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"Paris war sozusagen das Eldorado für Studenten"

Studierende im Mittelalter gingen gern zu berühmten Lehrern oder bestimmten Hochschulen im Ausland, sagt Ulrich Nonn. Der emeritierte Historikprofessor der Universität Koblenz-Landau ergänzt, dass sie dann entweder in Studentenhäusern oder auch gern mal beim Professor selbst wohnten.

Kate Maleike im Gespräch mit Ulrich Nonn |
    Kate Maleike: Wie man sich das Studium im Mittelalter vorstellen muss, dazu haben wir gestern ja schon einige Informationen hier an dieser Stelle bekommen von Professor Ulrich Nonn. Der emeritierte Historikprofessor hat jüngst ein Buch veröffentlicht, das sich um Bildung und Wissenschaft im Mittelalter dreht.

    Herr Nonn, wir haben gestern ja darüber gesprochen, dass Studium ein Privileg war, vor allem für Kleriker und Gutbetuchte.Was in Ihrem Buch auch deutlich wird, ist, dass die Studierenden damals sehr mobil waren, denn sie sind ihren Gelehrten mehr oder weniger immer hinterher gereist. Das heißt, es gab eine richtig große Wanderbewegung.

    Ulrich Nonn: Ja, erstaunlich große Mobilität, wenn man sich klarmacht, wie aufwändig, wie schwierig Reisen in der Zeit war. In der ersten Zeit der Universitäten musste man, wenn man aus Deutschland stammte und studieren wollte, musste man nach Paris, Bologna oder Cambridge oder Oxford gehen, weil es gab in Deutschland noch keine Universitäten. Die erste Universität in Deutschland – Deutschland jetzt im Sinne des mittelalterlichen Reiches – war ja Prag, würden wir heute nicht Deutschland sagen, 1347, und dann setzten nach und nach eine Reihe von Universitätsgründungen auch im Reich ein.
    Köln ist zum Beispiel auch eine der alten, 1388 gegründet. Es war aber trotzdem so, dass oft Studierende, wenn wir deren Lebensweg und deren räumliche Herkunft verfolgen können, nicht in der ihrem Heimatort benachbartesten Stadt studierten, sondern in eine andere gingen, denn, wie Sie eben schon sagten: Man ging am liebsten zu einem berühmten Lehrer oder zu einer Hochschule. Paris war eben sozusagen das Eldorado für Studenten der Zeit.

    Maleike: Ist ja für viele Studenten heute auch noch so, man geht ja gern nach Frankreich oder auch Spanien, sind ja beliebte Länder. Und wie war das denn dann mit dem Wohnen? Wo sind die Studenten damals untergekommen?

    Nonn: Das war auch damals schon, als die Studentenzahlen zunahmen, ein Problem. Es gab die Möglichkeit wie heute, eine Bude zu mieten in einem Bürgerhaus, oder auch im Haushalt eines Professors konnte man auch aufgenommen werden, und bald gab es dann aber in den Städten richtige Studentenhäuser, die in der deutschen Sprache dann als Bursen bezeichnet wurden. Das ist ganz interessant: Das Wort Burse, von dem letztlich unser Bursche, Burschenherrlichkeit herkommt, war zunächst eigentlich der Begriff für die regelmäßig gezahlten Unkosten dort, wo man wohnte, und später wurden aber auch diese Häuser Bursen genannt. Und für die privilegierteren und vornehmeren Studenten gab es die sogenannten Kollegia, das ist eigentlich das College, in dem man nicht nur wohnte, sondern in dem auch Vorlesungen und Lehrveranstaltungen stattfinden.

    Maleike: Man wohnte aber durchaus auch mal beim Professor, stimmt das?

    Nonn: Ja, im Professorenhaushalt. Das war möglich.

    Maleike: Muss man sich heute mal vorstellen! Wäre vielleicht mal wieder ein Modell. Was wissen Sie denn oder was haben Sie gefunden bei Ihren Recherchen über, sagen wir mal, Ressourcenprobleme oder drängende Probleme an den Hochschulen? Was hat die Menschen da umgetrieben?

    Nonn: Zum einen gab es, wenn es in einer sehr angesehenen Universität war und dort auch noch besonders angesehene Lehrer gab, gab es auch schon Massenprobleme; es gab immer, ähnlich wie heute, die Unterbringungsprobleme; es gab auch Probleme: Wenn viele Studenten in eine Stadt kamen, die dann eben dort nicht nur studierten, sondern auch feierten und nachts durch die Straßen zogen und auch einen über den Durst tranken, konnten die insbesondere für die Mädchen in der Stadt eine gewisse Gefahr darstellen. Das wird oft thematisiert. Zum Beispiel gab es ein Verbot, dass Studenten in der Stadt keine Waffen tragen dürften.

    Maleike: Denn, die waren damals, die jungen Männer waren bewaffnet an der Hochschule, und es kam häufig zu Auseinandersetzungen.

    Nonn: Ja, es hat blutige Auseinandersetzungen gegeben, wo dann die Obrigkeit einschreiten musste.

    Maleike: Ich würde sagen, an der Stelle hören wir jetzt mal in die Umfrage von den Studierenden der Universität Köln. Die haben sich mal Gedanken darüber gemacht, wie denn der studentische Studieralltag aussah. Und hier kommen Fragen dazu:

    "Ja, wie das ablief – gab es da Professoren, die das selber gelernt haben, zu lehren, oder haben das einfach Leute gemacht, die ein bisschen Ahnung hatten und Anerkennung?"

    "Ja, würde mich interessieren, ob es auch schon so einen universitären Austausch gab halt, also ob es so was wie Programme gab, in denen Studenten quasi städteübergreifend die Universität gewechselt hatten und so. Und mich würde interessieren, wie viel Semesterferien die Leute gehabt haben."

    Maleike: Fangen wir mit der letzten Frage an, Herr Nonn: Wie viel Semesterferien hatte man im Mittelalter, wenn man studierte?

    Nonn: Im Unterschied zu heute gab es nicht Semester, sondern das Studienjahr, das in der Regel am 1. Oktober anfing. Im Sommer gab es dann – unterschiedlich die Länge – eine gewisse Ferienzeit. Man muss aber betonen, dass es viele freie Tage gab: alle Sonntage, alle Feiertage, zusätzlich oft dann auch Festtage der Patrone des jeweiligen Kollegiums oder der Universität oder des Hauses, auf dem man wohnte.

    Maleike: Wer hat eigentlich damals gelehrt, also wer war Professor im Mittelalter?

    Nonn: Es gibt in dem Sinne keinen so abgeschlossenen Professorenstand, wie wir das kennen. Die jüngsten Lehrenden waren die, die den Magister Artium gemacht hatten, dann in der höheren Fakultät studierten, aber schon jüngere Studierende in der Artes Fakultät unterrichteten. Ansonsten waren es zunächst sehr viele Kleriker, die insbesondere natürlich im Studienfach Theologie unterrichteten, und ansonsten weitergebildete Leute, die ein Studium erfolgreich abgeschlossen hatten, die durch ihre Schriften berühmt geworden waren und zu denen man deshalb gerne auch in Vorlesungen ging. Eine in dem Sinne Hochschuldidaktik hat es nicht gegeben.

    Maleike: Was ist eigentlich – aus den Erfahrungen und aus den Erkenntnissen, die Sie jetzt nach diesem Buch gemacht haben –, was ist der größte Unterschied für Sie zwischen dem Studium im Mittelalter und dem Studium heute?

    Nonn: Zum einen natürlich, dass es – auch noch im Spätmittelalter, wo schon mehr Söhne aus bürgerlichen Familien studierten – immer noch ein großes Privileg war, zu studieren, zum anderen, dass das Studium insgesamt sicherlich freier war, nicht so reglementiert wie insbesondere in den jüngst eingeführten Bachelor- und Masterstudiengängen.

    Maleike: "Mönche, Schreiber und Gelehrte – Bildung und Wissenschaft im Mittelalter", so heißt das Buch von Ulrich Nonn, dem emeritierten Historikprofessor der Universität Koblenz-Landau. Erschienen ist es bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft zum Preis von 29,90 Euro, das dürfen wir auch noch sagen.

    Danke schön, Herr Nonn, für Ihre Geschichten aus dem Mittelalter und den Besuch hier bei uns!

    Nonn: Ich bedanke mich für die Chance, mich mit Ihnen unterhalten zu können!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.