Das Gericht liegt nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, an dem man den Flüchtigen Salah Abdeslam am 18. März 2016 gestellt hat: Das Haus in der Rue des Quatre Vents 79, in Molenbeek. Schon im Vorfeld hatte der Prozess gegen den einzigen überlebenden Paris-Attentäter und zeitweise meistgesuchten Mann Europas Schlagzeilen gemacht. Lange war unklar, ob der seit Monaten in Frankreich in Einzelhaft sitzende Salah Abdeslam überhaupt nach Belgien überstellt werden würde. Vor allem die logistische Seite des Transfers bereitete Behörden und Berichterstattern wochenlang Kopfzerbrechen und bot jede Menge Stoff für die Nachrichten.
Mit dem Hubschrauber zum Gericht
Erst kurz vor Prozessbeginn, der einmal verschoben wurde, konnte man sich auf das Prozedere verständigen. Um Transportwege und Fluchtrisiko möglichst gering zu halten, wurde Abdeslam aus dem Hochsicherheitsgefängnis Fleury-Mérogis bei Paris in eine Haftanstalt nahe der nord-französischen Stadt Lille verlegt. Von dort wird der 28-Jährige für jeden einzelnen Gerichtstermin jeweils per Hubschrauber oder Autokonvoi nach Brüssel gebracht. Im Gegenzug musste Belgien garantieren, den Beschuldigten nach Abschluss des Verfahrens wieder an Frankreich auszuliefern.
Für die Ermittler ist Salah Abdeslam eine Schlüsselfigur. Nach bisherigem Kenntnisstand hatte er enge Verbindungen sowohl zu den Attentätern von Paris wie zu denen von Brüssel, die mutmaßlich eine einzige islamistische Terrorzelle bildeten. In Paris soll Abdeslam selbst als Kamikazeattentäter eingeplant gewesen sein, doch sein Sprengstoffgürtel explodierte nicht, und er "machte kehrt", wie Oberstaatsanwalt Francois Molins unter Berufung auf ein Vernehmungsprotokoll erläutert:
Vier Monate lang wurde Abdeslam in ganz Europa steckbrieflich gesucht. Erst am 18. März 2016 konnten ihn Zielfahnder in seinem Versteck im Brüsseler Problemviertel Molenbeek aufspüren und festnehmen. Seine Komplizen schlugen vier Tage später am Flughafen Zaventem und an der Metrostation Maelbeek zu: 32 Menschen starben, über 300 wurden verletzt. Chefankläger Frederick Van Leeuw geht davon aus, dass die Gruppe in Panik geriet und quasi improvisieren musste.
Prozess wegen Mordes
Die Vorfälle, die dieser Prozess aufarbeiten soll, spielten sich drei Tage vor Abdeslams Festnahme und eine Woche vor dem Brüsseler Doppelanschlag ab: am 15. März 2016. Damals hatte sich der mutmaßliche Terrorist in der Stadtgemeinde Forest bereits eine Schießerei mit den Sicherheitskräften geliefert. Bei der außer Kontrolle geratenen Hausdurchsuchung wurden vier Polizeibeamte verletzt und ein Islamist getötet. Abdeslam und ein weiterer Verdächtiger konnten entkommen. Wegen illegalen Waffenbesitzes und versuchten mehrfachen Polizistenmords in einem terroristischen Zusammenhang müssen die beiden sich nun vor Gericht verantworten. Im Falle eines Schuldspruchs drohen bis zu 40 Jahre Haft.
Das Problem aus Sicht der Anklage: Bisher schweigt Abdeslam zu allen Vorwürfen, auch wenn sein Anwalt anfangs beteuert hatte, sein Mandant werde reden und mit den Behörden kooperieren.
Die spannende Frage lautet, ob der Angeklagte - unter dem Eindruck der langen U-Haft und der Gerichtsverhandlung - sein Schweigen endlich bricht und sich womöglich zum Gesamtkomplex äußert. Sehr wahrscheinlich ist das aber nicht. Bis der eigentliche Terrorprozess wegen der Anschläge von Paris und Brüssel beginnen kann, könnten nach Schätzung von Beobachtern noch mindestens zwei Jahre vergehen.