Das Pariser Bastille-Viertel ist an einem Samstagabend eigentlich ein schrecklicher Ort. Schrecklich voll auf jeden Fall. Touristen und feierwütige Pariser quetschen sich durch die engen Gassen. Bis in den frühen Morgen ist kaum ein Durchkommen. Normalerweise.
"Das ist super selten, dass hier so wenig los ist an einem Samstag", sagt der Barkeeper in der Rue de Charonne, in der die Attentäter am Vortag über 20 Menschen erschossen. "Keine Passanten, kaum Autos, es ist quasi niemand unterwegs."
Gespenstisch, anders kann man es nicht beschreiben, was das gelbliche Licht der Straßenlaternen in die Gassen zeichnet. Die Straßencafés sind leer, die Terrassen noch leerer. Niemand traut sich. "Ich glaube, die Leute beherzigen das, was ihnen in den Nachrichten geraten wurde, nämlich zu Hause zu bleiben, und die Anwohner hier stehen natürlich unter Schock."
"Das sind Feiglinge. Wir haben keine Angst."
Nicht nur die Anwohner. Vor dem Café Belle Equipe hat sich eine schweigende Menge versammelt, ein Meer von Blumen liegt vor dem verschlossenen Rollgitter, Kerzen werfen flackernde Schatten. Nebenan kann man die Einschusslöcher der Maschinengewehr-Kugeln erkennen, jemand hat Rosen hineingesteckt. Neben all der Trauer aber wollen die Franzosen eines zeigen: "Wir müssen einig sein, nur gemeinsam sind wir stark", sagt dieses Paar am Boulevard Voltaire, in unmittelbarer Nähe der Konzerthalle Bataclan, wo es die meisten Toten gegeben hat.
"C'est des lâches, quoi!" "Das sind Feiglinge. Wir haben keine Angst. Wir sind hier! Wir verstecken uns nicht." Auch die zwei jungen Männer am Stehtisch vor dem Café um die Ecke drücken sich klar aus: "Das hier ist unsere Stadt! Wir gehen hier nicht weg. Und wir kriegen sie alle. Stop. Wir kriegen sie." In die Wut darüber, dass ein weiteres Mal islamistische Terroristen an fast identischer Stelle so viele Menschen töten konnten, mischt sich Trotz. "Natürlich bleiben wir hier, sonst haben die gewonnen", sagt dieser Mann, er hat seine Tochter mitgebracht an den Tatort Bataclan, "Wir werden uns wehren, wir zeigen heute, dass wir stark sind, die wollen uns Angst machen, aber wir haben keine."
Sechs Stornierungen in einer Stunde
Angst aber haben Touristen. Der Hotelier an der Bastille klingt resigniert, normalerweise boomt das Geschäft in der Vorweihnachtszeit, und heute? "Ich hatte allein in der letzten Stunde sechs Stornierungen, die Leute fürchten sich und bleiben zu Hause - normalerweise sollten die Restaurants hier aus allen Nähten platzen, aber: Hier ist niemand."
Und niemandem ist nach Feiern zumute. In den wenigen Bars, die geöffnet haben, läuft gedämpfte Musik, um zehn fangen die meisten an, die Tische von draußen nach drinnen zu räumen. "Die Leute sind beunruhigt", sagt Jean, der Besitzer der Bastide-Bar, "Niemand ist unterwegs, man würde glauben, wir haben den ersten Januar."
Die Leute haben eben Angst - mischt sich ein Gast ein. Jean widerspricht, nein, sie trauern. "C'est le deuil." Was aber kommt nach der Trauer? Die Hoffnung?! Ein Barmann sagt zuversichtlich: Die Pariser lassen sich nicht unterkriegen, sie werden wieder feiern kommen. Ins Mikrofon allerdings sagt er es nicht.