Der politische Prozess müsse weiterhin Priorität haben. Eine Bedrohung existiere nicht nur in Syrien, betonte Mützenich, der auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender ist. Er betonte, auch Frankreich wisse, dass nur ein politischer Prozess zu einer Lösung führen werde.
Mützenich räumte ein, dass der Terror Deutschland erreicht habe - doch das sei nicht neu. Bereits mit dem 11. September sei der Terror dagewesen.
Nun stehe in der Konsequenz die geheimdienstliche Zusammenarbeit im Vordergrund. Es sei vor allem gute Polizeiarbeit notwendig, um gegen Attentäter und Hintermänner vorzugehen. Es gehe jetzt auch darum die aktue Gefahr einzudämmen und Netzwerke aufzudecken.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Abgesagt wurde es, das Fußballländerspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden, kurzfristig wegen Hinweisen auf einen möglichen Anschlag. Rolf Mützenich, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag, zuständig für die Außen- und Verteidigungspolitik, ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Mützenich.
Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Waren Sie enttäuscht über die Absage gestern?
Mützenich: Nun, es war auf jeden Fall ein Einschnitt. Ich glaube, darin bestehen gar keine Meinungsunterschiede. Aber auf der anderen Seite, glaube ich, gehen Sicherheitserwägungen auf jeden Fall vor und die Reaktionen des Publikums haben das ja auch deutlich gemacht. Ich glaube, jeder hat es verstanden.
Dobovisek: Hat der Terror die Realität auch in Deutschland erreicht?
Mützenich: Mit Sicherheit. Aber ich glaube, das ist nicht neu. Verunsicherung ist immer da, gerade auch nach solchen Ereignissen solcher Attentate und monströser Verbrechen. Von daher, glaube ich, ist es in Deutschland auf jeden Fall längst da, eigentlich spätestens seit dem 11. 9.
Dobovisek: Welche Konsequenzen müssen gezogen werden?
Mützenich: Ich glaube, die Konsequenzen stehen insbesondere der polizeilichen, geheimdienstlichen Zusammenarbeit auch mit Partnerländern im Vordergrund, und wir sehen ja insbesondere, dass jetzt eine gute Polizeiarbeit notwendig ist, um gegen Attentäter und auch Hintermänner am Ende vorzugehen. Es geht jetzt auch darum, die akute Gefahr einzudämmen, aber auf der anderen Seite auch Netzwerke aufzudecken.
Dobovisek: Da will die SPD aber - das war die Diskussion in den vergangenen Wochen - die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes beschneiden. Wie passt das zusammen?
Mützenich: Ich glaube nicht, dass sie das beschneiden will, sondern es geht ja hier auch darum: Es geht um eine politische Kontrolle und wir wollen ja letztlich auch innerhalb von rechtsstaatlichen Verfahren diese Vorgänge durchführen. Ich glaube, eine Abwägung in diesem Prozess ist immer notwendig und wird auch in Zukunft so bleiben. Ich glaube genau das. Darauf muss auch die politische Ebene achten.
Dobovisek: Kommen wir zurück nach Frankreich. Den Bündnisfall hat Frankreich gestern ausgerufen, zumindest den europäischen, erstmals in der Geschichte der Europäischen Union. Die Grundlage hierfür ist Artikel 42.7 des EU-Vertrages, und das steht drin:
Auszug EU-Vertrag: "Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats schulden die anderen Mitgliedsstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedsstaaten unberührt."
"Im Vordergrund stehen jetzt Konsultationen"
Dobovisek: Wieviel, Herr Mützenich, steht denn in Deutschlands Macht, um Frankreich zu helfen?
Mützenich: Im Vordergrund stehen jetzt Konsultationen und ich glaube, das ist ja auch der Unterschied, wie wir in den letzten Jahren erlebt haben. Ich habe eben den 11. 9. Zum Beispiel angesprochen, wo die USA unilateral vorgegangen sind. Frankreich sucht hier um Konsultationen, informiert, und ich glaube, der Austausch ist dringend notwendig, was andere Länder leisten können, um Frankreich zu entlasten. Auf der anderen Seite dienen diese Konsultationen natürlich auch, um etwas politisch auch zu bearbeiten, was dringend notwendig ist. Diese Angriffe sind ja nicht gerade von außen geführt worden, sondern von französischen oder belgischen Staatsbürgern ganz offensichtlich, und deswegen ist es ja auch schwer, alleine nur zu entscheiden, dieser Angriff kommt von außen. Das ist eine ganze Palette, wie Politik reagieren muss.
Dobovisek: Reden wir aber da nicht um den heißen Brei herum, Herr Mützenich? Frankreich fliegt Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Syrien, gemeinsam mit den USA und Russland. Wo bleibt die deutsche militärische Hilfe?
Mützenich: Nein, die Hilfe ist ja letztlich da. Es geht ja nicht nur darum. Die Bedrohung existiert ja nicht nur in Syrien, sondern auch in anderen Ländern, und hier ist Deutschland durchaus aktiv. Es gibt viele UN-Mandate, wo die Bundeswehr, aber auch Polizeiarbeit hilft. Ich glaube, das kann man nicht alleine auf Syrien fokussieren. Und natürlich weiß auch Frankreich: Am Ende zählt nicht eine politische Lösung in diesem Konflikt, sondern gerade Frankreich ist einer der Antreiber gewesen auf der Syrien-Konferenz, zusammen mit dem deutschen Außenminister Steinmeier.
Dobovisek: Wolfgang Ischinger, der frühere Spitzendiplomat und heutige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, ruft dazu auf, Deutschland solle sich klar an den Luftschlägen beteiligen, denn Dänemark, ein kleines Land mit kleiner Luftwaffe, täte dies auch.
Mützenich: Herr Ischinger geht ja immer relativ verbal weit voraus. Er hat ja damals auch die Bewaffnung und die Unterstützung gegenüber der Ukraine verlangt. Hier war Deutschland sehr zurückhaltend und ich glaube, es hat sich am Ende auch ausgezahlt. Wir setzen zurzeit sehr stark darauf, dass der Prozess mit Wien II auch gelingt, weil ich glaube, jeder weiß, auch diejenigen, die einen Stellvertreterkrieg in Syrien führen, es wird keine politische Lösung geben, und auch Russland weiß mittlerweile, sie müssen am Verhandlungstisch versuchen, alles zu erreichen, damit die Vereinten Nationen gestärkt werden können, und das ist ja eines der starken Ergebnisse auch von Wien gewesen. Die Vereinten Nationen müssen eine Rolle spielen und deswegen: Präsident Hollande versucht ja auch, erneut wieder eine Sicherheitsratsresolution zustande zu bringen, und dabei wird er von Deutschland unterstützt.
Dobovisek: Sie haben es gerade selber gesagt, Herr Mützenich. Es wird keine politische Lösung geben. Die kann es gar nicht geben. Also doch eine Militärische?
Mützenich: Nein! Ich habe gesagt, es gibt keine militärische Lösung. Wenn ich mich versprochen habe, Entschuldigung. Es geht um politische Fragen und das ist ja genau das, was die Bundesregierung in den letzten Monaten immer wieder versucht hat. Nachdem wir eine Vereinbarung über das iranische Atomabkommen erhalten haben und Saudi-Arabien auch überzeugt haben, der Iran muss an den Verhandlungstisch, hat sich sozusagen eine neue Tür auch für diplomatische Gespräche eröffnet.
"Politischen Prozess im Vordergrund halten"
Dobovisek: Der CDU-Außenpolitiker, Ihr Kollege Karl-Georg Wellmann spricht gar von deutschen Bodentruppen in Syrien. Undenkbar für Sie?
Mützenich: Ich sehe das nicht.
Dobovisek: Warum nicht?
Mützenich: Nein, weil ich glaube, das ist nicht die Lösung, sondern glaube, genau das ist auch die Strategie von ISIS, letztlich wieder ausländische Truppen im Nahen und Mittleren Osten zu begegnen und damit auch eine möglicherweise gemeinsame Front bisher sich bekämpfender Gruppen zu erreichen, und ich glaube, auf diese Strategie dürfen wir nicht eingehen. Und wir haben ja letztlich auch gesehen, was spätestens nach dem 11. 9. Durch Intervention von außen erfolgt ist. Deswegen noch mal: Ich glaube, alle, die die Bundesregierung unterstützen, sollten gerade diesen politischen Prozess im Vordergrund halten.
Dobovisek: Sie haben, Herr Mützenich, über Konsultationen mit Frankreich gesprochen, über eine Entlastung. Da ist mir aufgefallen, dass schon vor einem Monat wir darüber berichtet haben, dass der Bundeswehreinsatz in Mali erheblich ausgeweitet werden könnte, auch auf den gefährlichen Norden des Landes mit mehreren hundert Soldaten. Jetzt verkauft uns das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als Entlastung der französischen Truppen nach den Anschlägen von Paris. Ist das der Schulterschluss mit Frankreich?
Mützenich: Ich glaube, dass wir genau hinhören müssen, was Frankreich am Ende auch von Deutschland erwartet. Scheinbar sind gestern keine konkreten Forderungen geäußert worden, aber natürlich Konsultationen. Und der französische Verteidigungsminister hat ja sehr deutlich gemacht, dass Frankreich nicht an allen Stellen letztlich unterwegs sein kann, und hat dabei auch Mali erwähnt. Und ich finde es überhaupt nicht abwegig, dass Deutschland gerade auch mit Frankreich über diese Frage spricht. Damals hat die Niederlande, aber insbesondere die Vereinten Nationen Deutschland gebeten, in Mali eine stärkere Verantwortung zu übernehmen. Das werden wir jetzt mit der Bundesregierung besprechen. Wir müssen aber auch gucken, dass andere Mandate, wo die Bundeswehr bereits jetzt unterwegs ist, dadurch nicht gefährdet werden.
Dobovisek: Und wenn die Forderung aus Frankreich am Ende doch heißt, helft uns bei den Luftschlägen?
Mützenich: Nein. Ich würde jetzt nicht einfach sagen, wenn, dann, sondern jetzt kommt es insbesondere darauf an, was Frankreich ganz konkret von uns erwartet, und das sind offensichtlich Dinge, die sich in den unterschiedlichen Mandaten wiederfinden. Und noch mal: Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass auch die deutsche Bevölkerung weiß, gerade die Vereinten Nationen, unter deren Dach jetzt die Syrien-Konferenz stattfindet, aber auch ein Mandat innerhalb von Mali ist ja eigentlich der Antreiber auch, dass sie sagen, Deutschland soll hier mitwirken, und ich glaube, dann dürfen wir uns auch nicht verschließen.
Dobovisek: SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Mützenich: Vielen Dank für die Einladung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.