Archiv

Radsportklassiker Paris-Roubaix
Über Mythos, Sinn und Unsinn

Beim Radsportklassiker Paris-Roubaix müssen sich die Fahrer über Straßen kämpfen, die man kaum als solche bezeichnen kann. Das Rennen ist geprägt von Defekten und Stürzen. Wie passt das zu den Fragen rund um die Sicherheit im Radsport, die derzeit diskutiert werden?

Von Christian von Stülpnagel |
Mit Schlamm verschmierte Radfahrer bei dem Radklassiker Paris-Roubaix
Mathieu Van Der Poel (Niederlande / Team Alpecin - Fenix) vor Sieger Sonny Colbrelli (Italien / Team Bahrain - Victorious) bei dem Radklassiker Paris - Roubaix 2021 (picture alliance / Roth)
Im vergangenen Oktober ist der Italiener Sonny Colbrelli vor lauter Matsch kaum noch zu erkennen, als er die Freude über seinen Sieg beim Radsportklassiker Paris-Roubaix herausschreit. Der wegen Corona in den Herbst verlegte Frühjahrsklassiker war noch schwieriger als sonst. Starkregen hatte die eh schon schlechten Straßen im Norden Frankreichs noch unwegsamer gemacht, das Radrennen über das berüchtigte Kopfsteinpflaster wurde zu einem epischen Sturzfestival. Ein Rennen, dass für viele Highlights des Radsportkalenders zählt.
"Es sind wirklich grausame Kopfsteinpflasterstücke. Als wenn jemand Kugelstoßen mit Steinen gemacht hätte. Es ist unglaublich dumm, aber auch unglaublich geil", sagt Mieke Kröger. Die 28-jährige war im vergangenen Jahr dabei, als auch die Frauen das erste Mal über das Kopfsteinpflaster jagen durften.
"Es ist einfach dieses Flair, der es unglaublich cool macht. Es hat auch diese Mystik. Man stellt sich einfach vor, die Leute stehen da mitten im Schlamm mit ihren Gummistiefeln und schauen Radfahrern zu, die von Stein zu Stein hüpfen. Das ist unglaublich geil. Aber unnötig ist es halt irgendwie auch, weil man könnte auch einfach auf Straßen fahren, um vom Start nach Roubaix zu kommen. Aber das wäre dann halt nicht mehr Paris-Roubaix."

Degenkolb schwärmt von "überragenden Bildern"

"Am Ende ist das Rennen perfekt, um Geschichte zu schreiben und eine Story zu erzählen", meint John Degenkolb, der das Rennen 2015 als bislang erst zweiter Deutscher gewinnen konnte. "Die Bilder sind Jahr für Jahr immer wieder überragend, die da entstehen."
Wie im vergangenen Jahr, als die Fahrer mit zentimeterdicken Dreckschichten im Gesicht über die Ziellinie in Roubaix gefahren sind. Froh, das Rennen heil überstanden zu haben. Denn auch das gehört zur Wahrheit von Paris-Roubaix: Das Rennen ist wie kaum ein anderes geprägt von Stürzen und Defekten.

Mehr zu Risiken im Sport

Im vergangenen Jahr haben 68 von 174 Fahrern das Ziel nicht erreicht. Zu einem Radsport, in dem derzeit über zu viele Stürze, die Sicherheit von Zielsprints und die Streckenführung diskutiert wird, will das nicht so recht passen. Renndirektor Thierry Gouvenou meint aber nicht, dass Paris-Roubaix ein Problem bei der Sicherheit habe:
"Die Fahrer, die hier an den Start gehen, kennen die Schwierigkeit der Strecke und gehen in gewisser Weise dieses Risiko ein. Gleichzeitig gab es in den vergangenen Jahren viele Arbeiten auf den Kopfsteinpflasterabschnitten. Wir haben Steine geglättet und Schlaglöcher ausgebessert. Ganze Abschnitte wurden neu gepflastert. Und all das verbessert die Sicherheit der Strecke. Es bleibt noch immer eine schwere Strecke, aber sie wurde in den vergangenen Jahren sehr stark verbessert."

Kein Protest der Sportler wegen Sicherheitsbedenken

Zudem versichert Gouvenou, dass es von Seiten der Fahrer bislang keinen Protest gegen die Streckenführung gegeben habe. Selbst im vergangenen Jahr, als die Bedingungen mit den matschigen Straßen sehr schwer gewesen seien, habe am Start kein Fahrer gegen den Start des Rennens protestiert.
Und auch John Degenkolb sieht das Rennen in keinem Wiederspruch zu den Sicherheitsdebatten: "Es gehört halt zum Radsport mit dazu, dass man Paris-Roubaix im Programm hat. Genau wie es dazu gehört, dass im Skisport die Streif heruntergefahren wird."
Und auch er betont, dass sich die Sicherheit der Strecke in den vergangenen Jahren stark verbessert habe. Unter anderem, indem Zuschauer an den engsten und schwierigsten Kopfsteinpflastersektoren verboten seien: "Wenn man die Bilder von vor 15, 20 Jahren sieht, wurde darauf nicht geachtet, und da gab es noch ganz andere Vorfälle wie jetzt."

Gewolltes Drama auf dem Kopfsteinpflaster

Dennoch gibt Renndirektor Gouvenou zu, der selbst mehrfach den Klassiker gefahren ist und bei seiner letzten Teilnahme 2002 mit Platz 7 sein bestes Resultat erzielte: "Bevor man die anderen Fahrer besiegt, muss man vor allem den Parcous bezwingen. Und natürlich spielt auch der Faktor Glück eine Rolle. Man kann sehr stark sein, aber nie in Roubaix ankommen. Oder aber etwas schwächer sein, und trotzdem vorn reinfahren. Man muss Defekte verhindern und Stürzen aus dem Weg gehen. Und das alles macht dieses Rennen aus."
Stürzend und schiebend passiert eine Gruppe von Fahrern einen schlammigen Kopfsteinpflaster-Feldweg beim Frühjahrs-Klassiker Paris - Roubaix.
Schon 1998 führte der Frühjahrsklassiker Paris-Roubaix über 27 strapaziösen Kopfsteinpflaster-Abschnitte und wurde "Hölle des Nordens" genannt (picture-alliance / dpa)
Das Drama auf dem Kopfsteinpflaster, das Risiko all das ist also durchaus gewollt. Und es trägt dazu bei, den Mythos Paris-Roubaix zu erhalten.
"Es ist irgendwie grausam und lustig zugleich." So ein ambivalentes Verhältnis wie Mieke Kröger haben viele Fahrer und Fahrerinnen zu Paris-Roubaix. So soll Bernard Hinault nach seinem Sieg im Jahr 1981 gesagt haben: „Paris Roubaix est une connerie“ – das Rennen sein großer Unsinn. Für John Degenkolb ist Paris-Roubaix hingegen das Lieblingsrennen.