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Paris
Die Rache der Kommunarden

Sacre Coeur, die Pariser Kirche im Zuckerbäckerstil, soll abgerissen werden. Das fordert zumindest eine Initiative zur Stadtverschönerung. Der Vorschlag wurde abgeschmettert, aber er erinnert an eine alte Wunde. Erst recht am Tag der Pariser Kommune, dem 18. März.

Von Suzanne Krause |
    Die Basilica minor Sacré-Cœur de Montmartre in Paris.
    Die Basilica minor Sacré-Cœur de Montmartre in Paris. (imago / PanoramiC)
    Morgens um elf Uhr findet die zweite von insgesamt vier Heiligen Messen pro Tag in der Basilika Sacre Coeur statt. Die Stimmung ist andächtig. Draußen herrscht ein anderer Ton. Anonym regte ein Bürger bei der Stadtverwaltung an, die weltberühmte Kirche abzureißen. Sacre Coeur sei "eine Warze von Versailles, die die Erinnerung an die Pariser Kommune beleidige." An jenen Volksaufstand also, der am 18. März 1871 begann, als das Proletariat sich der Kanonen der Nationalgarde auf dem Hügel von Montmartre bemächtigte, um der nach Versailles verlagerten Regierung die Stirn zu bieten. Fast zweieinhalb Monate regierten die 'Communards' in Paris. Teils blutig: unter den 70 Geiseln, die sie umbringen liessen, war der damalige Erzbischof von Paris. Dass Sacre Coeur einige Jahre später an Montmartre erbaut wurde, deuten manche bis heute als Racheakt an der Kommunenbewegung.
    "Die Kommunarden waren ziemlich radikal"
    Marc Lagana ist Historiker und Mitglied des Vereins 'Freundinnen und Freunde der Kommune von Paris 1871'. Gegründet wurde der schon 1882 – von ersten Ex-Kommunarden, die aus dem Exil heimkehren konnten. Deren sozialistische Ideale waren sehr visionär, sagt Marc Lagana.
    "In ihrem Dekret vom 4. April 1871 verlangten die Kommunarden die strikte Trennung von Kirche und Staat und die Laizisierung der Gesellschaft, vor allem im Schulbereich. Die Kommunarden wollten die Gesellschaft von sämtlichem Einfluß der Kleriker befreien. Sie waren ziemlich radikal."
    Ein Vorstoß, der 1905 mehrheitsfähig wurde: mit dem Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat in Frankreich.
    In den Bau von Sacre Coeur waren, neben vielen Spenden, auch öffentliche Mittel geflossen, seitdem das Projekt den Stempel 'gemeinnützig' erhielt. Das war im Sinne der Projektinitiatoren: Alexandre Legentil und Hubert Rohault de Fleury hatten sich im Januar 1871 mit einem Gelöbnis an die Öffentlichkeit gewandt. Père Jean Laverton, Rektor von Sacre Coeur, zum damaligen Kontext.
    "Ende 1870 steckt Frankreich in einer Wirtschaftskrise, ist das Empire am Ende, das Land hat den Krieg gegen Preußen verloren. Angesichts all des Unglücks appellieren Legentil und Rohault de Fleury, dem Herz Jesu zu huldigen und Christus volles Vertrauen zu schenken."
    Alljährliches Gedenkessen zum Auftakt des Volksaufstands
    'Bußeleistung' für eine angeblich spirituelle Verkommenheit sollte der Bau von Sacre Coeur sein – ein nationales Anliegen. Der Pariser Kardinal erkor Montmartre als Standort. Weil er schon keltische Druiden als heiliger Boden galt. Und nicht, weil dort der Aufstand der Kommune begann, versichert Père Jacques Benoist. Der Historiker widmete Sacre Coeur eine tausendseitige Doktorarbeit.
    Er sagt: "Der Kardinal und seine Mitstreiter waren keineswegs von Rachegelüsten ergriffen. Sie fühlten sich zutiefst erschüttert, dass die Kommune zum Bürgerkrieg ausgeartet war. Natürlich waren sie keine Kommunarden. Aber für Kardinal Guibert handelte es sich beim Bau von Sacre Coeur um einen patriotischen und christlichen Akt. Patriotismus geht ja alle an, ob nun politisch links oder rechts."
    Morgen veranstalten die 'Freundinnen und Freunde der Kommune von Paris 1871' ihr alljährliches Gedenkessen zum Auftakt des Volksaufstands vor nunmehr 146 Jahren. Da überlegen die Teilnehmer dann einmal mehr, wie sie die Basilika von Montmartre zum sozialistischen Begegnungszentrum umbauen.