Archiv

Paris
Das ökologische Grab

Fahrverbote, grüne Architektur, Klimaneutralität im Jahr 2050. Die Stadt Paris schreibt Umweltschutz groß. Um ihre Ziele zu erreichen, will sie auf vielen Gebieten umdenken. Auch auf den Friedhöfen wird jetzt ein Anfang gemacht.

Von Bettina Kaps |
Franck Vasseur ist Beerdigungsunternehmen. Die Nachfrage nach umweltverträglichen Urnen und Särgen steigt.
Franck Vasseur ist Beerdigungsunternehmen. Die Nachfrage nach umweltverträglichen Urnen und Särgen steigt. (Deutschlandradio/Bettina Kaps)
Paris ist dichter besiedelt als alle anderen Städte in Europa. Parks und Grünflächen sind rar. Aber nicht nur die Lebenden wohnen auf engem Raum, selbst die Toten liegen dicht an dicht, sagt Franck Vasseur vom Beerdigungsinstitut "L´autre rive".
"Wenn auf dem Friedhof Père Lachaise mal ein Platz frei wird, ist er heiß umkämpft. Oft wird dann so tief gegraben, dass acht, zehn oder sogar zwölf Tote bestattet werden können, einer über dem anderen. Dafür braucht man eine Gruft, sonst stürzt das Grab ein."
Bestattung mit Karton und Naturfasern
In Paris selbst gibt es nur 14, teils ganz kleine Friedhöfe. Viel zu wenig für eine Stadt mit über zwei Millionen Menschen. Deshalb unterhält das Rathaus noch sechs große Friedhöfe in den Vororten. Einer liegt in Ivry-sur-Seine, südöstlich von Paris. Er ist groß und weitläufig - deshalb sind hier Neuerungen möglich, sagt Pénélope Komitès. Die zuständige Pariser Bürgermeisterin steht im hinteren Teil des Vorstadt-Friedhofs auf einer saftig grünen Wiese, um dort das erste Areal für ökologische Bestattungen zu begutachten.
"Im Gegensatz zu den übrigen Friedhöfen eröffnen wir hier jetzt eine Abteilung, wo alle Verstorbenen in Särgen bestattet werden, die entweder aus Karton bestehen oder aus heimischem Holz, das unbehandelt ist. Materialien also, die möglichst geringen Einfluss auf die Umwelt haben."
Hinter frisch gepflanzten Büschen sind die klassischen Gräber sichtbar: Sie sind akkurat eingefasst, mit Beton oder Stein, viele sind mit polierten Platten verschlossen. In der ökologischen Abteilung wird es natürlicher aussehen. Die Vorschriften gehen weit.
"Hier wird direkt in die Erde gegraben und nur mit Erde zugedeckt. Für die Namen dürfen Holzstelen, aber keine Steine aufgestellt werden. Der Körper des Verstorbenen darf nicht chemisch behandelt werden und soll möglichst in Kleidern aus Naturfasern, beispielsweise Leinen, bestattet werden. Wir haben in letzter Zeit Anfragen erhalten, die darauf hinweisen, dass sich die Wünsche und Praktiken vieler Menschen in diese Richtung entwickeln."
Chemiefreie Leichen mit Attest
Die Friedhofsgärtner sollen die Abgrenzung der einzelnen Gräber über die Höhe des Rasens markieren. Auf der Grabstelle müssen sie ihn kurzhalten, in den Zwischenräumen darf die Wiese höher wachsen. Die städtischen Angestellten wurden eigens dafür geschult. Auf chemische Unkrautvernichtungsmittel müssen sie ohnehin verzichten – seit vier Jahren sind diese in allen Pariser Friedhöfen verboten.
Um sicher zu stellen, dass die Regeln auch befolgt werden, müssen die Angehörigen und das jeweilige Beerdigungsinstitut einen Pflichtenkatalog unterschreiben. Außerdem darf die Friedhofsverwaltung das Sargholz kontrollieren und sogar ärztliche Atteste verlangen, wonach die Leiche keine Chemikalien enthält. Selbst Spuren einer Chemotherapie würden nicht toleriert, sagt Komitès. In den USA dürften Tote ohne jedwedes Behältnis bestattet werden. So weit kann das Pariser Rathaus nicht gehen.
"Das verbietet unser Gesetz: Sich nach seinem Tod kompostieren zu lassen, ist untersagt. Aber einige Parlamentsabgeordnete haben das Thema kürzlich angesprochen, sie wollen sich damit beschäftigen."
Dass umweltfreundliche Bestattungen en vogue sind, bestätigt auch Franck Vasseur. Etwa jeder vierte Kunde seines Beerdigungsinstituts habe entsprechende Wünsche. Kartonsärge, wie sie jetzt in Ivry erlaubt werden, durfte er bisher nur für Einäscherungen einsetzen.
"Es gibt zwei Fabrikanten, die uns solche Särge anbieten. Ich frage mich allerdings, ob sie wirklich umweltfreundlicher sind als Särge aus Holz. Zumal sie beschichtet sind, wohl für die Haltbarkeit. Unsere Kunden wünschen die Kartonsärge auch, weil sie eine schlichte und günstige Bestattung wollen. Viele wünschen, dass sich der Körper schneller in die Natur integriert als es in einem Eichensarg geschieht."
Urnen aus Sand und Lehm
In Paris wird inzwischen die Hälfte aller Toten eingeäschert. Viele Angehörige verzichten danach auf einen Friedhof: Sie nehmen die Asche mit und verstreuen sie in der Natur – das ist in Frankreich erlaubt. Franck Vasseur zeigt auf ein Regal mit ballongroßen Kugeln in Schattierungen zwischen beige und hellbraun.
"Das Meer, die Berge... Für Ascheverstreuungen verkaufen wir diese runden Bio-Urnen aus Salz, Sand oder Lehm. Die Angehörigen lassen sie von einem Boot aus und vom Ufer ins Wasser gleiten. Es dauert höchstens zwei Minuten, dann hat sich die Urne aufgelöst, die Asche verteilt sich und versinkt. Das sind ganz häufige Praktiken."
Von jetzt an können die Urnen aus Sand und Lehm auch auf dem ökologischen Grabfeld von Ivry-sur-Seine bestattet werden. Die neue Abteilung bietet zunächst nur 150 Plätze an. Aber schon nächstes Jahr soll die umweltfreundliche Bestattung auch auf anderen Pariser Vorstadt-Friedhöfen eingeführt werden. Damit sich die Praxis verbreitet, bietet das Rathaus diese Grabstätten um 20 Prozent billiger an als klassische Gräber. Obwohl ihre Pflege viel aufwendiger ist als bei einem Grab aus Stein.