Georg Ehring: Frau Hendricks, in den nächsten zwei Wochen ist Paris Schauplatz des Weltklimagipfels. Er wird mit riesigen Erwartungen seit Jahren befrachtet und findet jetzt unter völlig veränderten Vorzeichen statt, nach den Terroranschlägen von Paris. Ist es eigentlich richtig, aus Ihrer Sicht, den Klimagipfel jetzt so stattfinden zu lassen?
Barbara Hendricks: Ja, ich bin, also unseren französischen Gastgebern geradezu dankbar dafür, dass sie den Gipfel eben nicht ausfallen lassen. Zum Einen haben wir die Chance, als Weltgemeinschaft wirklich unter Beweis zu stellen, dass wir – ja – dem Klimawandel begegnen wollen und damit die wichtigen Schritte gehen, damit unsere Erde überhaupt lebenswert bleibt. Und zum Anderen haben wir die große Chance, auch alle unseren französischen Freundinnen und Freunden, unsere Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Und das finde ich beides – ja – ist jetzt nötig.
Ehring: Aber der Gipfel wird ja ganz anders, so von der Art sein, mit gewaltigen Sicherheitsvorkehrungen, auch ohne Demonstrationen. Das Konzept teilen Sie?
Hendricks: Ja, die Sicherheitsvorkehrungen sind natürlich immer groß. Und es ist auch absolut üblich, in einem solchen abgeschirmten Gelände – meistens auch ein militärisches Gelände – zu tagen. Das war auch in Lima so, das war ein militärisches Gelände, und das ist bei Le Bourget genauso. Das ist ein Luftwaffenstützpunkt, da finden ja sonst auch so Flugschauen und sowas statt. Und das ist schon immer so gewesen, dass alle Teilnehmer natürlich bestimmte Zugangsberechtigungen haben und gleichwohl dann auch Sicherheitsüberprüfungen unterzogen werden – so, wie man das auch von Flughäfen kennt, mit Durchleuchtungen und so weiter.
Was anders ist, ist dass eben auf den Straßen nichts stattfinden wird. Da hat jetzt die französische Regierung alle denkbaren Aktionen und Demonstrationen verboten. Das kann ich unter Sicherheitsgesichtspunkten verstehen. Aber man muss trotzdem wissen, es ist ja hier oder da der Vorwurf erhoben worden, jetzt sei die Zivilgesellschaft ausgeschaltet. Das teile ich so nicht. Auf dem Gelände von Le Bourget werden etwa 40.000 Menschen anwesend sein. Davon sind rund 10.000 im Auftrag ihrer Regierung unterwegs und die anderen 30.000 sind eben zum Beispiel Journalisten und Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, NGOs. Die große breite Palette, die natürlich alle eine Akkreditierung haben, aber jedenfalls 30.000 Menschen aus der Zivilgesellschaft sind unmittelbar dabei.
"Erderwärmung darf keinesfalls über zwei Grad hinausgehen"
Ehring: Glauben Sie denn, dass die Anschläge und die insgesamt sehr angespannte Weltlage auch Folgen haben, für das Ergebnis dieses Gipfels?
Hendricks: Ich hoffe, dass es jedenfalls dazu beiträgt, dass wir uns unserer Aufgabe noch bewusster werden, alle zusammen sozusagen, dass wir uns konzentrieren auf ein gutes Ergebnis. Denn natürlich muss der Klimawandel nicht zuletzt deswegen auch bekämpft werden, weil er ja, wenn er ungebremst weitergehen würde, dazu führen würde, dass die Lebensgrundlagen von hunderten von Millionen Menschen zerstört würden. Und das wäre natürlich auch eine Bedrohung jeder Weltlage auch darüber hinaus, unabhängig von Umweltgesichtspunkten, natürlich auch unter Sicherheitsgesichtspunkten. Und darum glaube ich, dass also die Atmosphäre, die natürlich anders sein wird als sonst – ich gehe von einer wirklich reinen Arbeitsatmosphäre aus –, dass die uns auch doch noch in eine noch mal ernsthaftere Konzentration bringt.
Ehring: Was muss den herauskommen in Paris, damit man hinterher sagen kann: Die Sache hat sich gelohnt?
Hendricks: Es gibt im Wesentlichen drei Ergebnisse, die wir erzielen müssen. Das Eine ist, dass wir uns verpflichtend wirklich alle darauf einstellen, dass das 2-Grad-Ziel wirklich eingehalten werden muss, also dass keinesfalls die Erderwärmung am Ende dieses Jahrhunderts über zwei Grad hinausgehen darf. Dazu gibt es bisher zwar eine Art Übereinkunft, aber noch keine völkerrechtliche Verpflichtung. Das ist das Erste.
Das Zweite ist, dass wir uns gegenseitig versprechen, dass wir regelmäßig überprüfen. Wir sagen, ein Überprüfungsmechanismus alle fünf Jahre, ob denn das, was die Länder als ihre Beiträge der Weltgemeinschaft, der UNO gemeldet haben, auch wirklich umgesetzt werden und ob sie tatsächlich zeitnah und ausreichend umgesetzt werden.
Das Dritte ist, dass wir einen verpflichtenden Mechanismus brauchen, also ein Mess- und Regelmechanismus – vereinfacht gesagt –, damit eine Tonne CO2 überall auf der Welt auch eine Tonne CO2 ist. Auch das muss verpflichtend sein. Und um diese drei Punkte durchsetzen zu können, brauchen wir als Voraussetzung die vertrauensbildende Maßnahme, dass wir tatsächlich die 100 Milliarden Dollar, die ab 2020 zugesagt worden sind, den Ländern des Südens, von den Ländern des Nordens und denjenigen, die es sich leisten können – also nicht nur die Industrieländer, die aber an erster Stelle –, dass diese 100 Milliarden Dollar für die Länder des Südens zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Anpassung an den schon stattfindenden Klimawandel auch tatsächlich zur Verfügung stehen.
Erstens, ist es sowieso wichtig, dass man seine Zusagen einhält und zweitens können wir nicht von allen Ländern der Welt verlangen, dass sie tatsächlich die Anstrengungen unternehmen, auf die sie sich jetzt verpflichtet haben, wenn diese Zusage nicht eingehalten wird. Also deswegen ist das die Voraussetzung dafür, damit die anderen Ergebnisse überhaupt auch kommen können.
"Wir stehen für die zehn Prozent gerade"
Ehring: Fahren Sie denn mit weiteren Zusagen in dieser Hinsicht – also finanziellen Zusagen – nach Paris?
Hendricks: Wir haben, denke ich, als Bundesregierung wirklich schon gute Zusagen gemacht. Also die Bundeskanzlerin hat ja schon im Frühling diesen Jahres zugesagt, dass wir die öffentlichen Mittel aus dem deutschen Bundeshaushalt für Maßnahmen der Bekämpfung des Klimawandels und der Anpassung an den Klimawandel verdoppeln wollen bis 2020, sodass ab dem Jahr 2020 vier Milliarden aus öffentlichen Mitteln aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung stehen.
Und wir stehen bereit, sozusagen, weitere sechs Milliarden aus privaten oder halböffentlichen Mitteln auch zu mobilisieren. Dazu gehören zum Beispiel auch KfW-Mittel, aber auch andere Investitionsmittel, die natürlich unter klimagerechten Gesichtspunkten investiert werden müssen. Von Anfang an ist ja auch klar gewesen, dass die 100 Milliarden Dollar aus öffentlichen und privaten Mitteln bestehen sollen; auch andere internationale Finanzierungsinstitutionen sind dabei, wie zum Beispiel die Weltbank. Und deswegen können wir dafür stehen, dass wir rund zehn Prozent der geforderten 100 Milliarden aus deutscher Sicht hinbekommen.
Ich finde, das ist ein faires Angebot. Zum einen, weil wir als doch ein bedeutsamer Industriestaat uns das auch wirtschaftlich durchaus leisten können. Aber zum anderen, weil wir eben ein bedeutsamer Industriestaat sind, haben wir natürlich auch verhältnismäßig hohe CO2-Ausstöße. Das entspricht unserer Wirtschaftsweise, und wir haben das natürlich, so wie die anderen Industriestaaten auch, seit mehr als 150 Jahren so veranstaltet. Deswegen haben wir auch eine Verantwortung und deswegen stehen wir für die zehn Prozent gerade.
"Weltgemeinschaft wird auf Einhaltung der Zusagen achten"
Ehring: Die wichtigste Frage beim Klimaschutz, ist ja die Minderung des CO2-Ausstoßes. Und da setzt die Weltgemeinschaft jetzt auf freiwillige Selbstverpflichtungen, und mit freiwilligen Selbstverpflichtungen haben wir ja nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Wie stehen Sie zu diesem Punkt in einem Klimaabkommen?
Hendricks: Ja, der entscheidende Punkt ist ja der: Wir haben jetzt die Beteiligung aller Länder. Also, aktuell haben fast 180 Länder ihre sogenannten INDCs, also das, was sie zu tun gedenken, die Beiträge, die sie leisten wollen zur Bekämpfung des Klimawandels, der UNO und damit der Weltgemeinschaft gemeldet. Das sind in der Tat freiwillige Beiträge, das haben Sie richtig gesagt. Aber das unterscheidet sich insofern vom Kyoto-Protokoll, als damals ausschließlich die Industrieländer überhaupt adressiert waren. Die haben damals völkerrechtlich verbindlich unterschrieben. Aber da waren zum Beispiel die Vereinigten Staaten gar nicht dabei, die haben schon gleich gar nicht unterschrieben und Kanada, zum Beispiel, ist später ausgestiegen.
Und insofern hat das auch wiederum nicht mehr Bindungswirkung gehabt, weil ein solcher völkerrechtlich bindender Vertrag kann trotzdem aufgekündigt werden und es gibt dann auch keine Sanktionsmöglichkeiten. Selbstverständlich haben wir nicht so irgendwas wie eine Klimapolizei oder einen internationalen Klimagerichtshof, also das ist auch gar nicht anzustreben. Und deswegen ist es vernünftig, dass es jetzt gelungen ist, alle Länder davon zu überzeugen, nach ihren jeweiligen Möglichkeiten die Beiträge der Weltgemeinschaft zu melden.
Und das bedeutet natürlich, dass damit auch, ich sag mal, öffentlich bekannt wird, wenn man denn das dann doch nicht tut. Und deswegen ist dieses, ich nenne das immer mal so einen Internationalen Peer Review, das ist nicht schlecht. Denn dann wird die Weltgemeinschaft darauf achten, ob denn die Zusagen auch wirklich eingehalten sind.
"Wir müssen im Bereich der Elektromobilität vorankommen"
Ehring: Deutschland sieht sich als Vorreiter beim Klimaschutz. Sie haben 40 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2020 zugesagt. Aber da rechnen Experten damit, dass das beim derzeitigen Stand nicht funktioniert. Werden Sie die Zusage der 40 Prozent in Paris bekräftigen? Und wie sorgen Sie dafür, dass es zu Hause klappt?
Hendricks: Ja, natürlich würde ich diese Zusage bekräftigen. Denn wir haben den Beschluss in Deutschland ja schon im Jahr 2007 gefällt, dass wir das machen wollen. Und wir hatten in der Tat einen Nachholprozess – ich habe also das gleich aufgesetzt, als ich die Verantwortung übernommen habe.
Und wir haben ja vor einem Jahr, dann im Kabinett den Klima-Aktionsplan beschlossen, der deutlich gemacht hat, wie wir denn die sonst absehbare Lücke, die wir nicht erreichen würden bis 2020, also tatsächlich minus 40 Prozent, wie wir diese Lücke schließen. Und zwar mit einem Maßnahmenbündel in allen möglichen Bereichen: Von Energiewirtschaft bis Verkehr und Landwirtschaft und Wohnungsbestand und Abfallwirtschaft und was man sich da denken kann.
Ja, wir müssen da noch mehr tun, aus heutiger Sicht würde es noch nicht ausreichen. Zum Beispiel gerade im Verkehrsbereich brauchen wir dringend noch mehr Anstrengungen und natürlich auch in anderen Bereichen. Aber unser Ziel ist bestätigt. Und wir haben das gerade vor wenigen Tagen, da habe ich das im Kabinett den ersten Bericht, wie es denn vorangegangen ist, vorgelegt und wir haben das im Kabinett beschlossen. Und es ist uns klar, dass wir hier oder da noch nachschärfen müssen, ja.
Ehring: Wo werden Sie noch nachschärfen?
Hendricks: Wir müssen zum Beispiel vorankommen im Bereich der Elektromobilität. Wir haben eben im Verkehrsbereich noch nicht genügend erreicht. Im schienengebundenen Verkehr geschieht schon viel, aber im Individualverkehr passiert noch zu wenig, auch natürlich im LKW-Bereich ist noch nicht genug geschehen. Vieles kann man auch noch machen, zum Beispiel in den Städten etwa bei Bussen und Ähnlichem. Also da ist noch eine Menge Nachholbedarf, den wir aber auch in den nächsten Jahren dringlich werden angehen müssen.
CO2-Ausstoß: "Hersteller von Automobilen bleiben in der Pflicht"
Ehring: Viele Autos stoßen mehr CO2 aus, als ihre Hersteller angegeben haben. Durchkreuzt das auch Ihre Klimapläne?
Hendricks: Nun, wir messen ja nicht die einzelnen Autos, sondern es sind auch vor dem Hintergrund europäischen Rechts die Hersteller von Automobilen verpflichtet, für ihre gesamte Flotte einen bestimmten CO2-Ausstoß zu garantieren. Und diese Pflicht besteht weiterhin, und das ist bis zum Jahr 2020 definiert und wird danach noch mal nachgeschärft werden. Also das einzelne Auto wird nicht gemessen. Die Hersteller von Automobilen bleiben in der Pflicht.
Ehring: Im Deutschlandfunk hören Sie das Interview der Woche, mit Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Frau Hendricks, die Kohleverstromung ist die größte Einzelbaustelle beim Klimaschutz. Wie stellen Sie sich den Ausstieg aus der Kohle vor?
Hendricks: Ich denke, dass wir gemeinsam einen längerfristigen Prozess aufsetzen müssen von einige Jahrzehnten, aber natürlich rechtzeitig fertig werden müssen und auch rechtzeitig voranschreiten. Denn wir haben ja beschlossen, auch schon lange, dass wir bis zum Jahr 2050 80 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen wollen. Und wir haben uns auch verpflichtet, auch als Europa, aber auch als Deutschland, dass wir bis zum Jahr 2050 CO2-Reduzierung im Verhältnis zu 1990 von 80 bis 95 Prozent haben wollen.
Und die G7 hat beschlossen: Wir wollen eine Dekarbonisierung bis zum Ende des Jahrhunderts erreichen. Das heißt also, wir müssen da in der Tat auch weitgehende Dekarbonisierung ab der Mitte bis spätestens zu 2070 in Deutschland erreicht haben, sonst wäre das nicht erreichbar. Um diese Ziele zu erreichen, müssen wir einen klaren Pfad aufmachen, der schrittweise deutlich macht, wie wir aus der Verstromung von Kohle aussteigen können.
Wenn wir sagen: 80 Prozent Erneuerbare im Jahr 2050, muss man davon ausgehen, dass die anderen 20 Prozentpunkte dann nach Lage der Dinge eher Gas als Kohle sind. Und auf dem Weg dahin müssen wir klare Schritte machen. Das brauchen wir im Sinne von Planungssicherheit auch für die Unternehmen und ihre Beschäftigten. Denn das muss ja ein Prozess sein, bei dem alle mitgenommen werden. Und das brauchen wir eben auch, um die Schritte, die wir schon längst beschlossen haben, auch tatsächlich zu erreichen. Deswegen bin ich ganz zuversichtlich, dass es uns gelingt, gemeinsam einen solchen Pfad zu definieren.
Letztes Kohlekraftwerk soll vor 2050 vom Netz gehen
Ehring: 2022 soll das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen. Wann geht das letzte Kohlekraftwerk vom Netz?
Hendricks: Da wage ich keine Voraussage. Aber ich sage mal, jedenfalls vor 2050, sonst könnte das nicht gelingen.
Ehring: Wichtig für den Klimaschutz ist auch die Gebäudesanierung. Da sind Sie in letzter Zeit wenig voran gekommen. Die Sanierungsraten fallen weit hinter die erforderlichen Raten zurück. Wie wollen Sie da nachsteuern?
Hendricks: Ich finde einen ganz entscheidenden Punkt, dass wir mittlerweile auch die Förderung umgestellt haben. Es gibt jetzt auch Zuschussförderung für Immobilienbesitzer. Das richtet sich insbesondere natürlich an die privaten Immobilienbesitzer. Aber wir haben ja auch eine Eigentumsquote in der Bundesrepublik Deutschland von fast 50 Prozent. Das sind dann Menschen, die gewöhnlich selber in den Häusern leben, die ihnen gehören. Und da brauchen wir auf jeden Fall Anreize.
Und, wie gesagt, da haben wir jetzt Zuschussförderung. Das ist besonders interessant zum Beispiel für ältere Hauseigentümer. Und meistens werden ja die Häuser saniert, in denen die Menschen schon etwa 30 Jahre leben. Das heißt, das sind dann meistens Menschen, die sich so dem Rentenalter nähern auch. Und da ist es interessant, eben auch Zuschüsse zu bekommen, weil zum Beispiel im Rentenalter steuerliche Förderungen für die meisten Menschen nicht interessant sind – für die Mehrzahl der Menschen nicht. Und man kann eben auch Teilbereiche machen.
Manche Leute schrecken ja davor zurück und sagen: "Oh, diese riesige Baustelle und dann sitze ich da monatelang in der Baustelle und dazu haben ich keine Lust" und so weiter. Also ich bitte eigentlich alle Eigentümer immer darum zu sagen: Was nützt denn am ehesten? Am ehesten nützt zum Beispiel zu überprüfen: Wie ist denn meine Heizungsanlage? Ist die noch Stand der Technik? Verbraucht die nicht viel zu viel? Ist die nicht einfach längst mal zu überholen? Das ist eine Maßnahme, die kann man innerhalb von zwei Tagen erledigen: Alter Brenner raus – neuer Brenner rein. Ist auch keine große Umbaumaßnahme. Ist auch förderfähig.
Als Nächstes kommt in Frage: Was ist mit den Fenstern und den Türen? Was ist mit der obersten Geschossdecke? Was ist mit dem Dach? Ist das Dach gedämmt? Das alle muss man sich je einzeln angucken, und danach erst würde ich überlegen, ob sozusagen der Rest der Gebäudehülle auch noch in Frage kommt. Es ist immer noch besser, nur ein Teil zu machen, statt vor der großen Aufgabe zurückzuschrecken und gar nichts zu tun.
Ehring: Die große Aufgabe ist ja für Sie dann, jetzt die Sanierungsraten auch hinzukriegen. Meinen Sie, dass Sie dafür genug Geld in die Hand genommen haben?
Hendricks: Also wir haben wirklich eine Menge Geld in die Hand genommen, die natürlich überwiegend als Zinsverbilligungen zur Verfügung stehen. Das ist allerdings interessant für alle Investoren, also für alle gewerblichen Investoren – eben nicht in Eigenheimen sozusagen, das ist die andere Seite. Und da sind Zinsverbilligungen ja weiterhin interessant. Jemand, der Wohnungen vermietet, der kann auch genau kalkulieren, was ein halbes Prozentpunkt Zinsverbilligung für ihn ausmacht.
Für Eigentümer ist ein halbes Prozent Zinsverbilligung eigentlich nicht interessant, deswegen dort auch die Zuschussförderung. Ja, wir hatten als dritte Säule ja auch ins Auge gefasst, noch eine zusätzliche steuerliche Förderung vorzusehen. Da haben wir uns bisher nicht durchsetzen können. Ich will eigentlich allen Eigentümern sagen: Warten Sie nicht darauf, sondern nehmen Sie die Möglichkeiten, die es jetzt gibt, bevor Sie auf etwas warten, von dem ich nicht sicher bin, dass es denn irgendwann kommt oder nicht.
"Der Bund ist wieder richtig in die soziale Wohnraumförderung eingestiegen"
Ehring: Frau Hendricks, Sie sind auch zuständig dafür, dass das Wohnen bezahlbar bleibt. Und wir haben einen großen Wohnungsbedarf, auch deswegen, weil jetzt viele Flüchtlinge auf den Wohnungsmarkt kommen. Wie wollen Sie diese Aufgabe bewältigen?
Hendricks: Also, wir haben zunächst mal tatsächlich einen großen Bedarf. Wir sind noch im Frühling diesen Jahres davon ausgegangen – ohne die Berücksichtigung der Flüchtlingszahlen –, dass wir einen jährlichen Neubaubedarf von 272.000 Wohneinheiten haben. Das umfasst aber alle Wohneinheiten, also auch zum Beispiel die privaten Investitionen in Ein- oder Zweifamilienhäuser oder in Eigentumswohnungen. Wir gehen jetzt davon aus, dass wir unter Berücksichtigung der zu erwartenden Zahl von anerkannten Flüchtlingen einen Neubaubedarf in der Größenordnung von mindestens 350.000 Wohneinheiten im Jahr haben.
Aber nochmal, sowieso wären es auch schon über 270.000 gewesen. Manchmal denken die Menschen, wir würden jetzt 350.000 Wohnungen für Flüchtlinge bauen. Das ist Unsinn. Also ein Erneuerungsbedarf in Deutschland von über 270.000 gibt es und jetzt haben wir einen höheren Bedarf. Da haben wir zum einen ja schon durchsetzen können, dass ab dem nächsten Jahr die Förderung des Bundes für Zwecke des sozialen Wohnungsbaus an die Länder praktisch verdoppelt wird.
Es stehen also jetzt in den nächsten vier Jahren zwei Milliarden zusätzlich zur Verfügung. Damit ist der Bund im Prinzip wieder in die soziale Wohnraumförderung richtig eingestiegen, die im Jahr 2006 durch die Föderalismusreformkommission den Ländern überlassen worden war. Und der Bund hat sogenannte Kompensationszahlungen in der Größenordnung von 500 Millionen pro Jahr geleistet an die Länder, die die aber nicht unbedingt zweckgebunden ausgegeben haben. Die jetzt zusätzlichen 500 Millionen Euro pro Jahr, die werden sie jetzt abrechnen bei uns und wir werden dem Bundestag auch berichten, dass sie und wie sie zweckgebunden ausgegeben werden. Das ist schonmal eine Hilfe.
Aber daneben und darüber hinaus brauchen wir auch eine steuerliche Förderung im Sinne von Abschreibungsverbesserungen. Und ich bin froh, dass gerade in dieser Woche mein Kollege Schäuble meinem Vorschlag gefolgt ist und sich auch darauf einlässt, sozusagen Verbesserungen der Abschreibungsbedingungen für den privat finanzierten Mietwohnungsbau vorzusehen, ganz allgemein für den privat finanzierten Mietwohnungsbau, nicht speziell für Flüchtlinge, natürlich auch, aber nicht nur und zunächst befristet auf drei Jahre, hat Kollege Schäuble das angelegt.
Und dazu brauchen wir natürlich auch die Zustimmung der Länder. Denn das bedeutet einen Steuereinnahmeverlust aufseiten des Bundes, der Länder und in geringerem Umfang auch der Kommunen. Aber das ist natürlich auch ein Impuls für die Wohnungswirtschaft und dass es an anderer Stelle sozusagen, zum Beispiel über Mehrwertsteuer, auch zu höheren Einnahmen durchaus kommen wird. Ich bin sehr froh, dass ich das mit dem Kollegen Schäuble habe vereinbaren können. Das bringt uns einen großen Schritt voran.
Ehring: Im Deutschlandfunk hören Sie das Interview der Woche, mit Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Frau Hendricks, ich möchte noch auf ein Umweltthema zu sprechen kommen, den Atomausstieg. In den nächsten Jahren werden die Atomkraftwerke vom Netz gehen, übrig bleibt sehr viel radioaktiver Rest, und die Konzerne wollen die Haftung jetzt zum Teil in eine Stiftung auslagen. Was halten Sie von der Idee?
Hendricks: Nun, die Energieversorgungsunternehmer, die eben auch Atomkraftwerke betrieben haben oder noch betreiben, haben nach dem Atomgesetz völlig eindeutig die Verantwortung, auch die finanzielle Verantwortung für die Beseitigung des Atommülls und für die sichere Endlagerung. Wie wir wissen, haben die vier Elektrizitätsversorgungsunternehmen in einer Größenordnung von 38 Milliarden Euro Rückstellungen gebildet zu diesem Zweck. Und jetzt geht es darum zu sagen: Wie sichern wir das – diese Rückstellungen – genau für diesen Zweck, sodass sie dann zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden.
Dazu haben wir eine kleine Kommission jetzt gerade berufen, die einen Vorschlag im Februar, also in wenigen Monaten, erarbeiten soll, wie wir damit umgehen. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass wir einen Teil dieser 38 Milliarden – meinetwegen die Hälfte – bei den Unternehmen belassen, sodass sie damit den Rückbau der Atomkraftwerke finanzieren können. Der Rückbau eines stillgelegten Atomkraftwerks kann immer erst fünf Jahre nach der Stilllegung beginnen, es gibt eine Abklingphase, die da nötig ist. Und man geht davon aus, dass der Rückbau eines Atomkraftwerks etwa eine Milliarde Euro kostet.
Das sind die Schätzungen, die die EVUs selber geben. Und die sagen: Wir sammeln jetzt Erfahrungen damit; also am Anfang war es ein bisschen teurer, aber es wird preiswerter, weil wir natürlich einfach klüger werden und weil wir jetzt wissen, wie es geht. Und – ja – wenn dann die andere Hälfte sozusagen in einen öffentlich-rechtlich geführten Fonds eingebracht wird, sodass die Finanzmittel zur Verfügung stehen für die Suche und Bestimmung des Endlagers und für die Planung und Errichtung des Endlagers, dann kommen wir gut voran. Damit wäre ich sehr einverstanden.
Atomendlager: "Befüllungsprozess wird mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen"
Ehring: Die öffentliche Hand, muss die dann auch was dazu tun? Und entlässt man da nicht die Energieversorger, die den Gewinn gehabt haben von der Atomkraft, zum Teil aus der Verantwortung?
Hendricks: Sehen Sie, wenn Sie sich den Prozess betrachten, was die Errichtung des Endlagers anbelangt – und dafür würde ich ja in der Tat, ich sage mal, die Hälfte der Rückstellungen sichern wollen –, dann wird die Kommission, die ja schon seit fast zwei Jahren arbeitet, die Endlagersuchkommission, sage ich mal etwas untechnisch, die wird im Juni des Jahres 2016 vorlegen, in welcher Gesteinsformation denn überhaupt gesucht werden soll. Dann – so steht es in der Änderung des Atomgesetztes vom Sommer 2013 – soll bis zum Jahr 2031 ein konkreter Standort benannt werden. Der muss dann per Gesetz festgelegt werden. Das wird dann nicht der kommunalen Planungshoheit überantwortet werden können, das muss der Bundesgesetzgeber dann machen.
Dann fängt man also im Jahr 2031 an zu planen und zu errichten. Und wenn alles gut geht – man muss ja auch mit Rechtsstreitigkeiten rechnen –, wenn alles gut geht, wird frühestens im Jahr 2050 mit der Befüllung eines solchen Endlagers begonnen werden können. Und dieser Befüllungsprozess wird mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Sodass also die Befüllung abschließend etwa 2090 oder 2100 fertig sein wird. Und dieser Zeitraum zwischen 2050 und 2100 muss sicherlich auch öffentlich begleitet werden.
Wenn das Endlager schon errichtet ist und dann die Befüllung stattfindet – weiterhin in der Verantwortung der EVUs, denn die betreiben ja auch die Zwischenlager, die bis dahin aufrechterhalten werden müssen –, dann irgendwann wird es den Staat geben. Also Sie wissen ja, es ist in dem Endlagersuchgesetz im Sommer 2013 die Forderung festgelegt worden, dass auf eine Million Jahre der Atommüll sicher untergebracht werden soll. Die eine Million Jahre ist eine Chiffre für eigentlich unendlich, und dass man das nicht von Elektrizitätsversorgungsunternehmen erwarten kann, das ist liegt nun wieder auf der Hand.
Ehring: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.