Die Beeren der gewöhnlichen Berberitze kennt man normalerweise aus orientalischen Gerichten, wo sie ihrem deutschen Namen Sauerdorn alle Ehre machen. Kathrin Meyer und ihre Kollegen am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung in Leipzig allerdings sammelten 2000 Beeren aus ganz Deutschland, um sie auf Einstichlöcher der Sauerdorn-Bohrfliege zu untersuchen und darauf, was dann in der Beere passiert.
"Die Fliege sticht in den Samen ein von außen, legt da ein Ei oder mehrerer Eier rein. Eine Larve entwickelt sich und diese Entwicklung braucht Ressourcen aus dem wachsenden Samen. Und wenn der Samen nicht mehr wächst, dann kann auch die Larve nicht mehr wachsen und wird mit dem Samen absterben und vor allem auch nicht weitere Samen in der Frucht befallen."
Die Berberitze kann also ihre eigenen Samen abtöten. Das ist sinnvoll, wenn die Beere noch einen zweiten gesunden Samen enthält, den die Pflanze damit vor dem Parasiten schützen kann. Und genau das tut die Berberitze nach den Berechnungen von Katrin Meyer und ihren Kollegen. Ist ein zweiter Samen vorhanden, wird das befallene Korn mit 75-prozentiger Wahrscheinlichkeit abgestoßen. Ist der angestochene Samen der einzige in der Beere, passiert das nur in fünf Prozent der Fälle, und zwar unabhängig davon, ob die Beere schon immer einsamig war oder der zweite Samen schon zu einem früheren Zeitpunkt abgestorben ist.
"Das heißt, die Pflanze muss diesen äußeren Reiz mit dem inneren Zustand des zweiten Samens verrechnen. Und da kam dann zum ersten Mal die Idee auf: Könnte das was mit Intelligenz zu tun haben?"
Trotz dieses außergewöhnlich komplexen Verhaltens, hält Kathrin Meyer es für schwierig, die Berberitze als intelligent zu bezeichnen. Intelligenz wird meist nur im Zusammenhang mit Tieren oder Menschen verwendet, Wesen mit einem zentralen Nervensystem. Aber genau da greift die Definition zu kurz, sagt Professor Anthony Trewavas vom Institut für molekulare Pflanzenwissenschaften der Universität Edinburgh.
"Das Problem ist, dass wir den Begriff damit belegen, was wir als intelligentes Verhalten beim Menschen betrachten. Aber alle Lebewesen haben die gleichen Probleme: Sie müssen Nahrung und Partner zur Paarung finden und sie müssen Krankheiten und Feinde meiden. Sie lösen diese Probleme auf verschiedene Weisen, aber das sind die grundlegenden Herausforderungen, die jede Art bewältigen muss, um zu überleben. Evolutionäre Angepasstheit und Intelligenz sind also untrennbar miteinander verbunden."
Dafür ist die Berberitze ein ausgezeichnetes Beispiel. Sie hat evolutionär eine komplexe Abwehrtechnik gegen die Sauerdorn-Bohrfliege entwickelt. Kathrin Meyer hat diese Technik im Computermodell sehr lange und genau überprüft.
"Also natürlich basiert das letztendlich auf biochemischen Vorgängen. Das ist nicht Magie oder Nachdenken wie beim Menschen. Da werden physiologische Mechanismen angestoßen, die wir noch nicht kennen."
Was wäre also eine Definition von Intelligenz, die neben dem Zentralen Nervensystem auch solche chemischen Wege der Signalübertragung gelten lässt? Anthony Trewavas beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit solchem komplexen Verhalten von Pflanzen, das für ihn nach der ursprünglichen Wortbedeutung durchaus intelligent ist.
"Intelligenz bedeutet zuerst einmal nur, eine Entscheidung fällen zu können, und zwar eine für sich vorteilhafte Entscheidung. Das impliziert wiederum eine gewisse Voraussicht. Und genau das hat die Pflanze getan."
Nach dieser Definition kann die Berberitze tatsächlich als intelligent gelten. Von der Terminologie abgesehen ist es vor allem eine einzigartige Beobachtung, dass die Pflanze innere und äußere Reize kombiniert.