit gibt, dass ich mal in den Rennsport gehe."
"Schießen hat mich von Anfang an fasziniert"
In Freiburg gab es für Menschen mit Behinderung allerdings keine Alpin-Ski-Gruppe, weshalb es dann am Ende – zuerst ein bisschen widerwillig – Biathlon wurde.
"Ich dachte erst mit 15: Hm, Langlaufen ist ja uncool (lacht). Aber ich hab mich da überzeugen lassen und das Schießen hat mich von Anfang an fasziniert. Ich konnte schon Inlinern, da bin ich dann ziemlich schnell reingekommen, die ersten Wettkämpfe gelaufen und hab dann ziemlich schnell Weltcupluft geschnuppert."
Biathlon ist eigentlich ein Einzelsport – im paralympischen Bereich ist es allerdings Teamwork. Hösch und ihr Begleitläufer Florian Schillinger sind seit gut vier Jahren ein Team. Seitdem trainieren die beiden im Schnitt an sechs Tagen die Woche zusammen und laufen gemeinsam die Wettkämpfe.
"Ich als Begleitläufer laufe vor der Vivian und versuche sie über Kommandos über die Strecke zu leiten. Dabei gibt es einen Grundton, das ist ein 'Hop', das ich in regelmäßigen Abständen sage. Ich habe dabei auch einen Lautsprecher auf dem Rücken. Wenn ich mich dann bewege nach links oder rechts, nimmt sie das auch wahr und folgt mir. Darüber hinaus sage ich ihr die Kurven nach dem Ziffernblatt an – das heißt Rechtskurven auf 1,2,3, Linkskurven auf 11,10,9...und sonst gebe ich ihr noch so viel wie möglich Informationen über den Geländeverlauf: Ob es den Berg hoch geht, ob eine kleine Welle kommt, ob sich die Schneebedingungen verändern. Also ich versuche, so viel wie möglich Informationen zu vermitteln, aber das Wichtigste ist eigentlich, dass sie immer einem Ton folgen kann."
Am Schießtstand ist sie auf sich alleine gestellt
So ein perfekt abgestimmtes Teamwork ist harte Arbeit. Und es gehört auch eine gute Portion Vertrauen dazu.
"Sie muss meine Kommandos verstehen, umgekehrt muss ich wissen, was ich für eine Reaktion erzeuge mit entsprechenden Kommandos. Und das wächst einfach über die Jahre. Wir haben unzählige Trainingsstunden die letzten Jahre zusammen verbracht und man merkt da auch, dass sich ein Prozess entwickelt und ein Fortschritt zu sehen ist, von beiden Seiten wächst die Sicherheit und dann wird es auch immer mehr zum Teamwork."
Allerdings nur, bis es an den Schießstand geht – da ist Vivian Hösch komplett auf sich alleine gestellt. Die 27-Jährige legt sich auf die Matte, setzt einen Kopfhörer auf und zielt mit ihrem Lasergewehr auf die Scheiben fünf Meter vor ihr. Über den Kopfhörer bekommt sie ein akustisches Signal – je näher sie dem Ziel kommt, desto höher wird der Ton.
Drückt sie ab und trifft die Scheibe, bekommt sie ein Treffer-Signal.
Schießt sie daneben, dann klingt das anders.
Karriere-Fortsetzung noch ungewiss
Diesen Sound hört Hösch an diesem Tag nur sehr selten, kurze Zeit später werden sie und Schillinger Deutsche Meister. Vielleicht war es ihre letzte gemeinsame deutsche Meisterschaft – ob Hösch nach den Paralympics weitermacht mit dem Para-Biathlon oder sich dann ausschließlich auf ihren Job in der IT-Abteilung der Stadtverwaltung von Freiburg konzentriert, da ist sie sich noch unsicher.
"Es gab sicherlich eine Zeit wo ich gesagt hab: Nach den Paralympics ist definitiv Schluss, dann ist gut. Jetzt waren wir in Kanada beim ersten Weltcup, da ist auch 2019 wieder die WM – da hat es mich schon auch gepackt mal wieder nach Kanda zu reisen. Also ich muss mich zum Glück noch nicht entscheiden und vielleicht fällt es mir nach den Paralympics leichter, dort eine Entscheidung dann zu treffen."
Vivian Hösch und Florian Schillinger starten heute (10. März) mit den ersten Biathlon-Wettkäpfen in Pyeongchang, und auch am 13. und 16. März sind die beiden im Einsatz.