Soviel zur Theorie. Nun zum Konkreten: Wer ist die aparte blonde Frau Mitte dreißig, die am Tisch neben Michael Naumann sitzt, mit der er sich aber nicht unterhält. Oder sie nicht mit ihm ? Es gibt ja Männer, die, so seltsam das klingt, zu eitel zum Flirten sind. Andererseits ist das Sitzen und normale Plaudern neben Prominenzen generell schwierig. Vielleicht muß sich die blonde Frau einfach ein bißchen vom Staatsminister für Kultur erholen und widmet sich deshalb ihrem Nachbarn zur Linken. Sie sitzt mit ihm an einem Tisch. Mit Naumann genau betrachtet nicht. Die Tische stehen nur so eng aneinander, daß sich auf dem Foto der täuschende Eindruck ergibt, die Blonde gehöre in irgendeiner Weise zu Michael Naumann. Sie tut es nicht. Sie kennt ihn vermutlich und er sie nicht.Schade, denn richtig fröhlich hat man den Mann genau betrachtet noch nie gesehen, höchstens auf eine sehr kultivierte Weise amüsiert.
Genau betrachtet hätte man sich das Buch über die PARIS-BAR, das ein Foto mit dem gesellig speisenden Michael Naumann enthält, ein bißchen anders gewünscht. Weniger Kunst und Theorie. Dafür mehr Konkretes und mehr Klatsch. Als Legende aber sind sich die PARIS-BAR und ihr grandioser, aus der Wiener Kunstszene stammender Wirt Michel Würthle etwas schuldig, nämlich einen luxuriösen Bild- und Prosaband. Man trifft auf liebevolle Huldigungen von Heiner Müller bis Hannelore Elsner, von Markus Lüpertz bis Götz George, Robin Hemingway und Wolfgang Joop, auf kluge Auskünfte vom Herausgeber Würthle über die Geschichte seines Restaurants, das 1950 von dem französischen Besatzungssoldaten Jean Coupy geschaffen wurde, sich in den anschließenden Jahren Ruhm als gehobenes Bohème- und Studentenlokal erwarb, 1979 durch die Vermittlung Otto Schilys in die Hände der Wienfraktion kam und frisch frisiert zur eigentlichen Karriere ansetzte. Vor allem sieht man Bilder, die vielen Bilder und Objekte, mit denen die ockerfarbenen Wände der PARIS-BAR vollgehängt sind, und Bilder der Künstler, die sie geschaffen haben. Der ganze, auffallend hochwertige Band ist ein Blick aufs Bühnenbild, kein Hörspiel aus den Kulissen. Das Privatleben von Staatsministern geht einen ja auch wirklich nichts an.